Kapitel 15

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(Vadims Sichtweise)
Ein Geräusch. So laut und doch so leise, dass ich mich anstrengen musste, überhaupt etwas zu hören. Ich lauschte. Der Wind pfiff sachte und die Sonne war noch nicht aufgegangen. Ich landete auf einem dicken Ast einer Fichte und versuchte zu erkennen, was für diesen Klang verantwortlich war. Still vernahm ich ein leises Seufzen und so etwas wie eine Art Windspiel... Zumindest hörte es sich so an. Ich lauschte ein weiteres Mal. Doch da war nichts mehr. Vielmehr war es jetzt ruhig. Erheblich still. Das war schon ein wenig beängstigend.
Ich beschloss, es erst einmal sein zu lassen und mich ein wenig auszuruhen. Es war ein langer Flug gewesen. Und es hatte nichts gebracht. Ich lehnte mich zurück; an den rauen, kühlen Stamm und schlief eine Runde. Da schreckte ich hoch. Im Nebel saß vor mir jemand im Schneidersitz und schlief. Den Kopf an ein Astloch gelehnt. Ich blinzelte und erkannte im Mondschein, wer mir da gegenübersaß. Diamond. Ich runzelte zunächst die Stirn. Was will er hier? Ich rappelte mich auf und richtete seinen zur Seite gefallenen Schädel wieder auf.

Diamond schlug seine roten Augen auf, die, in dem Moment, als ich ihm fragend in diese blickte, gar harmlos glühten. „Was willst du hier?", fuhr ich ihn mehr als beabsichtig forsch an. „Hey. Nicht aufregen, okay?", erwiderte mein älterer Bruder besonnen und rekelte sich. Ich zog eine Augenbraue hoch und guckte ihn mit zusammengekniffen Augen misstrauisch an. „Was willst du hier, Diamond?", forschte ich noch einmal argwöhnisch nach. „Calm down, Bruder!", murmelte Diamond, ohne eine Spur von Reue. „Hast du Thea etwas angetan? Oder hältst du sie irgendwo fest?" „Nein! Wie kommst du darauf? Auch wenn ich euch nicht gerne zusammen sehe, entführe ich doch deine Busenfreundin nicht gleich!", bekräftigte er mit ausführlicher Erklärung, um mich zu beruhigen, was mich aber innerlich noch mehr dazu anstachelte, mich über ihn aufzuregen!

„Verdammt!", schrie ich. „Was hast du ihr angetan?", murrte ich und stand auf. Dann stob ich davon. Er kam mir nach, aber ich ignorierte ihn eingehend. „Vadi...", versuchte er es nun auf die kindlichere Art und Weise. „... Ich weiß... ich habe viel falsch gemacht, aber ich will dir nichts tun!", meinte er mit Sanftheit. „Und ich habe nichts mit Theas Verschwinden zu tun", machte er mir klar, nachdem ich die Situation erläutert hatte.
Seine Augen schimmerten in sachtem Rotton, wie ich es zuvor nie gesehen hatte. Nach einigen Minuten des Schweigens, schlug ich vor, vom Umherfliegen eine Pause zu machen und jagen zu gehen.

Ich stürzte mich auf das Nächstbeste, was mir vor die Nase lief. Ein Hirsch. Ohne mit der Wimper zu zucken, riss ich diesem die Kehle auf. Blut lief an meinen Mundwinkeln herunter, sowie aus der nun aufgerissenen, rotblauen Aorta des vor Angst zitternden, todgeweihten Tieres.
Mein Magen stellte das Grummeln augenblicklich ein. Mit geschlossenen Augen gab ich mich meiner Natur hin und trank. Es tat gut und rann nur so meine Kehle hinab. Schnell füllte sich mein Rachen mit Speichel, den ich augenblicklich ins Gras spuckte. Hastig saugte ich weiter. Es war eine schier nicht zu enden wollende Quelle, die einen unermesslichen Gewinn für mich barg.
Vor meinem inneren Auge sah ich, wie der Bock die letzten Atemzüge tat und um sein Leben rang, ehe er kraftlos, sowie blutleer zu Boden sank.

Ich trat zurück, blickte den toten Körper noch kurz an, bevor ich ihn ins nahegelegene Gebüsch zerrte und mir über die Mundwinkel wischte. Noch immer spürte ich den pulsierenden, warmen Lebenssaft des Hirsches in meinen Adern und Venen durch mein Fleisch zirkulieren. Noch etwas benommen suchte ich Diamond, welcher am Waldrand stand; blutverschmiert auf einen pelzigen Eber dreinblickend. „Satt?", fragte ich ihn und betrachtete sein Werk. Er nickte gedankenverloren. „Wir müssen ihn wegschaffen, bevor ihn jemand sieht, Diamond!", schärfte ich ihm ein. 

„Mach dir darüber mal bitte keine Sorgen, kleiner Bruder!" Ich sah ihn ungläubig an und verzog erstmal keine weitere Miene. „Wirklich! Ich beseitige ihn gleich!" „Nicht gleich – JETZT!", knurrte ich ungehalten und verschränke die Arme vor der blutbefleckten Brust. „Okay", rief er und nahm den Kadaver an den mächtigen Klauen, an denen er ihn in den Fluss warf, der sich sprudelnd einen Weg zwischen den immergrünen Pflanzen bahnte. Dann lachte er auf, als das Tier sank und schlussendlich doch noch an der Oberfläche hinfort trieb. Er wendete sich wieder mir zu und sprach: „Hey, es tut mir wirklich sehr leid, das mit deiner Freundin, aber ich habe nichts damit zu tun. Ich weiß, ich habe sie mit der Nachricht auf ihrem Smartphone verängstigt und ja, auch die Traumbeeinflussung war nicht gerade nett, aber können wir das nicht einfach begraben? Ich akzeptiere, dass es vielleicht einen anderen Grund für Lailas Verschwinden gab und lasse euch in Ruhe und helfe dir Thea zu finden, okay?" Dass Diamond plötzlich so eine andere Ansichtsweise hatte, als noch vor ein paar Tagen, kam mir merkwürdig, beinahe verdächtig vor. Aber was solls? Wenn er wirklich nur Freundschaft schließen möchte, dann soll es so sein. „Gut, unter einer Bedingung, Diamond!", war meine Äußerung dazu. „Klar, die Guten stellen immer irgendwelche Bedingungen an die Bösen! Gott, wie ich das übertrieben finde!", grummelte er. „Hey, wenn es dir ernst ist, hörst du mir zu oder...". „Oder was?" Ich ging in Angriffshaltung. Diamond hob die Arme: „Gut, gut!"

„Ich möchte, dass du dich bei Thea entschuldigst und falls du Laila nie wiedersiehst, nichts gegen unsere Beziehung hast, in Ordnung? Denn nicht jede Beziehung ist nur aufgrund einer anderen dazu verdammt gleich zu enden, ok?", beendete ich meinen Satz. „Ja...", lenkte Diamond ein und redete mit Feuereifer weiter, nachdem er merkte, dass ich meiner Bedingung nichts mehr hinzuzufügen hatte: „Wo sollen wir anfangen?"

Ich zog grinsend eine Augenbraue hoch. So konnte die Suche endlich beginnen!

Nachdem wir noch gejagt und in Erinnerungen geschwelgt hatten, machten wir aus, dass ich unseren Onkel unter die Lupe nahm, während Diamond sich ein bisschen mit Vater und Mutter unterhielt und vielleicht doch Infos über Laila bekam. Währenddessen flog ich zum Anwesen. Es war früher Morgen. Ich sah auf die Armbanduhr: 05:02 Uhr. Mir war die Uhrzeit egal. Ich würde Wayne auch liebend gern morgens um zwei aus dem Bett klingeln! Langsam ging mein Blick suchend über die grüne Landschaft, welche Waynes Villa umrandete und vor neugierigen Blicken abschirmte. Na, der hatte vielleicht Panik um sein Anwesen. Doch so fand man es schnell, so wie es gesichert war!  

The secret of... the bloody rageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt