- Unsere Gesetze -

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Ein leises Klopfen an meiner Tür reißt mich aus meinen Gedanken und ich drehe den Fenster dem Rücken zu, bevor in die Person herein bitte. Für den Bruchteil einer Sekunde mustere ich den Eintretenden etwas verwirrt, bis mir einfällt, dass ich Cook gebeten hatte den neuen Schiffsarzt zu mir zu schicken.

"Setz dich." sage ich und deute auf den einfachen Holzschemel gegenüber meines Schreibtisches, während ich weiterhin vor dem Fenster stehen bleibe und die Arme auf dem Rücken verschränke. "Nun. Chris, wenn ich mich recht entsinne?" setze ich an und der andere nickt langsam, bevor er sich durch die schulterlangen braunen Haare streicht. "Was hat dich dazu bewegt dich uns anzuschließen?" frage ich, während ich mich ihm nun doch gegenüber setze.

Er hebt seinen Kopf langsam und sein Blick trifft den meinen, während seine Mundwinkel leicht nach oben zucken. "Nun. Mir fällt es schwer eine feste Anstellung auf dem Festland zu finden und man hört viel über euer Schiff Kaiserin der See." erwidert er vollkommen ruhig, seine Stimme so weich wie das Licht der Morgensonne. "Die Männer am Kai munkelten, dass auf eurem Schiff andere Gesetze gelten würden und so sah ich meine Chance der Enge meines Lebens zu entfliehen." fährt er fort und ich stützen Kopf nachdenklich auf meine verschränkten Finger.

"Erläutere." fordere ich zu wissen. "Dort wo ich herkomme bezeichnet man mich als ein variabilis." "Ein Werwesen?" hake ich lächelnd nach, während ich an die Sagengestalt denke, die mit diesem Namen verbunden ist. Ein grausames gestaltloses Wesen, dass fließend die Form dessen annimmt, was sein Opfer am meisten begehrt. "Ein schmeichelhafter Name." füge ich ruhig hinzu, da das Gespräch langsam in eine interessante Richtung verläuft.

"Meine Gefährtin deutete gestern Abend schon etwas in der Richtung an." Gespannt erwarte ich Chris Reaktion. Er erwidert meinen Blick aus seinen hellen braunen Augen, die im hellen Licht der Morgensonne fast gelb leuchten, unverwandt. "Nun. Es ist nicht so, dass ich wirklich meine Gestalt wandeln könne. Doch in mir ist etwas fließendes. An manchen Tagen fühle ich mich in meinem Körper als Frau sehr wohl, doch an den meisten Tagen bevorzuge ich männliche Kleidung und auch eine männliche Anrede." erläutert Chris und scheint nun wiederum auf meine Erwiderung zu warten. Doch diese bleibe ich ihm schuldig.

"Nun, dann kommen wir zu deinen Qualifikationen. Du hast uns die Nachricht übermittelt, dass du Erfahrungen und Fähigkeiten auf den Gebieten der Medizin hast." fahre ich stattdessen mit einem anderen Thema fort. Chris mir gegenüber setzt sich etwas auf und scheint unsicher zu sein, was mein abrupter Themenwechsel zu bedeuten hat. "Ich wurde von einer Frau in meinem Dorf aufgenommen und sie unterrichtete mich. Vor einigen Monaten verstarb sie allerdings unerwartete." erwidert er langsam und ich nicke nachdenklich. "Hier auf dem Schiff sind deine Möglichkeiten der Handlung sehr begrenzt, doch ich bin mir sicher, dass du dich gut Einleben wirst." sage ich nun und strecke mich etwas.

"Du kannst nun gehen. Bitte Cook dich etwas herumzuführen. Bei Fragen wird er dir das nötigste Erklären." Ich erhebe mich wieder und trete ans Fenster, bevor ich mich noch einmal zu meinem neuen Arzt umwende. "Und Chris. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit. Du hast Recht, auf dem Schiff machen wir unsere eigenen Gesetze, also fühl dich in unserer Mitte willkommen." Er erwidert mein Lächeln, bevor er leicht den Kopf neigt und den Raum verlässt.

Lange währt meine Ruhe allerdings nicht, denn noch ehe sich die Tür geschlossen hat, kommt mein erster Maat herein gestürmt.

"Kalvin." sage ich und setze ich hinter meinen Schreibtisch, bevor ich ihm mit einer schlichten Geste den Platz mir gegenüber anbiete. Doch er schüttelt den Kopf und schließt die Tür hinter sich, bevor er sich wieder zu mir umdreht.

"Ich kenne ihn." bringt er hervor und ich lehne mich seufzend etwas zurück. "Würde es dich zutiefst verletzten nicht in Rätseln zu sprechen?" "Emilian, ich meine den Schiffsjungen. Den von gestern. Ich kenne ihn und zwar sehr gut." bringt er hervor und lässt sich nun doch auf den Schemel fallen, während er mich ernst ansieht. "Boss er ist der Grund, weshalb ich damals zur See gegangen bin." fügt er noch hinzu, bevor ich ihn zurechtweisen kann genauer zu werden.

"Oh." Ist alles was ich erwidere. Ich stehe auf und trete wieder ans Fenster. Am Horizont kann man noch die Hafenstadt erkennen, doch im Verlaufe der Nacht haben wir schon eine ganze Stecke zwischen uns und den Hafen gebracht. Einen Hafen, den wir in den nächsten Monden kaum anlaufen könnten. "Hat er dich erkannt?" frage ich dann und wende mich wieder zu Kalvin um.

Ich war dreizehn als ich auf diesem Schiff anheuerte, damals noch unter einem anderen Kapitän. Eines Tages als wir in meinen Heimathafen einliefen, stand er am Kai. Ein zitternder sechzehnjähriger in teuerem Umhang und mit wenig Ahnung von der rauen See. Ich nahm ihn unter meine Fittiche und bald schon hatte Kalvin sich den Respekt der Männer verdient. Er konnte lesen und hatte eine grundlegende Ahnung von Waffen, was ihn in gewisser Hinsicht qualifizierter machte als so manchen altgedienten Seemann. Doch diese Zeiten schienen einem anderen Zeitalter anzugehören. Unserer beider Vergangenheit längst vergangen und doch hatte sie meinen engsten Vertrauten und ältesten Verbündeten eingeholt.

"Ich glaube nicht. Doch es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis er mich erkennen wird." erwidert der andere und reibt sich die Stirn. "Kal, du weißt, dass du auf diesem Schiff deine Gefühle nicht verbergen musst, wenn sie gegenseitiger Natur sind. Das war eines unserer Ziele, als wir Dochers übernommen haben." versuche ich meinen ersten Maat etwas aufzumuntern. Amouröse Beziehungen zwischen Paaren gleichen Geschlechts waren auf dem Land streng verboten, doch das Meer schreibt seines eigenes Gesetz. Jeder Fahrt könnte unsere letzte sein, weshalb ich auf meinem Schiff jegliche einvernehmliche Liebesbeziehung zulasse. An Liebe ist nichts falsch, sie ist die Kraft, die uns antreibt.

"Danke. Doch das ist es nicht. Ich habe ihn damals allein gelassen Rubina. Ich weiß nicht, ob er mir das jemals verzeihen wird. Ich bin eines nachts einfach verschwunden, ohne mich zu verabschieden." Er schüttelt den Kopf und sieht in diesem Moment seltsam geschlagen aus. Ich trete neben ihn und lege ihm eine Hand auf die Schulter. "Weißt du noch, was du mir gesagt hast, als ich nicht wusste, ob ich Enja meine Gefühle zeigen soll?" "Das du um sie kämpfen sollst." "Und genau diesen Rat gebe ich dir jetzt auch." erwidere ich sanft, bevor ich mich wieder hinter meinen Schreibtisch setze.

"Und nun raus hier. Du hast ein Schiff zu leiten und ich Papierkram zu erledigen. Ach und sag allen, dass ich heute Abend eine Versammlung abhalten will. Wir müssen unser weiteres Vorgehen besprechen." Kalvin neigt den Kopf bei meinen Worten und entfernt sich schweigend.  

Das Gesetz der Hohen SeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt