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Ich verbrachte gern meine Nachmittage bei den Everstones. Dort war es so viel idyllischer als in unserem Haus. Niemand schrie, niemand brüllte, niemand fluchte.

"Jacob! Du verdammter Arsch!"

Ach es war so friedlich hier.

"Frag nächstes mal wenigstens, bevor du sie einfach abholst und mich stehen lässt! Ich hab 20Minuten nach der Hexe gesucht, nur damit mir die Tante aus'm Sekretariat sagt, dass sie bereits seit einer Stunde weg ist!"
Kyle hatte eine kleine Wut-Falte auf der Stirn und die Ader an seiner Schläfe war dem Platzen nahe.

"Beruhig dich mal bitte. Wir haben was für eure Verlobungsfeier gemacht", entgegnete Jacob scharf und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich hatte mich bereits klammheimlich an den beiden vorbei geschoben und stand in der Küche mit einem Glas Saft in der Hand. Bestimmt hätte ich Kyle eine Nachricht schreiben können, aber ich würde bestimmt nicht zugeben, dass ich das total vergessen hatte. Ich hatte es nicht einmal in Erwägung gezogen, bevor er uns fluchend am Hauseingang begrüßt hatte.

Schnaubend warf er die Eingangstür zu und funkelte seinen älteren Bruder wütend an.
"Das ist keine Entschuldigung dafür, dass ich wie ein Irrer die ganze Schule durchkämmt habe! Auf der Suche nach meiner, ich betone meiner Freundin!"

Oh, das klang irgendwie toll, wie er 'meine Freundin' aussprach. Verdammt ich dumme, schwache Nuss verfiel ihm ja tatsächlich immer mehr.

"Apropos", knurrte Kyle und legte seinen Blick bedrohlich auf mich. Oh verdammt.
"Warum hast du dich nicht gemeldet? Ich habe bestimmt 10 Mal angerufen und du hättest ja auch mal Bescheid geben können, dass du schon weg bist!"

Langsam schluckte ich den Saft herunter und stellte das Glas leise auf der Küchenzeile ab, in der Hoffnung er würde so nicht noch mehr wütend werden. Vorsichtig kam ich den Beiden einen Schritt näher und ergriff das Wort.
"Ich hab einfach nicht daran gedacht dir eine Nachricht zu schicken, tut mir leid"

Das war anscheinend nicht das, was er hören wollte. Wenn es in seiner Wut überhaupt etwas gab, was ihn beruhigen konnte. Er war wie ein tobender Taifun, oder ein Tsunami oder Tornado.

Immer noch aufgebracht lief mein Verlobter auf mich zu und griff grob nach meinem Arm. Er sah wirklich ziemlich angsteinschüchternd aus, mit den zusammen gekniffenen Lippen und dem vorgeschobenen Kiffer. Tatsächlich erinnerte er mich so, wie er meinen Arm packte und mich weiterhin anbrüllte, an meinen Vater und das ließ mich noch mehr zurückschrecken. Seine Hand auf meiner Haut fühlte sich eiskalt und keineswegs so warm wie sonst an. Vollkommen perplex war ich nicht in der Lage etwas zu tun. Oder zu sagen. Das machte mir Angst. Was passierte hier grade?

Wie hinter einer Scheibe aus Milchglas sah ich sein Gesicht und mir wurde schwindelig. Ich wollte meine Augen schließen, doch es ging nicht.
Gedämpft hörte ich ihn weiter auf mich einreden und langsam breitete sich ein immer lauter werdendes Piepen in meinem Gehör aus. Als säße man in einem Flugzeug.

"Mein Gott, Kyle!", Jacob stand urplötzlich neben uns und riss seine Hand von meinem Arm, "Hör auf sie so anzuschreien! Du erschreckst sie ja wortwörtlich und du siehst nicht mal, wie sehr du ihr grade Angst machst. Jetzt komm mal wieder runter."

Beschwichtigend hob Kyle seine Hände hoch und drehte sich, immer noch aufgebracht, von mir weg. Ich stand weiterhin, wie eingefroren, auf dem selben Fleck und schaute ihm erschrocken hinterher. Das grelle Geräusch in meinen Ohren war unerträglich laut und ich drückte mir auf einer Seite das Ohr zu. Das brachte nur recht wenig.

Jacob hielt mich an beiden Schultern fest und sah mich besorgt an. Ich war wohl mal wieder in Gedanken versunken und dementsprechend unzugänglich für seine an mich gerichteten Worte gewesen. Vorsichtig parkte er mich auf einem der Küchenstühle und kniete sich sanft lächelnd vor dem Stuhl auf den Boden.
"Alles gut? Die bist total blass geworden, als du zur Salzsäure erstarrt bist"

MaeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt