Reflexartig ziehe ich Enja hinter mich und mache einen Schritt nach vorn. Ich mustere den jungen Mann, der uns gegenüber steht und versuche mir ins Gedächtnis zu rufen, was er meiner Gefährtin angetan hatte. Er hatte sie bändigen sollen, ihren Willen brechen und zu einer respektablen Frau machen, gesellschaftlich akzeptiert und brav. Doch natürlich hatte meine Gefährtin da nicht mitgemacht. Sie hatte die erste Gelegenheit genutzt wegzulaufen und war zum Hafen hinab, wo sie ein Schiff suchte, dass eine Frau aufnehmen würde. Es war ein schicksalhafter Zufall gewesen, der mich doch an Glück und auch Gerechtigkeit glauben ließ. Oder zumindest an die Tatsache, dass vertriebene Seelen ihren Weg zueinander finden würden.
"Und du bist?"
"Ich bin die Kaiserin der See, Kapitänin der Dochers und Enjas Gefährtin." gebe ich vollkommen ungerührt zurück. Bis jetzt hatten wir unsere Beziehungen vor den Einwohnern nicht offen dargestellt und doch würde ich diesen Punkt in diesem Moment nicht verschweigen. Meine umwerfende Freundin schien diesen Gedanken zu teilen, denn sie trat in diesem Moment nach vorn, um meine Hand zu nehmen und ich spürte, dass Kalvin ebenfalls zu uns aufrückte, während er darauf achtete, dass Emilian auch ja zwischen uns beiden stand.
Er lacht, ein vollkommen kaltes und freudloses Lachen. "Da suche ich die halbe See ab, werde hier in dieses Nest verweht, erkenne dich auf dem Deck dieses dreckigen Schiffs und hecke einen wunderschönen Plan aus, wie ich dich an Land locken kann und dann muss ich sehen, wie sehr du in den vergangenen Jahren missraten bist? Eine Frau wirklich Enni? Trotzt du mir so sehr, dass du vorgibst jemandem anzugehören, der deiner nicht wert ist? Nur weil ich dir ein schönes Leben schenken wollte?" er unterbricht sich und wedelt mit der Hand. "Na egal. Ich werde dir schon wieder Manieren beibringen. Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich den Kapitän gefangen nehme und sie dich gegen ihn austauschen, aber da du schon hier bist, können wir die drei anderen ja aus dem Weg schaffen und dann weiteres besprechen." meint er fast gleichgültig.
Enjas Finger verschränken sich mit meinen und ich merke, dass ihre andere Hand langsam zu ihrem Dolch hinab gleitet. "Und was, wenn ich mich weigere?"
"Du hast keine Wahl Kleines."
Ich spüre, wie sie sich von mir löst und langsam einen Schritt vor tritt. "Ich habe keine Wahl?" Ihre Stimme klingt sanft und ich muss ein Grinsen unterdrücken. Enja ließ sich von niemandem etwas sagen, auch nicht von mir, sofern ich es ihr nicht befahl. Sie trug die Haare kurz, schlichte Hosen und ein schwarzes Wams, als Waffe hatte sie den Dolch, dem sie mal einen Piraten abgenommen hatte, der meinte, dass Frauen nicht auf See gehören. Enja ließ sich nicht einsperren, nicht einfangen, sie war frei und unverbogen und was sie noch viel attraktiver machte, war der Fakt, dass sie für ihre Rechte unablässig kämpfte. "Ich habe eine Wahl! Ich würde lieber sterben, als mich dir anzuschließen." faucht Enja und reißt mich aus meinen Bewunderungen.
Eilig stelle ich fest, ob die Einwohner sich uns genähert haben, was sie leider getan haben. Doch ich erkenne einen schmalen Weg, der nur wenig bewacht wird. Hinter den Bäumen kann ich das Ufer erkennen und in einiger Ferne erahne ich die Lichter der Dochers. Das wird unser Fluchtweg sein, denn vermutlich wird man uns nicht freiwillig gehen lassen. Mit einem knappen Kopfnicken mache ich Kalvin auf den Weg aufmerksam und deute dann auf Emilian, um ihm zu bedeuten, dass er sich zu aller erst um seinen Gefährten kümmern solle. Enja und ich würden das schon schaffen.
Anton macht sich nicht mal die Mühe etwas zu sagen, sondern er hebt einfach nur die Hand. Zuerst glaube ich, dass er das Signal zum Angriff geben will, doch dann realisiere ich, dass er gerade im Begriff ist meine Gefährtin zu schlagen.
Dann passiert alles ganz schnell. Ich schnelle vor und ziehe Enja aus dem Weg, während Antons Hand meine Schulter trifft. Ich greife seinen Arm, bevor er ihn zurückziehen kann und drehe ihn ihm auf den Rücken, bevor ich ihm mit dem Fuß hart in die Kniekehle trete. Er sackt vor mir zu Boden und ich spucke schlecht gelaunt aus.
"Lass uns hier verschwinden." sage ich und nehme Enjas Hand. Kalvin und Emilian hatten sich schon auf den Rückzug begeben, wobei niemand Anstalten macht uns zu folgen.
Erst als wir schon am Strand angekommen sind, höre ich wie jemand durchs Unterholz bricht. Ich versichere mich mit einem schnellen Blick, dass Emilian bereits an unserem Boot angekommen ist und Kalvin die Vertäuung bereits löst.
Antons Haare kleben ihm in der Stirn, als er vor uns auftaucht und ich ziehe meinen Degen, während die Schwarzhaarige neben mir ihren Dolch geschickt herum wirbeln lässt.
Doch dem anderen schien nicht nach einem fairen Kampf zu sein. Er zog etwas aus seinem Hosenbund und ich hatte erneut einen Sekundenbruchteil um zu reagieren. Ich zog Enja in meine Arme und drehte mich weg, während ich sie in Richtung des Bootes schubse.
Dann löst sich der Schuss aus der Pistole mit einem lauten Knall und ich kann sehen, wie das Mündungsfeuer den Strand kurz erleuchtet. Dann sehe ich rot, der Schmerz als die Kugel meine rechte Schulter streift, ist kaum zu beschreiben. Doch ich beiße die Zähne zusammen und schiebe meine Gefährtin ins Boot, während ich Kalvin das Zeichen gebe, uns endlich Heim zu bringen. Blut tropft meinen Arm hinab und färbt mein Hemd langsam rot.
Schweigend setzt sich Emilian neben mich und verbindet die Verletzung. Er murmelt etwas von 'auf dem Schiff müsse das desinfiziert werden', doch in diesem Moment war mir das egal. Ich greife schweigend nach Enjas Hand und führe ihre Finger an meine Lippen.
"Du bist furchtbar. Immer musst du alle beschützen." schimpft die Andere, während Kalvin sich in die Riemen legt. Wir hatten unglaubliches Glück, dass die Einwohner Anton nicht unterstützt haben. "Ich bin der Kapitän." erwidere ich und drücke Enjas Finger. "Und außerdem bist du mir sehr wichtig. Um nichts in der Welt würde ich zulassen, dass dir jemand etwas antut. Ich weiß, dass du stark bist und dich verteidigen kannst. Doch ich liebe dich nun mal En." füge ich sanft hinzu und stelle mit einem leichten Grinsen fest, dass ich ihr ganz erfolgreich den Wind aus den Segeln genommen habe.
Emilian lässt von meiner Schulter ab und ich beuge mich vor. "Ich glaube, dass es an der Zeit wird, dass ich dich an mich binde." sage ich halb im Scherz und die Steuerfrau schnaubt leise. "Nein, ehrlich. Würdest du den Bund mit mir eingehen?" frage ich und dieses Mal meine ich es vollkommen erst. Ich will bis zum Ende meiner Tage an der Seite dieser Frau sein, mit ihr aufwachen und mit ihr die Sonnenuntergänge betrachten. Ich will mit ihr über die Meere segeln und eines Tages Seite an Seite mit ihr von dieser Welt verschwinden.
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Das Gesetz der Hohen See
Teen FictionMein Name ist Rubina. Mein Vater ist Kapitän eines Handelsschiffes und fährt für die königliche Flotte. Früher bin ich gern mit ihm gefahren. Ich liebte die unendlichen Weiten des Meeres, die Sonne in meinem Gesicht und die Freiheit hier draußen. ...