Bevor die Sonne über den Horizont tritt, haben wir schon die nachtschwarzen Segel der Dochers gehisst und verlassen den Hafen, einem neuen Abenteuer entgegen.
"Erzählst du mir auch, wo wir hin wollen?" reißt mich Enja aus meinen Gedanken, während sie das Schiff auf Kurs bringt. "Erstmal in Richtung der Kolonien. Den Rest würde ich lieber besprechen, wenn die anderen wach sind." entgegne ich und sehe zum Horizont. Backbord ist die Bucht, deren schmale Zufahrt den direkten Weg von den königlichen Gewässern hier her beschreibt. Doch unser Weg führt uns in die entgegengesetzte Richtung, entlang der Kolonien und dann aufs offene Meer hinaus. Enja gibt sich mit einem leisen Schnauben einverstanden und konzentriert sich auf das Steuerrad vor sich, während ich einen letzten Blick auf den Hafen hinter uns werfe. Alles scheint friedlich.
Als die Sonne höher zu steigen beginnt, kommen immer mehr aus Deck. Einige wechseln die Nachtschicht aus und beginnen schweigend zu arbeiten, während andere einige Minuten Ruhe am Morgen genießen.
Ich winke Cook zu mir hinüber, der gerade aufs Deck tritt und im Laufen seine Pfeife stopft. Er zündet sie an und tritt der zu mir hinüber. "Moin. Wohin wollen wir?" hakt er nach und lässt seinen Blick über die Landmasse schweifen, die sich am Horizont erhebt. "Das Klären wir zu gegebener Zeit." erwidere ich und wir versinken in entspanntem Schweigen, während Cook raucht und ich die Sonne in meinem Gesicht genieße. Nach einer Weile drehe ich mich um und lehne mich mit dem Rücken an die Reling, während ich Enja beobachte, die so sicher und schön am Steuer steht. Ihre kurzen schwarzen Haare tanzen leicht im Wind und ihr Mantel bauscht sich im Wind. Sie hat in diesem Moment etwas unheimlich mächtiges.
"Beim Klabautermann" reißt mich Cook aus meinen Betrachtungen und ich ziehe die Augenbraue hoch. Doch statt einer Antwort deutet er einfach auf den Bug des Schiffes und ich muss unweigerlich lächeln.
Kalvin und Emilian waren während meiner Beobachtung an Deck getreten. Der Kleinere war in den viel zu großen blauen Mantel meines ersten Maats gehüllt, während dieser schützend einen Arm um den Schiffsjungen gelegt hatte. Scheinbar hatte ihnen die Zeit für sich gut getan und ich streckte mich leicht. Sie wirkten zufrieden und ich wünschte ihnen, dass die Zeit sie nur stärker gemacht hatte. Doch wenn ich daran dachte, mit welchem Funkeln in den Augen Kalvin immer von dem Jungen gesprochen hatte, so zweifelte ich kaum. Wir hatten beide dieses Schiff erobert, um ein Zuhause haben zu können und dieses Zuhause mit jenen zu teilen, die wir liebten, war das größte Geschenk. Ich sehe zu Enja hinüber, die gerade am Steuer abgelöst wird und stoße mich von der Reling ab.
"Führungstreffen. Ich will euch in zehn Minuten unten sehen." sage ich gelassen und verschwinde dann unter Deck.
Cook und Kalvin sind die ersten, die zu mir stoßen und ich stelle grinsend fest, dass der Koch meinem ersten Maat einen sehr langen Vortrag darüber hält, was mit ihm passiert, wenn er Emilian weh tut. Arthur ist eben sehr fürsorglich, wenn es um seine Schiffsjungen geht. Einer der vielen Gründe, weshalb er auch die Verantwortung für sie trägt.
Enja und Chris, die ich heute als weiblich identifiziere, da sie einen langen Rock und eine hübsche weiße Bluse trägt, lassen nicht lange auf sich warten und ich biete meiner Freundin den Platz zu meiner rechten an, während Kalvin sich zu meiner linken setzt und die anderen beiden sich uns gegenüber setzten.
"Wie ihr bemerkt habt, haben wir den Hafen bereits verlassen." beginne ich ohne umschweife, bevor ich ihnen von Onyx Warnung erzähle und ihnen auch seine Idee berichte.
"Das ist Wahnsinn." meldet sich Cook zu Wort und starrt auf die Seekarten, auf denen ich ihnen den Weg beschrieben habe. "Niemand hat diese Meeresenge jemals durchquert." fügt er hinzu und ein kleines Lächeln huscht über meine Lippen. "Doch." entgegnet Kalvin und fährt sich durch die kurzen Haare. "Wir haben sie schon mal durchquert. Es war noch vor deiner Zeit hier und bevor wir die Dochers übernommen haben. Zumindest der Hinweg. Auf dem Rückweg hatte sich einiges geändert." sagt er düster und sieht zu mir, während er den Kopf schüttelt. "Aber Cook hat recht." fügt Kalvin dann hinzu.
Sagen wir so, ich hatte kaum stürmische Begeisterung erwartet und so war ich recht gefasst. Chris, sah mich verwirrt an und ich beschloss sie ein wenig mehr ins Bild zu setzen. "Die Strömung in der Meeresenge, die beide Meere miteinander verbindet ist gefährlich. Sie zieht die Schiffe auf die hohen Felswände zu und außerdem werden die Wolken immer dort gefangen, weshalb man meistens mit heftigen Unwettern rechnen muss." "Vergiss die verdammte Seeschlange nicht, die es dort geben soll." wirft Cook ein und ich rolle mit den Augen, bevor ich mich aufrichte.
"Es ist der einzige Weg den wir haben. Wenn Onyx recht hat, dann sind unsere Verfolger kaum einen Tag hinter uns. Mit einem Schiff werden wir fertig, zwei auch, aber wenn sich wirklich Piraten mit der Krone verbünden, dann können wir nicht ewig fliehen." "Die Dochers ist außerdem kein Schlachtschiff. Wenn die unseren Mast erwischen, dann war es das und wir wandern in den Bau." steht Enja mir bei, während sie unter dem Tisch meine Hand greift. An ihren Augen kann ich sehen, dass sie keineswegs begeistert von diesem Plan ist. Doch sie vertraut mir und dieses vertrauen bedeutet mir mehr als alles Gold der Welt.
"Also sind unsere Chancen Gefangenschaft und Galgen oder Meeresenge und eventueller Tod? Wenn wir es schaffen, bist du sicher, dass man uns dort helfen wird?" Hakt Chris sich nun wieder in Gespräch an und ich lege den Kopf schief. "Dort gibt es eine Insel, auf der Verbannte leben, die dem Königshaus nicht wohlgesonnen sind. Sie haben uns schon in der Vergangenheit geholfen." erwidere ich etwas ausweichend, da ich bis auf Onyx Wort nichts vorzuweisen habe, was uns ihrer Hilfe versichern würde.
Kalvin seufzt und reibt sich die Augen. "Wir haben wohl kaum eine Wahl. Das Meer ist unser Zuhause." sagt er und somit steht seine Entscheidung fest. Auch Cook gibt sich seufzend geschlagen, murmelt aber etwas von Wasserschlangen.
"Das wird doch Mal eine spaßige Sonntagsreise." meint er dann allerdings und lehnt sich etwas in seinem Stuhl zurück, um seine Pfeife zu stopfen. Dann sieht er Kalvin neben mir ernst an und nimmt einen Zug von seiner Pfeife. "Wir müssen jetzt noch die Emil Situation klären. Er ist wirklich nicht für die harte Arbeit gemacht." beginnt er und ich etwas erwidern, doch Chris ist schneller. "Ich könnte einen Assistenten gebrauchen. So wie der Plan für unsere Überfahrt klingt, werde ich eine helfende Hand gebrauchen können. Wenn das Recht ist." wirft sie ein und ich lege den Kopf schief, bevor ich nicke, um mein stummes Einverständnis zu geben.
Nachdem dieses Thema und noch weitere Fragen zur Überfahrt geklärt sind, bleibe ich allein zurück und stütze mein Kinn auf meine verschränkten Finger. Ich kannte die Meere die wir ansteuerten, sie waren rau wie die unseren und doch gab es einen kleinen Unterschied. Das Netzwerk der Piraten war viel weniger ausgefeilt und so hätten wir vielleicht eine Chance auf einen Neuanfang auf der anderen Seite der Meeresenge. Unser Plan hatte viele Leerstellen, doch wir mussten diese Gewässer verlassen. Es war Zeit, dass die Dochers Heim kehrte, an den Ort ihrer Taufe.
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Das Gesetz der Hohen See
Teen FictionMein Name ist Rubina. Mein Vater ist Kapitän eines Handelsschiffes und fährt für die königliche Flotte. Früher bin ich gern mit ihm gefahren. Ich liebte die unendlichen Weiten des Meeres, die Sonne in meinem Gesicht und die Freiheit hier draußen. ...