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Ich weiß noch genau, dass es der neunundzwanzigste September war, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Es war noch einmal so richtig warm geworden, wahrscheinlich das letzte Mal, bevor der Herbst mit all dem Wind und Grau und Regen die Stadt überrollen würde. Er trug ein hellgraues weites Shirt, auf dem an seinem Rücken ein kleiner Schweißfleck zu sehen war, und eine kurze, schwarze Sporthose, die seinen nicht übersehbaren Hintern optimal betonte. Indessen er unentwegt zusammen mit einem blonden jungen Mann in seinem Alter Umzugskartons und Möbelteile in das Haus schräg gegenüber trug, beobachtete ich ihn von meinem Zimmer. Ihn und seinen Dreitagebart, den ich aus der Ferne erahnen konnte, und seine karamellfarbenen wuscheligen Haare und seine kleine Statur und sein einer stärker und sein anderer weniger tätowierte Arm und sein hohes raues Lachen, welches manchmal durch mein gekipptes Fenster hinein wehte.

Ich kann nicht sagen, was genau mich an seiner Erscheinung fasziniert hatte. Jedoch weiß ich noch ganz genau, dass ich mich lange nicht auf mein Buch konzentrieren konnte, auch, als er und sein Kumpel und der weiße Europcar-Transporter schon längst wieder weg waren.

Der nächste Tag war ein Sonntag und als ich endlich meine Faulheit überwunden und es aus dem Bett geschafft hatten, waren die beiden wieder auf der Straße zu sehen. Diesmal schienen sie nur noch kleinere Sachen einzuräumen, doch wieder war ich wie gefesselt von dem jungen Mann, welcher an diesem Tag ein grünes Adidas-Shirt trug. Nie hat er zu meinem Fenster hinaufgeblickt, aber warum sollte er auch? Ich dagegen gewöhnte mir ab diesem Tag an, immer wieder aus dem Fenster zu schauen, damit ich ja nicht verpasste, wenn er draußen herum lief. Und das ändert sich auch in den darauffolgenden Wochen nicht.

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