- Auf Beutezug -

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"Schiff in Sicht!" schallt der Ruf aus dem Krähennest.

"Immer so pünktlich diese Handelsschiffe." meint Kalvin und reicht mir das Fernrohr. Meine einzige Antwort bleibt ein leises Schnauben. Genau wie wir geplant hatten, würden wir den Handelskreuzer kurz vor der Einfahrt in die königlichen Gewässer abfangen. Eine meiner roten Haarsträhnen weht mir ins Gesicht und ich streiche sie fort, bevor ich wieder durchs Fernglas sehe. "Kurs halten!" befehle ich und reiche den Gegenstand an meinen Maat zurück.

"Alle Schiffsjungen unter Deck. Besatzung bereit machen zum Entern. Enja ich will längsseits festmachen lassen." weise ich die Aufgaben zu, während ich meinen breit krempigen Hut etwas in die Stirn ziehe und meiner Freundin zulächle.

In den neutralen Gewässern machten wir die Gesetze, Piraten wie wir sie waren bestimmten das Leben auf dem offenen Meer. Nur die stärksten würden überleben, jene die sich mit Haut und Haar auf ihre Crew verlassen könnten.

"Sie haben uns entdeckt und versuchen abzudrehen!"

"Segel setzen und Kurs anpassen. Niemand kann vor der Dochers fliehen!" erwidere ich und beobachte, wie das Handelsschiff langsam näher kommt. Es schien schwer beladen zu sein und bewegte sich deshalb schwerfällig im sanften Wind. Durchs Abdrehen spielten sie uns in die Hände, da sie somit parallel zu den Gewässern der Krone segelten und wir dadurch freie Hand hätten.

"Bereit machen zum Entern." ertönt Kalvins Befehl und ich ziehe meinem Säbel, bevor ich die Hand hebe. Als ich sie sinken lasse, werden die Enterhaken ausgeworfen und ich grinse zufrieden, als sie sich in die Holzreling des anderen Schiffes bohren und beide ineinander verkeilen.

"Segel einholen! Kurs halten." weise ich an und klettere dann auf die Reling. Geübt wickele ich eines der Taube um meine Hand und deute mit dem Säbel auf das Schiff, auf dem die Crew scheinbar abzuwarten scheint, was nun beginnen wird. Einige hatten begonnen mit mäßigem Erfolg die Enterhaken zu lösen. "Bereit machen zum Angriff!" befehle ich, bevor ich stumm das Signal zum Angriff gebe und mit der ersten Gruppe Kämpfer auf das andere Schiff schwinge.

"Wo ist euer Käpt'n?" fordere ich von einem der auf dem Deck stehenden zu wissen. "Nun sag schon." "Unten mit dem Schatzmeister." Der junge Mann deutet auf eine Luke, die in den Bauch des Schiffes führt. "Falkenauge." rufe ich meinen ersten Maat. "Du hast mit deinen Männern das Deck. Ich gehe nach unten!" "Aye. Käpt'n" erwidert der andere nur, während er die Schiffscrew am Bug des Schiffes zusammentreibt.

Ich winke einigen umstehenden Piraten, bevor wir uns langsam auf den Weg nach unten machen. Ich konnte Kapitäne nicht leiden, die sich nicht dem Gefecht stellten. In meinen Augen zeugte das nur von Willensschwäche und hätte auf einem Piratenschiff schon längst zu einer Meuterei geführt. Es gab gewisse Erwartungen, die man erfüllen müsste. Doch daran war natürlich auf einem staatlichen Schiff kaum zu denken. "Ebenso krank, wie die Monarchie." murre ich, während ich mit einem Kopfnicken zweien meiner Männer bedeute links lang zu gehen. Die anderen folgen mir rechts den Gang entlang.

Aufgebracht wispernde Stimmen verrieten mir, dass wir den Laderäumen nahe waren und als wir um die nächste Ecke bogen, entdeckte ich die edel gekleideten obersten Befehlshaber des Handelsschiffes, ihren Kapitän und den Schatzmeister. Gegenüber ihren Pelzgewändern wirkte mein roter Mantel fast schon schäbig, auch wenn dieser eigentlich mein ganzer Stolz war.

"Morgen die Herren. Ich hoffe doch, dass wir nicht stören." ziehe ich ihre Aufmerksamkeit auf mich und grinse, als der Schock über ihre Gesichter huscht, wie eine Welle, die den Sand trifft. "Wenn Sie sich ergeben, dann tun wir Ihnen nichts." schlage ich obligatorisch vor, auch wenn es mir persönlich lieber ist, wenn sich die Besatzung oder ihre Vorstehenden wenigstens etwas wehren. Doch die meisten Handelsschiffe waren nicht mit willensstarken Menschen gesegnet, schon gar nicht in der Führungsebene und so hoben beide Männer zitternd die Hände und flehten um ihr Leben.

"Fesselt sie und lasst sie hier unten." weise ich seufzend an und wende mich ohne einen weiteren Blick um, bevor ich wieder an Deck trete. Die Dochers, die Steuerbord festgemacht hatte, schien im Licht der Hochstehenden Vormittagssonne zu funkeln und ihre schwarzen Segel hoben sich gegen den makellosen blauen Himmel ab. Für mich würde es wohl niemals ein Schiff geben, dass schöner wäre. Egal wie viele ihrer Planken wir ersetzen müssten, weil sie von Kanonen gesplittert würden oder wie oft die Segel stellenweise geflickt waren, das Wind und Wetter an ihnen zerrten. Die Dochers stand für Hoffnung und Freiheit. Sie stand für unsere Zukunft.

"Schickt die Männer zum Einladen rüber. Nehmt, die leichte und wertvolle Beute mit. Wir sind kein Lastschiff." rufe ich zu Enja hinüber, die den oberen Befehl an Deck hatte, wenn Kalvin und ich nicht an Bord waren. Nachdem ich von meiner Freundin eine Bestätigung ihres Verständnisses erhalten habe, trete ich zu Kalvin. "Lasst die Männer frei, bevor wir die Haken lose machen. Ihren Kapitän und Schatzmeister lassen wir im Frachtraum. Sollen sie selbst entscheiden, was sie mit ihnen machen." sage ich und verschränke die Arme auf dem Rücken.

Danach gehe ich wieder unter Deck, um den Beutezug zu begutachten, wobei mir eine hübsche Halskette auffällt, an der ein kleiner Anker hängt. Vermutlich war sie von keinem großen Wert und nur an Bord weil ein armer Arbeiter in der Kolonie nichts anderes zum Bezahlen gehabt hatte. Immer wenn ich an die Zustände in den Kolonien dachte, hatte ich gut Lust die Handelsachiffe zu versenken, doch das wäre zum einen eine andere Sache als Raub und zum anderen lebten wir schließlich davon jene auszubeuten, die andere ausbeuteten. Ich ließ die Kette in meine Tasche gleiten und bedeutete den Männern und Frauen, dass sie noch einige andere Sachen mitnehmen sollten, unter anderen Gewürze und Stoffe. Dann plünderten wir noch alles, was man für die Medizin verwenden könnte, was beileibe nicht viel war, bevor ich den Rückzug anordnete.

Die Schiffsbesetzung löste die Taue und ich befahl Kurs auf die Bucht der Toten zu nehmen. Das Handelsschiff verblasst langsam hinter uns in der Ferne. Ob es je den Hafen seiner Bestimmung erreichen würde oder ob die Crew entscheiden würde sich ihres Kapitäns zu entledigen und die restliche Ladung unter sich aufzuteilen war mir recht gleich. Wir versuchten schließlich alle nur auf die ein oder andere Art und Weise zu überleben.

Das Gesetz der Hohen SeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt