Der Plan

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Zweieinhalb Monate seit sie das letzte Mal Sex hatte, zweieinhalb Monate. So lange hatten sie sich nicht mehr gesehen, doch das würde sich vielleicht jetzt ändern. Immer noch nackt stand sie vor dem Spiegel und betrachtete die Wölbung an ihrem Bauch. Das war doch nicht wahr! Sie schnappte sich eine Decke und warf sie sich um. Ruhig atmen, Alaina. Doch es half nichts, ein hysterischer Schluchzer entkam ihr und sie spürte das Aufkeimen einer immensen Panik in ihr. Wie konnte das passieren? Natürlich sie hatten viel Sex, aber sie hatten auch aufgepasst, denn ein Kind. Alaina würgte, nein dafür waren sie nicht bereit gewesen, aber jetzt noch weniger, jetzt waren sie nicht mehr zusammen und sie war auf sich allein gestellt. Zur Hölle sie war noch nicht einmal mit sich selber fertiggeworden und dann ein Kind? In den Augen vieler war sie ja selber noch eines, doch sie selber wusste, dass das nicht stimmte, sie war verdammt reif für ihr Alter, einfach, weil sie so viel erleben musste. Mit einem verzweifelten Seufzer fuhr sie sich durch die Haare und biss sich so stark auf die Lippen, dass sie blutete. Nicht ausrasten. Nicht ausrasten. Nicht ausrasten. Doch es gelang ihr nicht, die Tränen liefen ihr über die Wangen und sie wollte brüllen, schreien bei der Ungerechtigkeit, dass sie schwanger war, bei der Ungerechtigkeit, dass dieses Kind so aufwachsen musste. Sie konnte doch nicht einmal für sich selbst sorgen. "Alaina." Jera nahm sie in den Arm. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass ihre Freundin wieder zur Treppe hochgestürmt gekommen war. Hinter ihr war Rikka, die Ärztin, die ihr sanft die Decke abnahm. "Ich werde dich jetzt untersuchen." Alaina nickte nur und klammerte sich an Jera, die sie von hinten in den Arm nahm. "Ich bin sowas von am ...." "Nein bist du nicht. Alaina du hast mich, du hast uns, du hast deine Familie, die Geminus." flüsterte ihr Jera in ihr Ohr und Alaina nickte nur. "Du bist nicht allein." Diese Worte taten so gut. Rikka stand auf und betrachtete sie mitleidig. "Du bist schwanger, sogar schon im dritten Monat." Dritter Monat. Alaina schloss die Augen und fühlte wie ihr die Tränen die Wangen hinunterliefen. Sie war in derselben Situation wie ihre Mutter damals vor vielen Jahren, als sie schwanger war. Alleine ohne Vater, ohne alles und doch hat sie es geschafft. "Wir bekommen das hin." Jera und Rikka halfen ihr aufzustehen und in die Wanne zu steigen. Sanft begannen sie sie mit einer Bürste und Seife zu waschen. "Wie meine Mutter." flüsterte Alaina und blickte ihre Freundin an, die nur mitfühlend nickte, denn sie wusste von Alainas Familiengeschichte Bescheid. Sie konnte die Gedanken ihrer Mutter verstehen, wieso sie sie nicht zu ihrem Vater gebracht hatte, sie wusste ja, wer es ist. Jahrelang hatte sie diese Entscheidung verurteilt, ja war ihr sogar böse, doch nun alles weg. Sie konnte es verstehen, wieso sie es nicht getan hatte, denn sonst bestand die Gefahr, dass sie sich nie wieder gesehen hätten. Es war allgemein bekannt, dass die Bastarde immer jenseits ihrer Schandmutter, so wie es viele nannten, aufwuchsen und das wollte ihre Mutter nicht. Auch Alaina konnte es sich nicht vorstellen, so sehr wie sie geschockt und entsetzt war, eine Sache wusste sie: Schon jetzt spürte sie einen unglaublichen Mutterinstinkt und eine unglaubliche Liebe für das kleine Geschöpf in ihrem Bauch und sie begann zu lächeln. "Ich werde Mutter." Überrascht blickten die beiden Frauen sie an und Jera begann auch zu lächeln. "Ja, das wirst du." "Muttergefühle sind eine der stärksten, die es gibt." Sanft begann Rikka ihre Haare mit Seife einzureiben und Alaina seufzte auf. Das ganze kam ihr vor, als würden die Götter über sie lachen, aber ... aber vielleicht hatte es auch etwas Gutes. Immerhin hatten sie ihr etwas zum Leben gegeben, etwas, dass es wert war, jeden Tag aufzustehen und alles zu geben. Vielleicht hat ihr das Kind neue Lebenshoffnung gegeben, von der sie in letzter Zeit nicht gerade viel gehabt hatte.

"Was gedenkst du zu tun?" Miria blickte zu Alaina, die in frischer Kleidung und gesäubert am Sofa lag und eine Hand an ihren Bauch hielt. Elegant richtete sie sich auf blickte ihre neuen Freunde an. "Ich werde Aufruhr machen, ich denke, der Grund, dass dieses Gesetz so lange besteht, ist, dass viele nicht wissen, dass es existiert, ich selber wusste es nicht. Ich denke auch, dass ... James." Sie würgte das Wort hervor und dachte sogleich wieder an ihr bevorstehendes Kind, sie hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, welche Auswirkungen dieses Kind, welches ja auch seines war, auf ihn hatte. Sie riss sich zusammen und sprach weiter. "Dass James nicht weiß, dass es noch existiert, so wie ich ihn gekannt habe, hätte er nichts dagegen gehabt, ziemlich sicher nicht." Diese Worte ließen die anderen aufhorchen und Anna schien überrascht. "Hätte er nicht?" Alaina schüttelte den Kopf und die anderen jubelten leicht auf. "Das ist schon mal eine gute Nachricht, doch wie können wir ihn darauf aufmerksam machen?" Miria schien zu überlegen, die Strategin in diesem Haus, das war klar. Doch Rikka war es, die schließlich meinte. "Aufruhr hatte Alaina gesagt? Wie wäre es mit einer Nachricht an einer Hauswand, die jeder sieht, dort schreiben wir unseren Missgunst auf?" "Dann wissen sie, dass es von uns ist!" warf Lydia ein, die die Stirn in Falten gelegt hatte. "Nicht unbedingt." meinte Alaina und ihre Augen blitzen. "Wenn ich mich dabei erwischen lasse, dann seid ihr aus dem Schneider, dann kann ich in der Wache, im Gefängnis einen kleinen Radau verursachen in der Hoffnung ... J- der König bemerkt dies." Dieses Mal hatte sie bewusst seinen Namen nicht ausgesprochen, sie würde ihn nur noch mit König anreden, das war unpersönlicher und weniger schmerzhaft für sie, denn er war nicht mehr ihr James, er war ihr König, dem sie untertan war, mehr nicht. "Du bist schwanger." Miria schien von der Idee nicht begeistert. "Du kannst nicht in das Gefängnis, du trägst ein Leben in dir, das können wir nicht von dir verlangen." Jera pflichtet ihr bei und die Sorge machte sich in ihrem Gesicht breit. "Außerdem trägst du den Kronprinzen oder die Kronprinzessin in dir, den Erben dieses Reiches." bemerkte Rikka und lösten damit eine Bombe aus. Es war totenstill im Raum. Daran hatte Alaina noch gar nicht gedacht, das war schon ... heftig. Sie hatte den Erben eines Weltreiches in ihren Bauch. "Wohl eher einen Bastard." meinte sie, doch Jera widersprach ihr. "Trotzdem der Erbe." Alaina schüttelte den Kopf, sie hatte einen Entschluss gefasst. "Das macht keinen Unterschied, ich mache es trotzdem. Ich ... ich habe die letzten Wochen schon schlimmeres gemacht." Wenn sie daran dachte, dass sie die erste Zeit ihrer Schwangerschaft nur gesoffen hatte, da wurde ihr ganz schlecht und sie fuhr sich mit der Hand an ihren Bauch. Eine Nacht im Gefängnis würde schon nicht so schlimm sein. Jera blickte sie ernst an und die anderen Frauen begannen immer noch zu protestieren, doch ihre alte Freundin wusste, dass sie nichts mehr von ihrem Plan abbringen konnte, dazu war Alaina viel zu stur. "Ich brauche nur einen Farbeimer und wir müssen uns ausmachen, was ich malen soll." Damit war es für sie beschlossen.

Es war in den frühen Morgenstunden, die Sonne war noch nicht aufgegangen, doch es würde bald so weit sein. Vier Tage waren vergangen, an denen sie diskutiert hatten, was sie auf die Hauswand am großen Platz direkt neben dem Schloss schreiben sollte. Doch sie hatten sich am Ende auf einen Satz geeinigt: Amherra ein Land voller Toleranz und doch zwingt uns das Alius-Gesetz zum Fall. Dies würde Information auf die bestehende Gesetzgebung machen und die Botschaft war glasklar. "Bist du dir wirklich sicher, dass du es machen willst." Miria sah die junge, schwangere Frau eindringlich an. Alle waren mitgekommen und standen einigen Meter vom großen Platz vor dem Schloss entfernt in einer dunklen Ecke. Die Hausmauer war direkt vor dem Balkon des Schlosses und jeder konnte sie sehen, aber vor allem konnte sie der König sehen, der sein Schlafzimmer direkt davor hatte, wenn er aufstehen würde, war es hoffentlich noch sichtbar und wenn es die Wachen bereits weggewischt hatten, so würde ihm die Botschaft sicherlich übermittelt werden. Sie hoffte nur, dass sie in der Wache keiner erkannte, doch dafür hatte sie auch gesorgt, denn mithilfe von Farbe hatte sie sich Sommersprossen auf ihr Gesicht gemalt und ihre Haare unter der Kapuze zu einem Knoten hochgesteckt. Zudem trug sie ein weites Kleid, welches ihre kleine Wölbung verdecken sollte. "Viel Glück." Jera drückte ihr Freundin und Alaina merkte, dass sie Tränen in den Augen hatte. "Danke, danke. Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel es uns allen, mir bedeutet." "Für die Freiheit Jera." Das war ihr Leitspruch schon in der Villa von Roben gewesen, dabei fiel Alaina auf, dass sie ihrer Freundin noch von Roben erzählen sollte, die ganze Aufregung mit der Schwangerschaft hatte sie den grausamen Tyrannen vergessen lassen, der einst ihr Herr war. Nachher beschwor sie sich, nachher erzähle ich es ihr. Sie schenkte den mutigen Frauen ein aufmunterndes Lächeln und ergriff den Eimer voller Farbe. "Dann mal los. Macht das ihr wegkommt." Mit einem Lachen entfernte sich die Frauen, damit der Verdacht nicht auf sie fiele, denn als Abtrünnige waren die Strafen viel härter wie als vollwertige Bürgerin, die Alaina ja war, nur nicht unter ihrem richtigen Namen. Sie war jetzt Aurelia Aetheritas, eine junge Frau, die hier in Amherra geboren war, so besagt es zumindest die Geburtsurkunde, die sie noch schnell in den letzten Tagen gefälscht hatten.

"Amherra ein Land voller Toleranz und doch zwingt uns das Alius-Gesetz zum Fall." las Alaina vor und betrachtete ihr Werk. Mitten an der riesigen Hausmauer vor dem Balkon des Königs standen jene Worte, die sie miteinander ausgefeilt hatten und schon ertönte auch der erste Ruf der Wache, die in dieser Gegend Nachtdienst geschoben hatte. "He." Wie vereinbart tat Alaina überrascht und wollte weglaufen, doch gegenüber von ihr packte sie jemand bereits grob am Arm. "Es ist verboten, die Hausmauern zu beschmieren und vor allem...." Weiter kam er nicht, denn er starrte mit offenen Mund die Hausmauer an und seine Miene verzog sich zu einem verwirrten Gesichtsausdruck. "Alius-Gesetz?" "Das ist das Gesetz gegen die Andersliebenden."meinte die Wache, die sie zuerst entdeckt hatte. "Was hat es damit auf sich?" Grob schüttelte er Alaina und wollte sie zum Reden zwingen, doch Alaina lächelte nur und vergewisserte sich, dass ihre Kapuze auch auf ihrem Kopf saß. Sie hatte extra einen tiefschwarzen Umhang übergeworfen, um so zu wirken, als würde sie im Schatten Illegales tun. "Ihr könnt doch lesen, malt es euch aus." Sie wählte absichtlich diese giftigen Worte, um die Wachen noch mehr zu reizen. "Vorsicht Fräulein." meinte die Wache, die sie am Arm gepackt hatte und zog sie mit sich, immer weiter, bis sie vor einem dunklen Gebäude ankamen, der Stadtwache in diesem Bezirk. Sie hatten in jedem Bezirk eine, die in dem Südviertel hatte sie schon kennengelernt oder zumindest die Wachen, die dort ihr Unwesen trieben. Trotz allen Reichtums waren immer noch die Wachen in den Armenviertel, auch wenn es eigentlich keines war, die unverschämtesten. Sie brachten sie hinein in einen Raum, der wohl der Verhörraum war. Mit einem Rumpfs landete sie auf einem Stuhl und die Wache begann ihre Hände mit einem Seil zu fesseln, wobei er nicht versäumte, die Stricke eng zusammenzuziehen. Alaina musste sich zusammenreißen, um ihn nicht anzufallen, zu lange hatte sie schon nicht mehr Fesseln auf ihrer Haut gespürt, das letzte Mal, als die Sklavenjäger in Zira sie gewaltsam mitgenommen und an Roben verkauft hatten. Der Gedanke daran ließ einen Schauer über ihren Rücken jagen. Sie fragte sich wie die Situation wohl in Zira aussah, in jener Stadt, die jetzt, wie auch alle anderen Städte von Riza zu Amherra gehörte. Dank dem König. "Was sollte das? Auf eine solche Beschmutzung folgt eine Geldstrafe, aber um das geht es jetzt nicht zwingend, was war die Botschaft dahinter?" Die Wache war nicht blöd, das musste Alaina lassen und sie beugte sich vor, bereit zu spielen.

WüstenköniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt