~ Sturm und Wellengang ~

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Emilians pov.

Ich zittere noch immer vor dem zurückliegenden Angriff und bin mehr als dankbar, als Chris meint, dass wir fertig sein und ich etwas frische Luft schnappen soll. Es muss mindestens eine Stunde her sein, dass die Kaiserin zu uns nach unten gekommen ist und uns eröffnet hat, dass die Pearl abgedreht hat. Einige der älteren Mitglieder der Crew schienen fast traurig darüber zu sein, dass es nicht zu einem Mann gegen Mann Gefecht gekommen war. Doch mir war das aber nur ganz Recht.

Chris hatte mich schnell für die Arbeit eingespannt, da wir unter Deck einige Verletzte hatte, die in der Nähe gestanden hatten, als eine der Kanonenkugeln den Rumpf des Schiffes durchschlagen hatten. Mittlerweile verdeckten sorgfältig genagelte Bretter den Blick nach draußen. Enja und der Kapitän hatten die Vorsitzenden der Handwerkergewerke um sich gescharrt und schienen bereits über die Schäden zu beraten, während ich an ihnen vorbei huschte, um an Deck zu gelangen.

Kalvin hatte mir zwar vor dem Angriff eingeschärft, dass ich unten bleiben sollte, doch gerade musste ich einfach zu ihm. Seit die erste der Kanonenkugeln das Schiff getroffen hatte, hatte ich unglaubliche Angst gehabt, dass er getroffen werden könnte. Schließlich war das Steuer ein recht beliebtes Ziel neben den Masten, doch beides hatte das Gefecht auf wundersame Weise überstanden.

Als ich an Deck trete, klatschen mir einige kalte Tropfen auf die Stirn und sofort reißt der Wind an meinem dünnen Hemd. Ich sehe mich unsicher um, einige der Männer und Frauen scheinen bereits damit beschäftigt zu sein die Schäden zu beseitigen, was sich als mehr als kompliziert herausstellt, wenn immer wieder Wellen über das Schiff hinein brechen. In den sechzehn Jahren meines Lebens hatte ich noch nie so einen hohen Wellengang erlebt und ich musste zugeben, dass mich dieser Umstand ziemlich nervös machte. Noch immer zitterte mein Körper, doch mein Gehirn schien nichts um mich herum wirklich zu registrieren. Das Einzige, was Bedeutung zu haben schien, war Kalvin.

Dieser steuerte das Schiff zielsicher durch die Wellen. Ich eilte auf ihn zu und konnte nicht verhindern, dass mein Herz einen Takt aussetze, als ich ihn so ansah. Sein Mantel hatte einen Riss und wehte im Wind, während seine kurzen schwarzen Haare im Wind wirbelten. Meine Eignen nahmen mir für einige Sekunden die Sicht und als ich sie endlich aus meinem Gesicht gestrichen habe, hat der Größere mich bereits entdeckt. Für den Bruchteil einer Sekunde sieht er verärgert aus, dass ich an Deck gekommen bin, doch dann wird sein Gesichtsausdruck sanfter und er streckt mir eine Hand entgegen.

Weitere Einladungen brauche ich nicht. Ich überwinde den Abstand zwischen uns mit schnellen Schritten und flüchte mich an seine breite Brust. Fast schon ängstlich schlinge ich die Arme um seine Taille, während er sich wieder dem Steuerrad zuwendet. Doch mir ist das nur recht, mir ist alles recht, solange ich bei ihm bin. Halb bekomme ich mit, wie er seinen Mantel schützend über mich zieht und mir auch einmal kurz durch die Haare streicht, bevor er sich wieder seiner Aufgabe zuwendet. Ich verharre einfach in dieser Postion und lasse zu, dass sein Herzschlag meine angespannten Nerven beruhigt.

Jeder Mensch mit ein bisschen gesundem Menschenverstand hätte an diesem Punkt der Reise entschieden, dass das Leben auf See nur etwas für Irre war. Doch als ich mich nach einer gefühlten Ewigkeit an Kalvins Brust umdrehe, so dass ich meinen Rücken gegen ihn lehnen kann und in die Ferne sehe, da weiß ich, dass ich genau hier hin gehöre. Um uns herum pfeift der Wind und immer wieder schwappen Wellen über die Reling, während sich links und rechts von uns hohe Berge erheben. Doch am Horizont wird langsam der Ausgang aus der Meeresenge sichtbar. Ich kann den blauen Himmel sehen, der sich dort über dem ebenso blauen Ozean erstreckt. Ich kann Kalvins Herzschlag spüren und atme die Luft ein, die schwer von Regen und dem Geruch nach Schießpulver ist.

Vielleicht war ich verrückt, vielleicht hatte diese Fahrt mich durchdrehen lassen, doch wenn dies bedeutete, dass ich mich so frei und geboren fühlen würde, dann war ich gern verrückt.

"Willkommen im Reich der Verbannten und Geflohenen." wispert der erste Maat mir ins Ohr und ich erzittere unweigerlich, nicht weil der Wind noch immer kalt um uns pfeift, sondern weil er mir so verdammt nahe ist. Kalvin lacht leise, als sei er ganz zufrieden mit meiner Reaktion und steuert das Schiff aus der Meeresenge hinaus. Der Wellengang lässt deutlich nach und es hört auf zu regnen, während das Meer um uns mehr blau als grau wird und die Luft sich aufzuwärmen beginnt.

In diesem Moment tritt Rubina aufs Deck und sieht sich einen Moment lang um, bevor sie auf uns zu kommt. Sie lächelt und unsere roten Haare wirbeln um ihren Kopf. "Geh vor der nächsten Insel vor Anker. Weit genug weg, dass wir keine Bedrohung darstellen." sagt sie und wirft mir einen langen Blick zu. "Du hast dich heute gut geschlagen. Chris meint, dass du dich gut gemacht hast und die Ruhe bewahrt hast." lobt sie mich und ich kann fühlen, wie mir die Hitze in die Wangen steigt. Wenn ich ehrlich war, war ich außer mir vor angst und habe einfach nur das gesagt, was Chris mir aufgetragen hat.

Nachdem die Dochers geankert hat, scheucht Rubina die meisten von uns unter Deck und in die Kojen. Also löse ich mich widerwillig von meinem Gefährten und mache mich auf den Weg nach unten. Ich will gerade in Richtung meines Schlafraumes verschwinden, als mich starke Arme von hinten umschlingen. "Wo willst du hin." wispert Kalvin, den der Kapitän scheinbar auch entlassen hat. "Du schläfst bei mir." fügt er hinzu und dreht mich in seinen Armen, so dass ich ihn ansehen kann. "Zumindest, wenn du magst." Ich versinke in seinen sanften dunklen Augen und auf einmal löst sich ein Schluchzen aus meiner Kehle. Es ist als würde ich jetzt erst das Glück verstehen, dass wir hatten und als würden die Wellen der Angst und der Erschütterung über mich hinein brechen.

Kalvin bleibt jedoch vollkommen ruhig und küsst meine Stirn. "Ist okay. Wir sind jetzt in Sicherheit." verspricht er und schafft es mich in seine Kajüte zu bugsieren, wo er mir seine Decke um die Schultern wickelt und mich sanft hin und her wiegt, bis mich die erlösende Schwärze der Erschöpfung umfängt.

Das Leben auf dem Meer war gefährlich, doch hier in Kalvins Armen wusste ich, dass ich es mit jedem einzelnen Piraten auf den Weltmeeren aufnehmen würde, wenn das heißen würde, dass ich bis zum Ende meiner Tage an der Seite des ersten Maats dieses Schiffes bleiben konnte.

Das letzte was ich spürte, bevor ich einschlief waren Kalvins Lippen auf meiner Stirn. Die mir ein stummes Versprechen zu geben, dass er auf mich acht geben würde, egal wie gefährlich es werden konnte.

Das Gesetz der Hohen SeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt