"Es zieht ein Sturm auf, genau wie ich befürchtet habe." murrt Cook, der neben mir an der Brüstung lehnt und sorgenvoll die dunklen Wolken mustert. Die letzten drei Tage waren wir ohne größere Zwischenfälle gesegelt und näherten uns langsam unserer Wahlheimat.
"Es ist immer stürmisch in der Bucht der Toten." erwidert Enja ernst, die das Schiff sicher steuerte und ab und an den Männern Befehle zu brüllte. Die Stimmung war recht gelöst nach unserem erfolgreichen Beutezug und wir waren uns recht sicher, dass wir die Insel der Könige erreichen würden, bevor eines der königlichen Schiffe in unsere Nähe gelangen würde. Natürlich wäre es für die königliche Flotte kein Problem zu erraten wo sie sich aufhielten, doch noch nie hatte ein Schiff von ihnen die Bucht der Toten durchquert. Irgendwoher musste sie ja diesen schauderbaren Namen haben.
"Cook bring alle Mann unter Deck, die nicht gebraucht werden und schick Kalvin zusammen mit Emil hier rauf." ordne ich an und der Koch dreht sich Wiederstandlos um. Auch wenn wir schon viele Male diesen Weg Heim zur Insel genommen hatten, fürchteten sich viele Männer. Sie wisperten von Geistern, die aus dem Nebel auftauchten und sie in die Tiefe ziehen würden. Solche Munkellein senkten die Arbeitsmoral drastisch und so segelte ich lieber nur mit der nötigsten Besatzung an Deck durch diese Gefilde.
Der Wind bläst mir die Haare aus der Stirn und ich atme tief die salzige Luft ein, als ich schwere Schritte höre, die mir Nahe kommen. Ohne aufzusehen weiß ich, dass mein erster Maat neben mich getreten ist. "Warum willst du ihn an Deck haben?" fragt er so leise, dass ich Annehme Emilia muss nur wenige Schritte von uns entfernt stehen. Statt den Größeren anzusehen, werfe ich einen Blick hinauf zum Himmel und lächele sanft. "Das wird eine interessante Überfahrt."
"Käpt'n?!" mahnt Kalvin mich und ich seufze, bevor ich mich ihm zuwende und meine grünen Augen seine Dunklen treffen. "Cook meint, dass er wohl weniger Talent für die Küche hat und ich glaube auch nicht, dass er mit Begeisterung einem anderen schweren Handwerk nachgehen wird." erwidere ich und der andere verschränkt die Arme vor der Brust. "Er braucht eine Aufgabe in der er sich wohl fühlt und seinen Kopf gebrauchen kann." füge ich noch hinzu, bevor ich den anderen an der Reling stehen lasse und mich dem Schiffsjungen zuwende.
Er steht etwas verloren auf dem Deck, während alle anderen um ihn herum wuseln und mit den Tauen und dem Setzen der Segel beschäftigt sind. Seine Haut ist blasser und seine Gesichtszüge sind feiner, als ich es von den meisten Männern und Frauen hier gewohnt bin. Auch bevor sie angeheuert haben, waren sie harte Arbeit bei Wind und Wetter gewöhnt. Nicht wenige sind auch schon vorher zur See gefahren. Selbst die abenteuerlustigen Adligen, die sonst bei uns anheuern, hatten eine andere Aura. Sie waren meistens borniert und von sich so sehr eingenommen, dass die Reise die ein oder andere Lehre für sie bereithielt.
Doch dieser Junge war anders, seine schüchtere und zurückhaltende Art erinnerte mich auf seltsame Weise an Kalvin, als er von vier Jahren auf dem Schiff um Ansehen und Stellung gekämpft hatte. Ich hatte nie die genaue Geschichte erfahren, weshalb mein engster Vertrauter auf einem damals noch heruntergekommenen Dreimaster voller übellauniger Piraten und mit einem versoffenen ersten Maat angefangen hatte. Das einzige Gute in meinen Augen war der Kapitän der voller Toleranz, Diplomatie und Stärke gewesen war, auch wenn er ebenso viele Laster und Schwächen hatte. Das einzige was Kalvin mir in unseren langen Nächten an Deck erzählt hatte, war dass es einen Jungen gegeben hatte, jemanden für dessen Glück er alles opfern würde. Er hatte mir eine Zeichnung gezeigt und ich würde die Dochers darauf verwetten, dass er sie noch immer bei sich trug.
Doch nun stand dieser Junge hier, nach vier Jahren und schien bereitwillig alles zurückzulassen, nur um seinen Heimathafen wieder zu finden. Ich seufze leicht und trete auf ihn zu.
"Kannst du Karten lesen Emil?" frage ich und er zuckt zusammen, bevor er langsam nickt. "Ja, Madame?" Seine Antwort klingt wie eine Frage und ein kleines Lächeln huscht über meine Lippen. "Nenn mich Käpt'n." erwidere ich gelassen und winke Kalvin zu uns hinüber, der mit gebührendem Abstand mein Handeln verfolgt hat. Ich weiß nicht, ob die beiden sich ausgesprochen haben oder sich aussprechen werden, doch ich werde alles tun, dass dieser Junge, der doch noch ein halbes Kind ist, sich hier entwickeln kann. Nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten, denn die Dochers gibt jedem eine Chance.
Ich nehme einen Kompass hervor und rolle meine Karte aus. "Kalvin wird dir erklären, wo wir lang segeln und du kannst auch Enja fragen." sage ich gelassen und der Junge starrt mich aus seinen großen Augen fragend an. "Du kannst lesen und schreiben nehme ich an? Karten lesen und vielleicht sogar zeichnen, dein Talent wäre in der Küche vergeudet." füge ich hinzu, bevor ich die beiden allein am Bug des Schiffes zurücklasse und mit wachsamen Augen die Arbeit der Männer und Frauen an Deck abnehme.
"Segel einholen." befiehlt Enja gerade, als ich bei ihr ankomme. "Wie sieht es aus?" frage ich und mustere die dunklen Felsen, die sich links und rechts von uns erheben. "Wir haben gleich die Felsenge passiert. Dann müssen wir nur noch durch die Stromschnellen durch und das Schiff möglichst ruhig halten, aber bis zum Sonnenhoch morgen sollten wir durch die Bucht sein und bis zum Abend an der Insel angekommen sein." erwidert sie gelassen und schenkt mir eines ihrer sanften Lächeln, das noch immer meine ganze Welt zu erhellen vermag.
"Wie läuft es mit den Beiden?" fragt meine Freundin und nickt nach vorn, wo man die Umrisse von Emilian und Kalvin erkennen kann. "Weiß nicht. Kal hat klar gemacht, dass der Kleine unter seinem Schutz steht, jetzt muss er das Beweisen. Sie haben sich lange nicht gesehen. Wird bestimmt nicht so einfach." erwidere ich und zucke leicht mit den Schultern. "Einfach ist es nie, doch wenn es das Richtige ist, dann ist es jede Mühe wert." erwidert Enja und streckt mir eine ihrer Hände entgegen, die ich sanft mit der meinen Umfange und festhalte, während ich hinter sie ans Steuerrad trete.
Es sind diese kleinen Momente voller Frieden zwischen uns beiden, die jeden einzelnen Schritt des Weges wett machen, den wir bis hier her gehen mussten. Enjas Herz zu erobern hatte nicht lange gebraucht, doch für uns einen Platz in der Gesellschaft zu finden, den wir unsere Heimat nennen konnten...
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Das Gesetz der Hohen See
Teen FictionMein Name ist Rubina. Mein Vater ist Kapitän eines Handelsschiffes und fährt für die königliche Flotte. Früher bin ich gern mit ihm gefahren. Ich liebte die unendlichen Weiten des Meeres, die Sonne in meinem Gesicht und die Freiheit hier draußen. ...