Kapitel 17

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Alba

Die Halle, in die sie mich gebracht haben, gleicht einer Stierkampfarena. Ich erinnere mich kaum an den Weg hierher, kalter Schweiß fließt meinen Körper hinunter. Mir ist glühend heiß, andererseits friere ich. Ich weiß nicht, ob es an meine Wunden oder der Aufregung liegt. Nicht mehr lange rede ich mir immer wieder ein. Nicht mehr lange und all das endet auf die eine oder andere Art. 

Ich laufe durch eine andere Tür als mein Vater. Wenn die Männer neben mir nicht wären, die mich mit ihrem Gewicht stützen, könnte ich wahrscheinlich nicht einmal gerade stehen. Ich schaffe es nicht mehr, bin müde und will es einfach nur hinter mir haben. Wieso erschießt er mich nicht einfach?
Wie ein Tier werde ich in die Mitte der Arena geschubst und bleibe liegen. Die Männer um mich herum grölen und brüllen, aber ich nehme es nur unbewusst wahr. Alles um mich herum dreht sich, als wäre ich auf ein Karussell.
»Steh auf du dreckige Hure« höre ich einige Männer brüllen und der Drang ihnen einen bestimmten Finger zu zeigen steigt, aber ich schaffe es nicht einmal geradezustehen.
Irgendwann höre ich meinen Vater wie er die Prüfung offiziell als begonnen erklärt: »Bienvenidos, mis hijos« ich schließe meine Augen. Mis hijos... Wie lange wollte ich, dass er mich einmal Tochter nennt? Und die Männer... die FREMDEN Männer nennt er meine Söhne. Mit großer Mühe richte ich mich auf. Ich habe meine Entscheidung getroffen, das heißt aber nicht, dass ich es ihnen einfach machen werde. »Wie ihr wahrscheinlich wisst, ist meine... ist Alba Cayetana wieder zu uns zurückgekehrt und wird heute ihre Prüfung ablegen, um« er macht eine theatralische Pause und fixiert mich mit seinen Augen »für ihre Freiheit zu kämpfen.« Das Buhen der Männer wird lauter. »Es wird mir eine Freude sein, euch mitzuteilen, dass ich derjenige sein, werde, der sie testet! Und keine Sorge, ich werde mit ihr nicht weniger Nachsichtiger sein als bei euch. Also wie heißt es so schön? Lasst die Spiele beginnen.« Oder schwing das Beil. 

Die erste Prüfung besteht aus einem rein körperlichen Teil. Hier zählt die Kraft und ich bin definitiv schwächer als mein Vater. Während ich noch am überlegen bin, wie ich meinen Nachteil ausgleichen kann, holt mein Vater aus. Ich weiche dem Schlag aus. Es war wirklich sehr knapp. Ein weiterer Schlag folgt und ich versuche die Bewegungen meines Vaters zu analysieren. Versuche mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Versuche mich an die Situation anzupassen. Sammle meine Kraft zusammen, um nicht zusammen zuklappen. 
Ich schließe die Augen, atme tief durch und weiß, was ich tun muss. Mein Ziel ist es nicht zu gewinnen, es würde mir ohnehin nichts bringen. Als mein Vater ins Leere schlägt, hole ich aus und treffe mit meiner Faust sein Gesicht. Es hat keine weitreichende Auswirkung hinterlassen, aber er war sichtlich überrascht. Ich erinnere mich an Alberto, an seine Ultimaten, an unsere Vergangenheit. Erinnere mich an das, was ich immer wollte, aber nie bekommen konnte. Erinnere mich an meine Träume, die nun sowieso nicht mehr in Erfüllung gehen werden. Erinnere mich an Manuel, Mercedes und Rafael. Rafael, wegen dem ich mich entschieden habe zu verlieren und der niemals davon Bescheid wissen wird. Der mich töten wollte und wegen dem ich jetzt sterbe, damit er seine Familie wieder vereinen kann. Eine Familie, die ich niemals haben werde. Eine Familie, wie ich sie mir immer gewünscht habe. Eine Familie, die ich nie bekommen habe, nie bekommen werde. Ich sehe in die grünen Augen meines Vaters, betrachte ein letztes Mal seinen nackten Oberkörper, dann trifft mich der Schlag, von dem ich hoffe, dass er mich ein für alle Mal erlöst.

»No sirves para nada, mierda« (du bist für nichts zu gebrauchen) mein Vater lässt mich nicht am Boden liegen. Er zieht mich an den Haaren hoch, nur um mir einen weiteren Schlag zu verpassen. Ich wehre mich nicht, genieße sogar den Schmerz, weil ich weiß, dass es das Letzte sein wird, dass ich spüren werde. Der Schmerz, der mich in ein Leben nach dem Tod einführen wird oder in das unendliche Schwarz. 

»Denkst du, ich merke es nicht? Aber so einfach mache ich es dir nicht, Alba! Steh auf und kämpfe, wie ich es dir beigebracht habe, na los!« Er fasst an meine Verbrennung und ich schreie auf.
»Na Los! Wehr dich« seine Schläge regnen auf mich nieder wie Donnerhagen. Und ja, verdammt, ich kämpfe! Ich lasse meine ganze Wut, die sich über die Jahre angestaut haben bei ihm raus und diesmal ist es mein Vater, der sich nicht wehrt, sondern sich nur in Deckung begibt. Ein Schlag. Zwei Schläge. Ich ziele auf seine Augen, seinen Zähnen, seinen Ohren und ich treffe. Als ich sein mit Blut überströmtes Gesicht sehe, bekomme ich Schuldgefühle. Ich habe ihn so angerichtet wie er mich immer und plötzlich ist mir nicht mehr alles egal. Das Blut... Sein Blut an meinen Händen macht mich zu genau das, was ich niemals sein wollte. Obwohl ich in seinen Augen das sehe, was ich immer in ihm sehen wollte, erfüllt es mich nicht mit Freude. Ich sehe in seinen Augen den Stolz aufblitzen, selbst wenn es so schnell verging wie es kam, aber es löst nicht die Gefühle aus, die ich mir gewünscht habe. Sein Stolz hat keine Bedeutung mehr für mich. 
Als ich sehe, wie er zu einem weiteren Schlag ausholt, trete ich einen Schritt zurück und bücke mich, drehe mich so zu ihm, dass ich hinter ihm stehe. Im selben Moment hebe ich mein Bein und trete ihn mit voller Kraft gegen seine Kniescheibe und er fällt um. Schnell versucht er sich wieder aufzustellen, da hole ich mit meinem Knie aus und ramme es ihm ins Gesicht. Laute O's und A's sind zu hören. Einmal glaub ich »Patrona« gehört zu haben. Ganz sicher habe ich aber Dutzende Beleidigungen gehört. Aber das ist mir egal. Ich, Alba Cayetana Márquez, habe es geschafft das mein Vater am Boden liegt. 

Mi enemigoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt