Mutig bat ich denjenigen herein, der vor unserer Tür stand und wahrscheinlich darauf wartete, hereingebeten zu werden. „Hey!", lächelte uns der schwarzhaarige, schlanke Mann an. Es war Jonathan! Wie erwartet. „Hallo", kam meine Antwort zurück. Ich lächelte ihn ebenfalls an und Laila nickte schüchtern. „Alles in Ordnung? Wow... Laila, was ist denn mit dir passiert?", fragte er und sah zu uns herüber, als er weiter eintrat. „Ja...", murmelte ich und deutete mit dem Finger auf Lailas Mund. Er war blutbefleckt. „Ohh...", murmelte er bedächtig und schmunzelte verlegen. Nun betrat Jonathan den kahlen, kalten Raum. Er bewegte sich gemächlich auf Laila zu und ging vor ihr in die Hocke.
Laila wich, so gut es ging, zurück, doch Jonathan blieb geduldig. Sie hatte wohl noch nicht so viel privat mit ihm zu tun gehabt. Ich hielt mich bewusst im Hintergrund, damit er etwas Vertrauen zu ihr aufbauen konnte. Er sah von der Seite her gut aus. Wie gestern war er schwarz gekleidet. Jonathan hatte ein Grinsen aufgesetzt und schien netter als Wayne zu sein. Er hier, war auf jeden Fall besser, als er. Laila strahlte eine gewisse Nervosität und vielleicht auch etwas Furcht aus.
Wieso? Hatte sie Angst vor Jonathan? Wenn ja, blieb noch die Frage: Warum?
Jonathan holte aus seiner rechten Manteltasche ein schneeweißes Papiertaschentuch hervor und übergab es Laila, die es zögernd annahm und dankbar die Blutspuren rund um die Mundwinkel beseitigte. Nachdem dies getan war, nahm ich aus den Augenwinkeln wahr, wie sie ihn vorsichtig anlächelte. Er lächelte zurück und setzte sich im Schneidersitz vor sie hin.
Ich rutschte ebenfalls etwas näher an die Beiden heran. „Wie viel Uhr haben wir eigentlich, Jonathan?", fragte ich ihn zögernd, um etwas die Stimmung in Gang zu bringen. „Wir haben... Moment", meinte er und warf einen Blick auf seine Armbanduhr am Handgelenk. „Es ist... Punkt zwölf Uhr", stellte er fest. Ich sah ihm das erste Mal richtig in die Augen. Hellrote. Mysteriöse und vertrauensvolle Augen zugleich. Ich schaute schnell weg, als er bemerkte, dass ich ihn anstarrte. „Sorry...", murmelte ich. Er lachte leise. Jonathan merkte wohl, dass es mir unangenehm war und beobachtete Laila. Die saß immer noch an Ort und Stelle, ihr Blick streifte ein bisschen nervös durch den fahlen Raum während sie sich eine Strähne hinters Ohr strich. Sie erkannte das Unbehagen im Zimmer und räusperte sich, ehe sie von mir zu Jonathan und wieder zurück guckte. Dieser musterte sie. Vom Haaransatz bis zu den Zehenspitzen. „Du bist hübsch...", murmelte er und sah sie schelmisch an.
Sie legte den Kopf schief und lächelte verlegen. Ich hüstelte kurz und wandte mich an den hageren Mann: „Erzähl was von dir, mysteriöser Fremder!", bat ich ihn. Jonathan lachte kurz auf und fragte neugierig: „Was wollt ihr wissen?" „Einfach etwas! Name, Familie, Hobbys,Mensch oder Vampir, so was halt eben...", schlug ich vor. „Okay, ich habe Zeitund Wayne wird ja wohl nicht gleich auftauchen", meinte er und überlegte einen Moment. „Was, wenn er dich ruft oder sucht? Dann wird er dich entdecken!", warf Laila ein. „Mach dir keinen Kopf. Er hat gerade etwas Wichtiges zu tun!", beschwichtigte Jonathan sie. Laila war ein wenig beruhigt: „Gut!" Dann begann er zu erzählen: „Gestatten, ich bin Jonathan van Death, bin momentan 600 Jahre alt und wurde als Sohn zweier Vampire geboren..." „Also bist du ein Vampir", schlussfolgerte Laila. „Moment!", unterbrach ich ihn hastig, „du heißt van Death?" Er nickte leise lachend: „Ja, leider. Konnte ich mir ja nicht aussuchen!" Er berichtete weiter: „Meine Mutter heißt Akacra und mein Vater Malin"„Aha. Ein seltener Name, Akacra ...", meinte ich und lies den Namen auf der Zunge zergehen, wie Schokolade. „Hat einen schönen Klang", stellte ich murmelnd für mich fest. „Meine Vorlieben sind Umherfliegen und das Trinken von Eichhörnchenblut, ich bin nämlich kein Vampir, der menschliches Blut zu sich nimmt.
Dann wäre da noch das Geigespielen, aber dies tue ich nur noch selten, da ich ja leider hier für Wayne arbeite". Wir nickten. „Ich wohne in der Nähe des Stadtzentrums von Lacata. Am praktischsten ist es natürlich, wenn man am Waldrand oder besser noch – direkt im Wald, da man dort perfekt jagen kann, wohnt, aber ich bin nun mal der Sohn des Bürgermeisters, also wohne ich in der Stadt", erzählte er. „Aber du kannst doch selber entscheiden, wohin du ziehst? Immerhin bist du schon lange volljährig!", warf Laila, leicht missbilligend, ihm einen Blick zu. Jonathan zuckte mit den Schultern, grinste und machte eine kunstvolle Pause. Dann holte er aus seiner Manteltasche einen Flachmann heraus. Ich stutzte. Alkohol?!
Aber nein! Wahrscheinlich beinhaltete die Flasche nur etwas Blut. Tatsächlich. Als er die Öffnung langsam an seine dunklen Lippen heranführte, sah man etwas rote Flüssigkeit an seinem Kinn herunterlaufen. Schnell leckte Jonathan sich über das Kinn und trank lechzend weiter. Nachdem er fertig war und Laila ihm gierig zugesehen hatte, reichte er ihr den Flachmann mit den Worten: „Hier, ich hab dich doch gesehen!" Er zwinkerte ihr zu. Sie nahm zögernd die Flasche entgegen, guckte hinein und saugte schließlich an dem offenen Verschluss. „Keine Sorge. Ist kein menschliches Blut!", versicherte Jonathan ihr und blickte mich an. Ich dachte nach. Krass. Jonathans Vater ist der Bürgermeister!
„Alles in Ordnung bei dir?" „Äh... ja", stotterte ich. Es war mir zu viel. „Ich muss nur mal eben durchatmen!", gab ich ihm zu verstehen. Inmitten zweier Vampire, einigen Blutspritzern, die im Raum zu finden waren und fauligem Geruch, kam mir die Situation ziemlich psycho vor. Fast schon absurd, grotesk, vielleicht ein wenig asozial. Keine Ahnung. Ich bin halt nur ein Mensch. Ich schloss meine Augen und versuchte, nicht an Blut oder anderes zu denken und atmete ein paar Mal grob ein und aus. Präziser ging es nicht. Es war einfach zu ekelerregend!
Ich schlug meine Augen wieder auf und das Erste, was ich sah, waren markante Gesichtszüge, schwarze wuschelige Haare und sanfte Hände, die meine streichelten, da ich zitterte. Ja. Jonathan sah einfach gut aus. Mit seinem sexy, muskulösen, aber dennoch schlanken Körperbau schien er nahezu der perfekte Mann zu sein. Ich sah in ihm etwas Geheimnisvolles, was ich nicht kannte. Und irgendwie trafen sich jetzt unsere Blicke, während er noch immer meine Handgelenke umschlungen hielt.
Seine rotglühenden Augen brachten meinen Puls auf 180, ich lief unmerklich rot an, meine Finger wurden noch zittriger und ich fragte mich, ob es nicht doch schon geschehen war!
Hatte er es mir in den kurzen Augenblicken, die ich Jonathan jetzt kannte, schon angetan? Unsere Köpfe bewegten sich sachte aufeinander zu. Wie von Sinnen. Ich merkte, wie mein Körper es wollte, aber mein Verstand war dagegen. Ich versuchte mich zu konzentrieren. Auf meinen Herzschlag und die lautlose Stimme in meinem Kopf, die mich regelrecht zu verführen schien. Meine Lippen wollten soeben die seine umschließen, da warnte mich jedoch plötzlich mein Gewissen: „Tu das nicht! Das darfst du nicht!" Abrupt zog ich mich zurück und hörte auf den Rat. Denn: Es hatte recht! Es darf nicht sein. Es ist nicht richtig. Es darf nicht geschehen. Nein!
... Es ist falsch! ...
Denn ich besitze ja einen Freund. Vadim. Apropos: Wie
es ihm wohl ging? Suchte er mich? Und würde er mich finden?
... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ...
Jonathan begriff und wandte sich an Laila. Ich beachtete die Beiden nicht weiter, sondern berief mich auf mich. Ich brauchte einen klaren Kopf.
Denn so ging es nicht weiter. Ich rollte mich stillschweigend in meine Ecke zusammen und versuchte die Augen zuzukriegen, auch wenn es schwer war, da ich immerzu an diesen Beinahekuss denken musste...
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The secret of... the bloody rage
Fantasy- ABGESCHLOSSEN - „Es geht um dich! Um Leben und Tod!" Jetzt, wo Sie den Titel schon gelesen haben, denken Sie wahrscheinlich: „Ein Vampirbuch. Schon wieder. Brauch ich gar nicht erst zu lesen!" Aber wenn Sie es nicht tun, werden Sie einiges verpass...