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Wir saßen am einzigen Tisch auf der riesigen Dachterrasse und außer uns, standen nur drei Kellner an der Bar, einige Meter von uns entfernt.

Langsam fing es an zu dämmern und ich wandte meinen Blick von der Sonne ab, um zu meinem Freund zu sehen. Er griff nach meiner Hand und ich lächelte ihn fragend an.

"Es ist atemberaubend oder? Die Aussicht von hier oben hat mich schon fasziniert als ich jünger war", sagte er ruhig und ich konnte nicht anders, als erneut einen Blick auf die Stadt zu werfen. Es war wirklich schön.

"Ich dachte es gefällt dir vielleicht mehr, wenn wir die Terrasse für uns allein haben. Ohne andere Leute", meinte er verlegen und fuhr sich unsicher mit der rechten Hand durch seine Haare.

"Ja, es gefällt mir. Sehr sogar. Danke, Kyle, das wäre wirklich nicht nötig gewesen", entgegnete ich. Es war wie der perfekte Abend, den man sich vorstellte, wenn man ein Date mit seinem Freund plante.

Er lachte leise und schenkte mir einen scheinheiligen Blick. Der heckte doch mal wieder etwas aus!

"Doch es ist notwendig. Ich muss mich nämlich entschuldigen, für eine Sache, die ich nie hätte sagen dürfen", sagte er ruhig und das Lächeln, welches noch zuvor auf seinen Lippen lag, war verschwunden. Er wirkte ernst.

Ich beschloss lieber meine vorlaute Klappe zu halten und einfach abzuwarten, was er mir beichten wollte. Von all den Dingen die er in meinem ganzen Leben zu mir gesagt hatte, war es nämlich keine einzige wert, dass er mich zum Essen einlud und die ganze Dachterrasse des Restaurants reservieren ließ.

"Wahrscheinlich erinnerst du dich nicht mehr daran, aber es war vor etwa zwei Jahren, in der Schul-Cafeteria", er schluckte einmal, bevor er fortfuhr, "Ich habe gesagt, dass du verrecken sollst, mit deinem perfekten Leben, deiner Perfekten Familie und dem noch perfekterem Geld. Und das habe ich nur gesagt, weil du an dem Tag mit deinem neuen Auto zur Schule gekommen bist. Ich weiß, ich hätte das niemals sagen dürfen, erst recht nicht, weil ich keinen Deut besser oder anders bin, als du. Mir war zu dem Zeitpunkt einfach nicht klar, dass deine Mutter gestorben war, dein Vater einen neue Frau gefunden hatte und am allerwenigsten hätte ich gedacht, dass du damals so einsam warst"

Autsch.
Das traf mich mehr, als es sollte. Erstens, fragte ich mich, weshalb er sich so genau an dieses eine spezifische Wortgefecht erinnerte und zweitens, war ich verwirrt. Weshalb hielt er es für nötig, sich zwei Jahre später für etwas zu entschuldigen, was ich für meinen Teil, sowieso seit langem vergessen hatte.

Meine eine Gehirnhälfte versuchte mir verzweifelt mitzuteilen, dass es ihm wirklich leid tat und ich nicht so eine kalte Zicke sein sollte, während die andere Hälfte meinte, er tat das nur, weil er Eindruck schinden wollte. Beide Seiten hatten gute Argumente, doch ich wusste dennoch nicht, was ich ihm antworten sollte.

"Ich habe ehrlich gesagt öfter darüber nachgedacht,  seitdem ich mit dir auf dem Friedhof war. Ich habe weder ein Elternteil verloren, noch bin ich Scheidungskind mit einer Stiefmutter. Aber ich glaube, dass es schwierig ist, wenn der eigene Vater mehr Zeit in die Arbeit und die neue Frau investiert, als in sein Kind", ergänzte er die passende Erklärung zu seiner Entschuldigung und ich legte mit zusammengekniffenen Augen, den Kopf schief.

"Das ist rührend, dass du über deine Worte von vor zwei Jahren nachgedacht hast, aber es ging mir gut. Genauso, wie es mir jetzt gut geht. Deine Worte sind lieb gemeint, aber ich habe nicht den blassesten Schimmer, was ich mit ihnen anstellen soll. Ich habe das, wovon du sprichst, bestimmt schon vor Jahren vergessen", entgegnete ich kühl und nahm einen Schluck meines Getränkes.

Er runzelte die Stirn, ließ meine Hand los und sah nachdenklich zur langsam immer weniger strahlenden und somit auch weniger Krebserregenden Sonne.

MaeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt