Rafael
Amalia liegt in ihrem Zimmer. Nachdem der Arzt gegangen ist, haben wir Carlos angerufen. Er wird sich in Puerto Rico umhören. Nun stehe ich vor dem Zimmer meiner kleinen Schwester und ringe mit mir selbst, ob ich ihr die Ruhe geben sollte, die sie braucht oder meinem Instinkt folgen soll und sie wecke. Ich entscheide mich für letzteres. Leise öffne ich die Tür. Mein schlafender Engel liegt im Bett, die Decke hat sie bis oben hingezogen. Ich setzte mich auf den Sessel neben ihr Bett. Lausche ihrer Atmung, die sich in meinen Ohren wie Musik anhört. Ich dachte, sie wäre gestorben. Vor sechs Jahren hatte sie angefangen sich zu verändern. Sie wurde uns gegenüber immer zickiger und aggressiver, aber wir dachten alle das wäre nur die Pubertät. Als wir vor vier Jahren in ihr Zimmer gekommen sind, war es als hätte sie die Nacht davor nicht in ihrem Bett geschlafen. Wir haben sie überall gesucht, aber nirgends gefunden, dann fand ich ihr Tagebuch. Es war nicht schwer herauszufinden, das ich an allem schuld war. Ich war früher ein echtes Arschloch. Ich dachte ein Mafiaboss zu sein, bedeutet das ich mich wie der König der Welten verhalten dürfte. Also habe ich wahllos gemordet. Frauen, Kinder, Waisen... All das hat mich nicht interessiert. Ich musste meine Wut irgendwo auslassen, also habe ich alles getötet, was bei drei nicht auf dem Baum war. Ich habe versucht mich an das typische Klischee zu halten, dabei habe ich meine Schwester vergessen. Sie war ebenso eine Waise wie ich es war. Manuel war bei ihr, als ich es nicht konnten. Irgendwann hat er mir gesagt: hermano, sich seinen Respekt in der Gemeinschaft zu verdienen, heißt diese zu beschützen und nicht zu zerstören. Erst da wurde mir das Ausmaß meiner Tat bewusst. Die Menschen respektierten mich nicht, sie fürchten sich vor mir.
Meine Schwester beginnt sich unruhig hin und her zu wälzen. Ich stehe auf, um sie zu wecken, da merke ich das sich kleine Schweißperlen auf ihrer Stirn befinden.
»Amalia.« Ich schüttle sie, versuche sie zu wecken, doch sie reagiert nicht. »Amalia« versuche ich es noch mal. Sie erschreckt sich beim Aufwachen. »Hey, mi amor. Ich bin's, beruhig dich. Ich bin hier.« Versuche ich sie zu beruhigen.
»Rafael?«
»Ja, mein Schatz, ich bin's.« Anders als erwartet, schreckt sie zurück und versucht von mir auszuweichen.
»Bitte, geh!«
»Aber Amalia-«
»Nein! Bitte Rafael, geh!« Ihre Stimme ist voller Furcht. Ich bin meinem Instinkt gefolgt, und habe damit alles verschlimmert. Was auch immer Alba und Alberto mit ihr getan haben. Sie haben sie gebrochen. Sie haben meinem Engel die Flügel gestutzt.Ich verlasse ihr Zimmer, knackse meine Fingerknochen und schwöre Rache zu nehmen. Sie alle werden mit ihrem Blut für das Leid meiner Schwester bezahlen.
Alba
Ich öffne langsam meine Augen. Meine Lider sind schwer. Mit großer Mühe schaffe ich es sie offenzuhalten. Es ist so heiß. So unglaublich heiß. Ich schaffe es mich auf meine Ellenbogen zu stützen. Um mich herum befinden sich meterhohe Flammen. Ich huste stark. Die Arena ist mit dichtem Rauch überzogen. Meine Kleidung riecht etwas komisch, aber darauf kann ich mich jetzt nicht konzentrieren. Ich schaffe es mich aufzurappeln. Mein Bein hat aufgehört zu brennen oder zumindest spüre ich keinen Schmerz mehr. Alles ist wie betäubt, ich schätze, es ist die Nachwirkung von dem Nervengift oder das Adrenalin. Mit aller Kraft versuche ich mich durch die Flammen zu kämpfen. Vor dem Ausgang renne ich durch die Flammen. Da ist er wieder... der Schmerz. Draußen angekommen werfe ich mich zu Boden und versuche die Flammen auf mir zu löschen, indem ich mich auf den Boden rolle.
Mein Atem geht schneller, hektischer. Ich verweile einige Minuten flach liegend auf der Erde. Ich glaube, ich bin sogar kurz ohnmächtig geworden, denn als ich jetzt die Augen öffne ist es nachts. Alles an mir schmerzt. Meine Haare sind verbrannt, meine Arme und Beine haben zahlreiche Verbrennungen und mein Gesicht fühlt sich an als hätte ich zulange in den heißen Ofen geschaut. Ein kühler Wind weht. Es fühlt sich an wie eine erleichternde Abkühlung. Ich es schaffe wieder auf meine Beine zu stehen. Langsam, sehr langsam versuche ich mich auf dem Weg zum Strand zu machen. In einer der Höhlen habe ich mich früher immer mit Alberto versteckt, dort hat er mich auch versorgt und behandelt, wenn meine Wunden schlimmer waren.Ich kann das Meer bereits riechen, kann das Salz riechen und den Sand spüren. Ein erleichterndes Gefühl macht sich in mir breit. Als ich die Höhlen sehe, würde ich am liebsten vor Freude weinen. Es dauert ein wenig, bis ich genau die Höhle wiederfinde, in der Alberto und ich immer unsere Zeit verbracht haben. Aber dann... endlich.
Ich stehe am Eingang der Höhl, zögere einen Moment, bevor ich reingehe. Albertos Geruch hängt noch überall im Raum. Ich achte nicht auf die Einrichtung oder darauf was noch von Alberto und mir übrig geblieben ist. Mein erstes Ziel richtet sich auf den kleinen Schrank auf der rechten Seite der Höhle, dort hat Alberto die ganzen Utensilien gebunkert. Ich öffne den Schrank und hole den Koffer heraus. Zuerst nehme ich mehrere Schmerztabletten, sie sind homöopathisch, nur deshalb nehme ich sie, wenn die Schmerzmittel chemisch wären, statt pflanzlich würde ich eher an die Pein sterben, als sie zu nehmen. Als Nächstes greife ich nach der Salbe gegen Verbrennungen und creme mich langsam damit ein. Die kühlende Wirkung der Salbe lässt mich wieder etwas ruhiger atmen. Der schwierigste Schritt steht mir noch bevor. Ich warte ein wenig, versuche mich erst zu beruhigen und mein Zittern wieder unter Kontrolle zu bringen. Nach einigen Minuten greife ich nach dem Flachmann im Koffer. Ich trinke einige Schlücke, dann schütte ich es über meinen Oberschenkel. Mein Atem geht wieder schneller, verdammt, wieso brennt es so stark?! Ich beiße mir auf die Unterlippe, um ein Schrei zu unterdrücken. Dann nehme ich mir die Pinzette. Ich führe die Pinzette in meinen Oberschenkel, wo sich noch immer die Kugel befindet. Es dauert eine Weile, doch letztendlich schaffe ich es die Kugel herauszunehmen. Ich trinke einen weiteren Schluck vom Alkohol, dann desinfiziere ich die Nadel. Der nächste Schritt ist der schwierigste. Ich führe den Faden durch die Nadel, dann beginne ich mit dem ersten Stich. Und dann noch einen. Und noch einen. Mit voller Konzentration versuche ich nicht ohnmächtig zu werden. Nach 36 Stichen habe ich es geschafft. Ich desinfiziere meine Wunde noch ein letztes Mal, dann die Brandwunde. Nun habe ich alle Wunden versorgt. Ich darf jetzt nicht einschlafen. Zuletzt lehne ich mich an die kühle Wand und betrachte unsere Höhle. Sie ist schön groß, aber auch nicht zu groß. Alles ist sehr übersichtlich, Versteckmöglichkeiten gibt es keine. Auf den Anthrazitfarbenen Boden haben Alberto und ich damals einen Rosafarben Teppich ausgebreitet. Eigentlich nur, weil er sehr flauschig ist. Darauf befindet sich ein kleiner Tisch, auf denen wir früher unsere Getränke abgestellt haben. Wir haben nicht oft Zeit hier verbracht, aber wenn, dann waren wir immer sehr lange da. Leider muss ich an einer unserer Tage, die wir hier zusammen verbracht haben, zurückdenken.
»Weißt du was das besondere an Wasser ist, hermosa?« Ich liege auf Albertos Schoß, während er mir beruhigend durch die Haare streicht.
»Das es flüssig ist?« Er lacht. Ich liebe seinen Lachen.
»Nein, Sherlock. Wasser ist mächtig. Du kannst es problemlos trinken, du bestehst größtenteils aus Wasser und doch kann Wasser dich töten. Es gibt es in jedem Zustand: Gasförmig als Wasserdampf, fest als Eis und flüssig. Wasser kann Leben nehmen und Leben geben. Unglaublich, oder?«
»Ich finde es unglaublich, dass du dir über so etwas Gedanken machst, Beto.«
»Worüber machst du dir Gedanken, wenn du nicht gerade an mich denkst, hermosa?« Oh Gott, ich spüre die Hitze in meinen Wangen aufsteigen.
»Ich weiß nicht... Ich denke oft über das Herz nach, Beto. Über die Liebe. Ich meine, wie oft und wie leicht sagt jemand ›ich liebe dich‹- zu leicht und auch auf zu viele Arten. Ich liebe dich als Ehefrau, Freundin oder auch nur als Schwester. Ich liebe es die Zeit mit dir zu verbringen oder mit dir zu sprechen. Du kannst auf dutzende Arten jemanden lieben.«
»Worauf willst du hinaus, hermosa?« Ich reagiere nicht darauf, sondern führe meinen Gedanken fort.
»Wenn du aber zu jemanden sagst: ›du gehörst mir‹, ist es mehr wert als ›ich liebe dich‹. Du kannst jemanden nicht auf dutzende Weisen besitzen. Wenn du zu jemandem gehörst, weißt du, dass du beschützt wirst und das immer jemand hinter dir steht und dir den Rücken stärkt. Es ist einfach... unbeschreiblich. Also, ich meine dieses Gefühl...« Er schweigt einige Minuten, in denen ich die Decke mustere und seine Bewegung genieße, wäre ich eine Katze, würde ich wohl laut knurren, und meine Vibration würde Alberto ermutigen, nicht damit aufzuhören – niemals.
»Alba?«
»Mmmh?«
»Du gehörst mir, hermosa.« Ich drehe mich zu ihm und sehe ihn in seine wunderschönen blauen Augen, dann schüttle ich den Kopf. Ich kann ihn nicht gehören, er liebt mich nicht. Er liebt sie.
»Ich werde immer ein Teil von dir sein, Beto. Aber du kannst nicht sagen, dass ich dir gehöre. Unsere Herze schlagen anders zusammen.«
Ein schmales Lächeln bildet sich auf seine Lippen, dann beugt er sich hinunter und küsst meine Stirn.
»Para siempre, hermosa.« (Für immer) ich nicke und wiederhole seine Worte: »para siempre, Beto.«Ich ziehe den Stift aus meinem Schuh und notiere mir die Nummer von Manuel auf meinen Arm. Ich darf sie nicht vergessen, falls ich meinen Verstand verlieren sollte. Langsam aber sicher glaube ich nämlich das genau das passiert. Ich verliere meinen Verstand, denn ich vermisse meinen besten Freund.
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Mi enemigo
RomanceAlba Márquez ist die Tochter eines Kartellanführers. Ihr Leben besteht aus Gewalt, Drogen und Gefahren. Oft muss sie mitansehen, wie unschuldige Menschen unter der Gewalt ihrer Familie leiden müssen. Dem Druck nicht mehr standhaltend können, f...