Panik

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Alaina tunkte den bereits mit Blut befleckten Lappen in das abgekochte Wasser. Schon den ganzen Tag half sie den anderen Heilern, die Verwundeten zu pflegen. Titus, der Oberhaupt der hier anwesenden Heilern hatte sie zuerst mit einem abschätzigen Grinsen angeschaut, als Alaina gemeint hatte, helfen zu wollen. Er wollte sie erst gar nicht zu den Verwundeten lassen, jedoch hatte ein Befehl von Adam gereicht und er lies sie arbeiten. Nach wenigen Minuten hatte er schon bemerkt, dass sie nicht ahnungslos war und mittlerweile beobachtete er bewundert ihre Arbeit. Sie war schnell und lernte sogleich sich in den Arbeitsablauf der anderen Heiler einzufinden. Adam beobachtete sie die ganze Zeit, er nahm seine Aufgabe als Aufpasser ernst. Es war mittlerweile Abend, die Schlacht ging schon den ganzen Tag. Sie hatte kein bekanntes Gesicht gesehen, weder bei den Verwundeten noch den Toten. Die Soldaten, welche hier im Zelt ankamen, wimmerten vor Schmerz und waren voll mit Blut. Sie nähten Wunden zusammen, säuberte sie und vor allem war sie für die Soldaten da. Sie erzählte ihnen Geschichten von schöneren Tagen, von der Wüste, von Amherra alles, um ihnen Mut zu schenken oder aber auch die letzten Stunden zu versüßen. Wie gebannt lauschten alle im Zelt ihren Erzählungen. Die Zeit verging wie im Fluge und sie arbeitete bis spät in die Nacht hinein. Charly und George waren die ersten bekannten Gesichter, sie sie gegen Mitternacht erblickte. "Was machst du hier?" Charly fuhr sie an und blickte zornig zu Adam. "Ich sagte du sollst auf sie aufpassen, hier ist es zu gefährlich!" "Ich habe es so gewollt." Stur blickte sie ihn an. "Ich wollte nicht untätig herumsitzen." "Das ist kein Platz für ein kleines Mädchen." erwiderte nun auch George und sah sie ernst an. "Ich entscheide selbst, was ich schaffe oder nicht." Sie blickten einander in die Augen, auf keinen Fall würde sie nachgeben. "Ihr seid nicht meine Herren. Ich unterstehe euch nicht." fügte sie noch hinzu. Es war unerhört so mit den Lords zu sprechen, aber in dieser Sache musste sie standhaft bleiben. Sie war frei und niemanden untertan. "Willst du das wirklich sehen? Die Tote, das Blut." "Das wäre ja nicht das erste Mal, ich war beim Bluttag dabei, meine Mutter ist dort gestorben." Ihr wurde die Bedeutung dieser Worte erst bewusst, als sie bereits laut ausgesprochen waren. Sie hatte ihnen etwas Intimes von ihrer Kindheit, ihrer Vergangenheit offenbart. Heiße Tränen liefen ihr über die Wangen und sie rannte aus dem Zelt, bevor sie etwas sagen konnten. Wie kam sie dazu ihnen derartiges zu erzählen? Sie war wirklich erbärmlich. Sie rannte und rannte. Ruckartig blieb sie schließlich stehen. Sie bekam keine Luft mehr, ihr wurde alles zu viel. Sie hatten Recht, das Blut und die Tote es erschrak sie. Sie konnte nicht mehr atmen nicht mehr denken. Den ganzen Tag hatte sie es wohl verdrängt, die ganzen Bilder ihrer Vergangenheit stiegen wieder auf. Die leblosen Augen ihrer Mutter, das Blut, das ihr runterfloss, die Tränen und die letzten Worte, die sie zu ihr sprach. "Ich liebe dich Alaina, du bist so ... tapfer meine Kleine." Dann war sie weg, ihre Augen leer und Alaina schrie, schrie um ihre Mutter. Soldaten kamen angerannt und versuchten sie aufzuhalten doch sie wehrte sich und sie weinte. Dieser Schmerz soll aufhören. Plötzlich ergriffen zwei Arme ihr Gesicht. Lord Geminus stand vor ihr und rief immer wieder ihren Namen. "Alaina! Alaina komm zu dir." Ruckartig erwachte sie aus ihrer Panikattacke, die Tränen liefen ihr über das Gesicht, sie konnte wieder atmen. Keuchend holte sie tief Luft und wand sich aus den festen Griff des Lords. Würgend taumelte sie weg, bis sie sich schließlich hinter einem Felsen übergab. Dabei spürte sie eine Hand, die ihr die Haare hielt und sanft auf den Rücken streichelte. Sie drehte sich um, sobald sie fertig war. Erschöpft sank sie zu Boden, sie war so müde. "Es ist alles gut." Sanft hob er sie auf und trug sie zum Zelt von Charly. Dort legte er sie in das Bett und deckte sie zu. "Danke." hauchte Alaina noch, bevor sie einschlief. Der Lord streichelte ihr über den Kopf, sie war noch so jung und irgendwas hatte sie heute auf schlimmste Weise erschüttert. Stirnrunzelnd verlies er das Zelt, dort traf er auf seinen Sohn, der ebenfalls ihre Panikattacke beobachtet hatte. "Geht es ihr einigermaßen gut?" fragte er atemlos. "Sie schläft." erwiderte der Lord und warf seinen Sohn einen warnenden Blick zu. "Was ist denn passiert?" "Sie hat den Verwundeten geholfen, den ganzen Tag lang." George gesellte sich auch zu ihnen. "Wir waren zu streng zu ihr, wir haben uns nur Sorgen gemacht, dass ihr etwas zustößt, weil sie so nahe am Kampfgeschehen ist." "Und weil sie so etwas nicht sehen sollte." fügte Charly hinzu. "Sowas sollte ein junges Mädchen auch nicht sehen. Irgendetwas hat ihr schlimm zugesetzt." "Der Bluttag." flüsterte George und der Lord sah ihn erschrocken an. "Sie war am Bluttag dabei?" "Ihre Mutter ist dort gestorben, sie war noch ein Kind. Sie selbst hatte es uns erzählt." Charly sah besorgt auf das Zelt. "Meine Güte, kein Wunder, dass sie eine Panikattacke gehabt hat." Er konnte es nicht glauben, der Bluttag war einer der grausamsten Ereignisse der Menschheit und sie als Kind mittendrin. Fassungslos schüttelt er den Kopf und winkte einen Soldat herbei. "Bewach das Zelt und falls sie aufwacht, gib uns sofort Bescheid. Es ist Alaina." fügte er noch hinzu. Der Soldat riss erstaunt die Augen auf und verneigte sich. Ihr Name war mittlerweile zur Berühmtheit geworden, jeder in dem Lager kannte ihn und die Geschichte dahinter. Alaina, eine Sklavin die den zukünftigen Lord des Westens gerettet hat, die die anderen zwei der großen Drei vor einem Giftanschlag bewahrt hatte und die Liliana, die Lady vor einem Angreifer beschützt hatte. Zudem hat sie Amherra von einer großen Katastrophe bewahrt und eine Verschwörung aufgedeckt. Somit hatte ihr Namen eine große Bedeutung, denn dieses Mädchen zu beschützen, galt für jeden Soldaten als Ehre, denn sie hatte für ihr Heimatland gekämpft.

Im Hauptzelt wurde die heutige Schlacht bewertet. Lord Geminus trat erschöpft hinein, auch er hatte heute mitgekämpft wie alle anderen seiner Freunde auch. Derek blickte ihm müde entgegen und er wirkte mittlerweile hoffnungslos. "Wir haben zu wenige Männer. Wenn James nicht bald auftaucht, werden wir überrennt." William, der voller Blut war, nicht sein eigenes, stimmte seinem Freund zu. "Morgen werden wir noch durchhalten können doch dann stoßen wir an unsere Grenzen. Roben hat viele Männer herbeigeschafft, mehr als wir zuvor angenommen hatten." "Dieser Mistkerl hat sich auch noch kein einziges Mal blicken lassen." Lord Orion stand am Ausgang des Zeltes und blickte in die Weite der Wüste. "Er lässt die anderen seine Drecksarbeit erledigen und taucht dann auf, wenn die Schlacht gewonnen ist." Lord Ares rieb sich die Augen. "Er wird morgen kommen." rief Charly. "Wir dürfen jetzt die Hoffnung nicht verlieren. Legen wir uns schlafen, morgen versetzten wir ihnen einen Dämpfer, wir müssen James nur noch Zeit verschaffen." "Er hat Recht, wenn wie jetzt aufgeben, hat er schon gewonnen." Lord Ares sah seine Freunde an. "Wir schaffen das!"

Alaina rieb sich die Augen und gähnte. Sie blinzelte und blickte sich um, sie war im Lager. Schlagartig fiel ihr der gestrige Tag wieder ein, sie hatte eine Panikattacke bekommen und die Lords beleidigt. Sie stöhnte auf, das gibt es doch nicht. Darüber hinaus hatte sie sich vor Lord Geminus erbrochen. Das konnte auch nur ihr passieren, was war nur falsch mit ihr. Sie drehte sich um und zuckte zusammen. Da saß Charly. Er blickte sie reuevoll an und räusperte sich. "Es tut mir Leid." Alaina kam ihm zuvor. "Ich hätte dich .. euch beide nicht so beleidigen sollen, ich wollte eurer Autorität nicht untergraben." Er sah sie mit großen Augen an. "Alaina, das ... ist doch Unsinn. Du kannst uns gerne beleidigen, das halten wir aus und du musst dich nicht entschuldigen. Wir sind nicht deine Herren, du bist frei. Ich muss mich bei dir entschuldigen auch in Georges Namen, er kämpft gerade. Das war nicht fair von uns, dich so anzugehen. Du kannst alles machen, was du willst, wir wollten nur auf dich aufpassen auch um James willen." "Das verstehe ich doch." Alaina drückte seine Hand. "Ich ... du hattest Recht, die Toten, das Blut es hat mich schockiert, Ich wollte es nur nicht wahrhaben. Das mit dem Bluttag." Sie zitterte. Charly nahm sie fest in die Arme. "Es tut mir so unendlich Leid, was dir widerfahren ist. Keiner sollte das und für deine Panikattacke musst du dich nicht schämen. Jeder würde so reagieren, wenn er sowas erleben würde." Sie weinte an seine Schulter, währenddessen strich er ihr geduldig über die Haare. "Danke." hauchte sie schließlich als ihre Tränen versiegten. "Für alles."

WüstenköniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt