Chaos

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"Weg mit dir du Straßengöre!" Ein Mann schwang wütend seine Faust und Alaina fuhr erschrocken aus ihrem Schlaf hervor. Mit taumelnden Schritten machten sie sich so schnell wie es eben ging auf den Weg, um der Hand des Wirtes zu entgehen, auf dessen Türschläfe sie die letzten Minuten noch gelegen ist. Ihr Kopf dröhnte. Letzte Nacht hatte sie wieder einmal zu tief in ihr Glas geschaut. Mittlerweile waren zwei Wochen seit der Trennung vergangen, lange zwei Wochen, in denen Alaina von Dorf zu Dorf gewandert ist, um schlussendlich in Polis zu landen, einer Stadt im Süden, wo sie schon einmal mit ihrer Mutter gewesen war. Dort war sie im Armenviertel gelandet, wo sie sich mit Diebstählen über Wasser hielt, doch meistens stahl sie sich nicht Essen, sondern Alkohol, den sie in den letzten zwei Wochen mehr als nur einmal benötigte. Mit taumelnden Schritten ging sie an dem Hafen vorbei, wo ein Haufen Matrosen auf ihren Segelschiffen von ihren Kapitäne hergeschunden wurden. Der fischige Geruch vermischte sich mit dem Gestank in den Armenviertel, welches wohl einer der schlimmsten in Amherra sein sollte. So hatte es ihr jedenfalls ein Handwerker in dem Gasthaus gestern erzählt, bevor er sich an sie rangemacht hatte, doch Alaina hatte ihn weggestoßen, wie so viele in letzter Zeit. Sie war wohl immer noch begehrenswert, dabei war ihr Äußeres nicht gerade prickelnd so wie sie sich selber sah. Ihre Haare waren lockig und ungekämmt, ihre Augen leer und sie war mager geworden. Ihr prächtiges Kleid hatte sie gegen einen Wein eingetauscht und sich ein Stoffkleid umgeworfen, welches weniger auffiel. Das andere schrie geradezu nach Reichtum, den sie ja nicht hatte. Nicht einmal vernünftig nachgedacht hatte sie über die letzten Wochen und die Ereignisse, sowie Erkenntnisse, nein ihre Auseinandersetzung mit dem Ganzen bestand aus dem übermäßigen Trinken von Alkohol. Sie war wirklich erbärmlich, doch sie konnte nicht anders, jedes mal, wenn ihre Gedanken zu ihm oder an die Zeit im Schloss gingen, trank sie einen Schluck und das passierte sehr oft. Mit müden Blick schritt sie an der Menschenmenge vorbei, die in lumpigen Gewändern an ihr vorbeimarschierten, bereit sich der schlecht bezahlen Arbeit hinzugeben, um die Mäuler daheim zu stopfen.

Alaina hätte nie gedacht, dass Amherra soviele Armenviertel hatte. Doch das war nur eine Annahme der Reichen, in jeder Stadt gab es die, selbst in dem wunderbaren Amherra. Und doch waren sie nicht mit denen in Zira zu vergleichen, denn dort ging es um das nackte Überleben, hier griff der Staat wenigstens ein und übernahm die ärgste Not. In jenen zwei Wochen hatte sich auch viel verändert. Leopold war gekrönt worden, als König Leopold den vierten. Was James wohl machte? Nein Alaina du hast an ihn gedacht, los Alkohol. Mit einem flinken Handgriff nahm sie sich die Flasche eines Matrosen, der so betrunken war, dass er dies gar nicht bemerkte. Sogleich schnappte sie sich auch einen Laib Brot von ihm. Wenigstens konnte sie noch für sich selber sorgen, auch wenn dies nicht gerade eine ehrbare Weise war, eher im Gegenteil, doch Alaina war so tief gesunken, dass dies nun auch keine Rolle mehr spielte. Wieso war er noch nicht gekrönt, er brannte doch nur so darauf, endlich König zu werden und sie ausgerechnet sie zu heiraten. Die alte Wut schoss in ihr wieder empor und sie nahm einen kräftigen Schluck. Das würde wohl wieder ein ganz besonders guter Tag werden.

Dieser ewige Sand. James stand an einer Hausmauer gelehnt, die Hände in seiner dreckigen Hose. Er selber hatte wohl auch schon besser ausgesehen, aber in Lumpen in dieser vermaledeiten Stadt herumzurennen, war deutlich unauffälliger. Alaina hatte mit ihren Erzählungen nicht untertrieben. Diese Stadt war ein grausames Pflaster, an jeder Ecke waren Kranke und Menschen in zerrissenen Kleidern. Ihre Augen so groß in den mageren Gesichtern und doch gab es kein Essen, was er selber hätte hergeben könnte, denn sie waren auch nicht gerade vollgepackt mit Leckereien, im Gegenteil, selbst er hatte schon einem Händler ein Brot abnehmen müssen. William stand neben ihn und beobachtete wie er den Eingang zum Schloss. "Hier ist es also." Mit einem Nicken lösten sie sich von ihrer Starre und machten einen Rundgang. Vor knapp zwei Wochen waren sie aufgebrochen, bereit sich der verhängnisvollen Mission zu stellen, auch wenn die Konsequenzen ungewiss waren. Doch das alles hatte ihn von ihr ablenken lassen, jedes Mal, wenn seine Gedanken zu ihr gingen, versuchte er sich krampfhaft in die Mission zu stützen und so hatte sie schon einen wasserdichten Plan, denn er dachte wirklich sehr oft an sie. So wie jetzt auch. Seufzend folgte James seinem Kollegen, der kein Tuch um den Kopf geschlungen hatte, weil er mit seiner dunklen Haut weniger auffiel wie er. Außerdem hielt er die glühende Sonne länger aus, wohingegen James, wie er schon schmerzlichst erfahren musste, einen Schutz brauchte. Durch ganz Riza waren sie gereist, auf Pferden durch die Wüste geritten, bis sie heute Vormittag in dieser Stadt eingetroffen sind. Doch nicht nur sie beiden hatten sich auf den Weg gemacht, Charly und George hatten auch darauf bestanden, sehr zum Unglück ihrer Familien, die über die Entscheidung gar nicht begeistert waren, doch das kümmerte ihn nicht. Die beiden waren außerhalb der Stadt Zira und hatten sich um ihr bedürftiges Lager gekümmert. "Da ist der Eingang zur Küche." Sie waren schon um das Schloss, den Palast des Königs Rojica des dritten umhergegangen, entlang an den hohen Mauern, die es umschlossen. Wachen waren an jeder Ecke aufgestellt, die mit Adleraugen die Menschen beobachteten. Nun konnte es James auch erkennen, der Eingang zur Küche war von den Mauern ausgenommen worden, jedoch bewachten ein Dutzend Wachen diesen freien Eingang und kontrollierten jeden Wagen, der mit frischer Ware angerollt kam. "Jetzt müssen wir nur noch rein." James blickte seinen Freund an, der sich den Schweiß von der Stirn wischte. Für William war dies auch nicht leicht, denn er hatte auch in dieser Stadt aufwachsen müssen, die Grausamkeit der Wächter war unübersehbar. Schon mehrmals waren sie über eine Auspeitschung gestolpert, einmal bei einer Frau und dann bei einem Kind. William hatte James zurückhalten müssen, der eingreifen wollte, doch damit würden sie sich nur in Gefahr bringen. Doch die Schreie des Kindes und der Frau hallten in ihm nach wie ein Echo und er konnte nur an Alaina denken, die ebenfalls Narben am Rücken trug. Sie hatte sowas ebenfalls erleben müssen, das hatte sie ihm auch erzählt. Ein galliger Geschmack machte sich in seinem Mund breit, als wollte er sein hartes Stück Brot von heute wieder von sich geben. Reiß dich zusammen. Sie ... sie ist nicht hier, sie ist nicht in dieser Stadt. Sie ist sicher. Das hoffte er zumindest. "Lasst uns zu den anderen zurückkehren, dann überlegen wir, wie wir reinkommen." William nickte James zu, der gerade antworten wollte als ihm eine kleine Person in den Weg lief. "Oh Verzeihung." Diese senkte den Kopf und wollte weitereilen, doch James erkannte diese Stimme, obwohl er sie schon sehr lange nicht mehr gehört und auch nicht geglaubt hatte, diese jemals wieder zuhören. "Das gibt es doch nicht." murmelte er und blickte in große braune Augen. 

Die Besprechung endete in einem Streit, wie so oft in den letzten Tagen. Die Lords waren sich uneinig und die gereizte Atmosphäre schaukelte sich immer mehr auf. Lord Geminus saß mit seinem Freund Lord Orion noch in dem Besprechungszimmer und wollten das Chaos beseitigen, welches wieder einmal verursacht wurde. Die fehlende Nachricht von ihren Söhnen bereitete ihnen Kopfzerbrechen und so stürzen sie sich in die Arbeit. Lord Ares ging die Sache jedoch anders an. Er trainierte seine Soldaten mit seiner Frau noch härter wie je zuvor, falls es zu dem Fall der Fälle kommen sollte, dann wollte er die Rizaner mit seiner Armee überrollen. Die weniger elegante Variante, um dieses Riza zu entmachten, aber jeder hatte seinen eigenen Bewältigungsmechanismus. Ihr König Leopold, der vierte war bei der Besprechung ebenfalls nicht dabei, im Prinzip übernahmen die großen Lords die Regierungsgeschäfte, denn er sollte seine letzten Tage nicht im Streit verbringen und so machte er Ausflüge ins Grüne, die ihm sichtlich gut taten, denn er kam immer mit einem Grinsen nach Hause. Jedoch gestaltet sich das Regieren mit acht unterschiedlichen Köpfen und Meinungen sehr schwierig und es dauerte ewig, bis sie zu einem Entschluss kamen und oft endete es in einem Streit so wie auch heute. "Schon etwas von ihr gehört?" Sein Freund sah ihn an, als er gerade die Pläne für das Abwassersystem wegräumte. "Nein." murmelte Elias Geminus, der sich fest auf die Zähne biss. Das war das andere Problem, seine Tochter, die weiß Gott wo war. Er wusste, dass sie zurecht kommen würde, redete es sich zumindest ein, denn wenn er sie suchen würde, dann wäre das keine gute aufbauende Vertrauensbeziehung zwischen ihnen, welche sowieso durch seine Verheimlichung schon getrübt war. Er hoffte, dass sie an ihn dachte oder zumindest darüber nachdachte, was er zu ihr gesagt hatte, mehr konnte er nicht verlangen. 

Die Lichter der Stadt Polis schienen in der Dunkelheit und vermischten sich mit dem Gesang der Matrosen, die schon wieder einmal betrunken waren. Nun ja von sich konnte sie jetzt nicht das Gegenteil behaupten, sie war auch schon wieder sturzbesoffen. Wankend setzte sie einen Fuß nach den anderen. Den ganzen Tag über hatte sie in der Stadt rumgelegen und Ausschau nach der nächsten Flasche gehalten. Polis war eine Arbeiterstadt, viele Firmen hatten hier einen Standort, von Produktionsfirmen, Wäscherein bis hin zu Nähereien. Alaina hätte sich einen Job suchen können, hätte sich eine Unterkunft bezahlen können und halbwegs normal leben können und doch war sie betrunken in den Gassen unterwegs, ohne Ziel, ohne Geld und ohne Verstand. Wie tief war sie gesunken? Ihr Magen drehte sich um und sie erbrach sich in der Ecke. "Erbärmlich." Alaina fuhr auf, diese Stimme, die kannte sie doch, das ist nicht möglich, was machte diese Person hier? 

WüstenköniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt