Capitulo 8

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Alba
Das Essen ist gekocht, der Tisch gedeckt und die Sonne ist schon untergegangen. Jeden Moment werden meine Gäste an genau diese Tür klopfen, die ich seit einer Stunde beobachte. Ich weiß nicht, was mich erwarten wird. Rafael ist kein Mann, der vergisst. Ich kann nur hoffen, dass er Hernández nicht sofort umbringt, wenn er ihn sieht. Und Hernández? Ich kann ihn gar nicht einschätzen und das bereitet mir am meisten sorgen. Hernández ist das, was man einen Psycho nennt. Dass er seinen Tod vorgetäuscht hat und mich dabei jahrelang beobachtet hat, verunsichert mich nicht nur, sondern macht mich verrückt, vor allem weil es mir wieder einmal beweist, wie ähnlich wir zwei uns sind. Ich bezweifle nicht, dass er von meinem Plan Bescheid weiß, dennoch frage ich mich, wieso er jetzt kommt, wo er mich doch schon vor Monaten hätte ansprechen können. Er hätte sich zeigen können, als ich noch am Überlegen war, wie ich Rafael anlocke. Ich stehe auf, um noch einmal das Salz zu kosten und die Vorspeise zu überprüfen, es ist das sechste Mal, das ich es tue. Erinnerungen an seine Beerdigung erscheinen vor mein inneres Auge. Alberto war so unfassbar traurig darüber. Bis auf das eine Mal hat er tagelang nicht gesprochen, geschweige denn gelacht. Ich habe Hernández nie kennengelernt, bis auf die Geschichten die sein Vater und Bruder mir erzählten. Ich erinnere mich an das eine Mal, als Don Emilio gerade dabei war mich auszuziehen. Er hat es langsam getan, erst meine Hose, dann mein T-Shirt. Als er gerade an meine Unterwäsche wollte, bekam er einen Anruf. Er verließ das Zimmer, nur um einige Minuten später wutentbrannt wieder in das Zimmer zu stürmen und mich zu schlagen. Dreizehn Schläge. Ich habe sie mitgezählt, weil es mich so von den Schmerzen abgelenkt hatte, von der Machtlosigkeit. Fünf dieser Schläge trafen mein Gesicht. Immer wieder sagte er dabei: Du bist wie der Hurensohn, der sich mein Sohn nennt, Albita. Du bist eine Schande der Familie und es nicht würdig den Namen Suarez oder Márquez zu tragen. Gerne hätte ich ihm geantwortet, dass er mich nicht heiraten müsste. Dass es für uns beide doch ein Segen wäre es nicht zu tun. Mit fünfzehn Jahren heiratete ich dieses Arschloch zum Glück nur kirchlich, deshalb trug ich nicht seinen Namen. Ich konnte danach tagelang nur humpelnd Laufen, musste aber dennoch am Morgen die Wohnung putzen, am Mittag das Essen kochen und am Abend trainieren. Als mein Vater mein ramponiertes Gesicht und die Flecken an meine Armen sah, lachte er mich aus. Ihr hatten anscheinend eine wilde Nacht gehabt, puta. Sagte er, während er mit seinem Zeigefinger in meine Wunden bohrte. Ich wusste, du bist genauso eine dreckige Schlampe wie die meisten deiner Art. Seine Worte hatten mich mehr verletzt als es seine Berührungen oder Don Emilios Fäuste jemals könnten. Später habe ich erfahren, dass es einer der Männer waren, die Don Emilio angerufen hatten, weil Hernández wieder einmal nicht zum Training erschienen ist. Ich bin mir sicher, zu einer anderen Zeit wären Hernández und ich sicher Freunde geworden. Zwei gebrochene Seelen die sich zu einer ganzen zusammenschmelzen. Während Don Emilio mich für die Fehler seines Sohnes büßen ließ, war es Alberto der meine Wunden pflegte. Nach dem, was mir Simon erzählt hat, ekle ich mich vor mir selbst. Ich ekle mich davor, dass ich die Augen vor der Wahrheit verschlossen habe. Kein Mensch hätte so perfekt sein können, wie es Alberto Suarez war. Man hat mich dazu gebracht den einzigen Typen, der genauso litt wie ich, zu hassen. Weil ich jedes Mal für seine Fehler bestraft wurde, so auch als er den Suizid begann. Don Emilio war glücklich darüber. Hernández war nicht sein leiblicher Sohn und ihn jetzt loszuhaben war für ihn eine Erleichterung, dennoch wollte er, dass er während einer Schlacht oder einer Mission stirbt, nicht aus Eigeninitiative. Nach der Beerdigung schlich er sich in mein Zimmer. Ich hatte bereits geschlafen, als ich die kalte Klingel an meine Wange spürte. Er sagte nichts, sondern führte das kalte Metall einfach meine Wange bis herunter zu meinem Dekolleté. Dann zog er mir die Decke weg und öffnete seine Hose, küsste das herunterlaufende Blut weg, befummelte mich mit seinen Händen. Legte eine Hand an meine Brust, während er mit der anderen meinen Slip herunterschob... Drei Stunden pure Folter. Drei Stunden Sehnsüchte des Todes. Den Schnitt habe ich versucht mit einem Schal zu bedecken. Die an meiner Wange habe ich damit erklärt, dass es ein Trainingsunfall war. Ich wollte mir nicht noch mehr die Blöße geben und sagen, dass es Don Emilio gewesen war. Es hätte ohnehin nichts daran geändert. Ich schließe einen Moment die Augen, um das Bild zu vertreiben. Es geschah genau zwei Monate nach meinem Geburtstag, nach meiner Auktion. Das Klopfen an der Tür lässt mich wieder zur Besinnung kommen. Es rettet mich vor falschen Gedanken.
Rafael steht in einem schwarzen Anzug vor mir. In seiner Brusttasche befindet sich ein rotes Einstecktuch und das Symbol eines sechs streifigen Adlers der nach rechts schaut. Ich muss lächeln als mir Rafael, ganz Klischeehaft eine rote Rose reicht. Für den Moment sind Don Emilio und seine perversen Spiele vergessen. »Señorita« begrüßt er mich. Ich schüttle belästigt den Kopf und deute ihm an herein zu treten. »Wer hätte gedacht, dass jemand wie du romantisch sein kannst?« Höhne ich.
»Auch in mir stecken Überraschungen, princesa.« Bei dem Kosenamen ziehe ich eine Augenbraue hoch, kann mir das grinsen aber nicht verkneifen. Wie gerne würde ich ihm sagen, wie recht er doch mit seiner Aussage hat. »Was ist los? Meinetwegen musst du doch nicht aufgeregt sein.« Sofort erinnere ich mich an den Gedanken bevor er gekommen ist. »Deinetwegen hätte ich mir nicht noch einmal diese Mühe gemacht.« Lüge ich. »Bitte? Es ist ein Geschenk, das ich überhaupt da bin.«
»Geschenk? Ich würde es eher Kontrolle oder Aufsicht nennen.«
»Nenn es, wie du willst, am Ende ist es dasselbe.«
»Setzt dich schon mal, Herr Geschenk. Ich komme gleich.« Er geht an mir vorbei und in das Wohnzimmer, während ich in der Küche die Aperitifs vorbereite. Ich nehme die Platte, die ich vorbereitet habe und trage sie zum Tisch. Rafael beobachtet jeder meiner Bewegungen. »Woher hast du das Kochen gelernt?« Ich lege die Platte ab, ziehe mir ein Stuhl zurück und setze mich. Im Hintergrund läuft leise Musik. »Hier. Also in El Paso. Ich habe früher keine Zeit dafür gehabt, weil ich die Wohnung schrubben musste und all so was. Mein Vater hat -zurecht -  geglaubt, ich könnte das Essen vergiften oder es versalzen. Ebenso wie mit der Wäsche. Das waren die einzigen Dinge, die ich im Haushalt nicht übernehmen musste: die Wäsche und das Kochen.« Ich schlage mein rechtes Bein über das Linke. »Was hat es mit diesem Hernández auf sich?« Wechselt er das Thema. Ich werde Rafael nicht erzählen, dass ich den Kopf für ihn hinhalten musste. »Wir sind beide Verstoßene.« Ist die einzige Antwort, die ich ihm gebe. Ich fühle mich noch nicht bereit dazu Rafael vollen Herzens zu vertrauen, auch wenn sich unser Verhältnis verändert hat. Rafael steht auf uns stellt den Fernseher, aus dem gerade das Lied corazón sin cara von Romeo Santos läuft, lauter. »Señorita« er reicht mir seine Hand. Ich überlege noch, ob ich sie nehmen soll, da zieht er mich an meinem Handgelenk nach oben, sodass ich fast gegen seine Brust knalle. »Nur vorsichtig, Romeo«, tadle ich ihn belustigt »Wenn die Julia nicht hören möchte« erwidert er und legt dabei vorsichtig meine Hände um seine Schultern. Aus einem Impuls heraus will ich sie zurückziehen, doch er hält mich davon ab, indem er sie wieder zurück auf seine Schulter legt und mir damit den Augen die Worte: Ist schon okay vermittelt. Trotz meines Widerwillens lasse ich meine Arme auf seine Schulter. Eine Berührung, die ich früher nicht einmal zugelassen hätte, wenn mein Leben davon abhinge. Es war schlicht nicht möglich Berührungen auszuhalten, vor allem die der Männer. Es sei denn, ich berührte die Menschen oder es waren kurze Umarmungen oder Wangenküsse von geliebten Personen. »Dir ist schon klar, dass Romeo und Julia nur wenige Tage als Paar lebten, bevor sie sich für die Liebe opferten?« Wir bewegen uns langsamer als das Lied es verlangt. »Du klingst als würdest du nicht an die Liebe glauben« stellt er fest. Beschämt, schaue ich auf unsere Füße die sich synchron vor und zurückbewegen. Hat er recht? Glaube ich nicht an die Liebe? Aber wieso sollte ich nicht daran glauben, wenn es das Einzige ist, wonach ich mich sehne? »Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Ich finde es nur schwachsinnig von Romeo das er sich auch getötet hat... von wegen ›opfern‹« versuche ich meine Gedanken zu entwirren. Lasse aber mein Blick auf unsere Füße gerichtet. Mit seinem rechten Zeigefinger hebt Rafael vorsichtig mein Kinn an, damit ich ihnen in die Augen sehe. Seine Bewegung ist zärtlich, weich. Als hätte er Angst etwas Wertvolles zu zerbrechen. Als würde er mir sagen wollen, dass es in Ordnung wäre, wenn ich nicht zu ihm schaue, er es sich aber wünscht. All das trifft mich so unerwartet. Niemals hätte ich Rafael so eingeschätzt. Vor Mexiko sah ich in ihm meinen Feind. Meinen Todfeind. Der mich töten wollte und angeschossen hat. Der mich in seinem Keller gefangen hielt und mich verprügeln ließ. »Was stört dich daran, dass er sich für die Liebe opfert?« Seine Stimme ist rau und seltsam belegt, als wäre es nicht seine eigene. Ich schaue ihm in seine Karamellfarbenden Augen und atme tief durch. »Es ist unsinnig. Wie konnte er denken, dass Julia sich so etwas gewünscht hätte? Dass sie mit dem Gedanken hätte leben können, dass er ihretwegen gestorben ist? Ich würde mir wünschen das man für mich überlebt, denn in Wahrheit ist das Leben die Herausforderung, nicht der Tod.« Rafael zieht mich näher an sich, nicht sehr viel. Sondern gerade so viel, dass ich protestieren könnte, wenn es zu nah wäre. Mit einem Mal verstehe ich, was er gerade versucht. Er möchte schauen wie weit er gehen kann. Ein Teil in mir möchte das ebenso ergründen. Möchte wissen, wie aufregend und abenteuerlustig all das wird. Wie weit unser Flirt geht. Es ist der Teil, der sich schon immer so etwas wie das hier gewünscht hat. Die Romantikerin, die Klischees liebt und ihren Prinzen sucht, der sie irgendwann aus ihrem Schloss befreit und mit ihr in den Sonnenuntergang reitet. Es ist der Teil, der schon immer geliebt werden wollte und nach Anerkennung lechzte. Jene die ihr von der Familie verwehrt wurden. Auch wenn ich es niemals zugeben würde, habe ich im Training ein Muster erkannt. Rafael ist ein Anführer. Ein Lob aus seinem Mund bezüglich meiner Leistung ist dasselbe wie das, was ich mir jahrelang von meinem Vater gewünscht habe- oder sogar noch mehr. All das ist der emotionale Teil in mir. Der rationale Teil will zur Seite treten und den Tanz beenden. Ihm die kalte Schulter zeigen und verdeutlichen, dass es nie mehr als die kleinen Flirts geben wird. Seine Stimme unterbricht meine Gedanken darüber, zu welcher Seite ich mich bekennen sollte. »Interessant, aber du hast da eine Sache übersehen. Was ist, wenn du in Gefahr bist und die einzige Chance dein Leben zu retten, die ist, seines zu riskieren?« Unsere Gesichter sind uns zugewannt, nur wenige Zentimeter trennen unsere Nasen, während seine Arme noch immer um seine Taille ruhen und meine Arme auf seinen Schultern. Tatsächlich habe ich noch nicht darüber nachgedacht. Irgendwie schien es mir unmöglich, dass mich ein Mann wirklich so lieben könnte, dass er dazu bereit wäre sich nicht nur für mich zu opfern, sondern vor allem für mich zu kämpfen. Denn bedeutet es nicht genau das? Ich komme nicht dazu zu antworten, da klingelt Rafaels Handy. Fluchend tritt er einen Schritt zurück, zieht es sich aus der Hosentasche und will es schon wegdrücken, da stockt er und starrt auf das Display. Er entschuldigt sich und meint, es wäre wichtig. Der emotionale Teil, der glaubt, dass das eben real war, will protestieren und sagen er soll bei einem Date gefälligst sein Handy ausschalten. Der rationale Teil ist froh darüber, weil ich nicht weiß wie lange oder wie nah wir sonst noch getanzt hätten. Sein Fluchen lässt mich kurz zusammenzucken, dann legt er energetisch auf und wählt eine Nummer auf seinem Handy. All das tut er, ohne mir auch nur eine Sache zu erklären. »Pedro?« Höre ich ihn sagen. Eine Vorahnung beschleicht mich und ich bete innerlich, dass es nicht, dass es was ich denke. »Komm zu Cayetana nach Hause. Du« er schaut wieder zu mir. Seine Miene ist steinhart. Als wären wir wieder an den Punkt angelangt, an denen wir uns hassen und verabscheuen. Wut keimt in mir auf. Wut über mich selbst, dass ich tatsächlich für einen Moment geglaubt habe, dass Rafael es wert wäre über meinen Schatten zu springen und zu erkunden, was mir die Welt gibt. Wut darüber, dass er mich wahrscheinlich bei unserem vorgespielten Date alleine lassen würde, dabei fühlt sich die Abweisung genauso hart an wie wenn es ein echtes und kein gefaktes Date wäre. Wut darüber, dass ich wieder geglaubt habe einen Anker gefunden zu haben, der sich wahrscheinlich nur als ein weiterer Betonklotz herausstellt, der mich nicht hält, sondern herunterzieht. »Musst sie bei einem Meeting begleiten.« Da sind die Worte. Sechs kleine Worte, die mich wieder klar denken lassen. Die mir aufzeigen, wie viel ich ihm eigentlich bedeute. Ein Meeting. Ich schäme mich über mich selbst. Während ich noch in der Vorstellung lebe, es sei ein Date, wenn auch nicht im eigentlichen Sinne, war es für ihn nur ein Meeting.
Er legt auf und steckt das Handy in seine Hosentasche. Ich laufe zum Tisch und ordne die Aperitifs, die eigentlich schon genau richtig stehen, nur damit meine Hände eine Beschäftigung haben und ihn nicht aus Kummer versehentlich ohrfeigen. Pedro soll mich heute den Abend über begleiten? Kein Francisco und kein Mikael. Sondern Pedro. Der Mann, der mich ohnehin seit Beginn gehasst hat. Ich bin froh, dass es nicht Manuel ist, denn ihn hätte ich wahrscheinlich einen Topf hinterher geschmissen, wenn er so tun müsste, als wäre es ein Date. Mit ihm einem Date vorzuspielen, wäre genauso schmerzhaft wie mir das eigene Fleisch zu verbrennen. »Ich muss zu meiner Schwester. Sie braucht meine Hilfe, wegen einer Panikattacke.« Ich höre seine Stimme entfernter von mir. Als ich mich umdrehe, sehe ich ihn bereits an der Tür. Er verschwindet schnell, ohne eine Erklärung oder wenigstens einen ordentlichen Abschied. Er verschließt die Tür hinter sich und aus irgendeinem Grund fühlt es sich so an, als hätte er mich im Regen stehen lassen oder mich nun gänzlich aus seinem Leben gesperrt. Als hätte er die Tür zu seinem Herzen verschlossen, damit ich niemals einen Einlass darin habe. Ich möchte nicht sauer auf Amalia und ihre Panikattacke sein, aber aus irgendeinem Grund bin ich es.

Mi enemigoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt