|24-wichtig|

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„Theo! Wie schön, dich wiederzusehen", ruft Herrmann erfreut aus, als ich am folgenden Dienstag die gemütliche Buchhandlung betrete. „Hey", gebe ich lächelnd zurück. „Wärst du so lieb, mir einmal mit diesem Karton zu helfen? Ich habe einen Haufen frühlingshafter Bücher bestellt, aber der Lieferant hatte es heute eilig und mein Rücken ist einfach nicht mehr der Jüngste..." Ich nicke und trage ihm den wirklich schweren Karton ins Büro hinter dem dicken Samtvorhang. „Ich danke dir, Theo. Und, wie war das Praktikum?", erkundigt er sich nun, indessen er die Kaffeemaschine anschaltet. „Auch ne Tasse?"

Ich nicke erneut, ehe ich zu erzählen beginne: „Es war echt gut. Das Team war nett und die Arbeit war nicht zu stressig und hat mir Spaß gemacht", berichte ich, während ich nebenbei den Karton vorsichtig mit einem Cutter öffne, um ja keines der Bücher zu beschädigen. „Das klingt ja toll. Also kannst du dir so eine Art Job später vorstellen?", fragt er weiter und befüllt die beiden Tassen mit Kaffee. Ich lege ihm den Lieferschein auf den etwas chaotischen Schreibtisch und entferne das schützende geknüllte Papier, sodass die zusammengebundenen Bücher zum Vorschein kommen. „Ich glaube schon. Ich konnte mein Wissen gut anwenden und diese biologische Richtung interessiert mich ja schon auch. Aber mal schauen, was die Zukunft so bringt", schließe ich ab und muss dabei unweigerlich an Tomke denken.

„Das Lächeln kenne ich doch. Gibt es sonst noch Neuigkeiten?", erkundigt sich der ältere Herr behutsam, während er mir meine Lieblingstasse reicht. Ich wiege mit dem Kopf, ehe ich einen Schluck trinke, um ihn noch ein wenig auf die Folter zu spannen. „Nichts Gravierendes. Aber wir haben die letzten Wochen wirklich unfassbar viel Zeit zusammen verbracht, zumindest haben wir uns fast jeden Tag gesehen. Und es wird irgendwie nie langweilig, selbst, wenn wir nur zusammen einen Tee auf der Couch trinken und reden. Und naja, ich glaube, wir sind uns emotional viel näher gekommen, weil wir uns gegenseitig von unseren Ängsten und so erzählt haben. Tomke ist der erste Mensch, dem ich mich so sehr geöffnet habe, und ich fühle mich seitdem irgendwie leichter und nicht mehr so allein mit... meinen ganzen Gedanken", erkläre ich ihm.

Herrmann betrachtet mich mit einem stolzen Lächeln. „Ich wusste, dass du es kannst, Theo! Es ist so stark, anderen von seinen Ängsten und Schwächen zu erzählen, und so ein wichtiger Schritt. Und dass Tomke dich sicher genug fühlen lässt, dass du dich ihm öffnest, das freut mich wirklich sehr", antwortet er leise. „Danke", gebe ich zurück, und auch, wenn wir beide keine Freunde von großen Worten sind, wissen wir doch, wie viel eben diese wenigen Worte bedeuten.

*°*°*

Am Mittwoch wird mein ruhiger Vormittag gestört, als ich Schritte und Stimmen im Hausflur höre. Seufzend lege ich mein frisch von Herrmann erworbenes Buch beiseite und stecke den Kopf aus meiner Zimmertür. Sogleich erblicke ich meinen gestressten Vater und eine blasse Tijana. „Theophil, Gott sei Dank. Tijana hat sich im Sportunterricht verletzt. Wir waren gerade beim Kinderarzt, es ist wohl nur ne leichte Gehirnerschütterung, aber sie soll ein bisschen ruhen. Magst du auf sie aufpassen? Ich muss jetzt wirklich wieder zur Arbeit und danach sind wir ja alle bei den Hellers, da kann sie dann ja nicht mit. Du müsstest also für euch beide kochen", rattert er herunter, seinen Schlüssel schon in der Hand. Die Hellers sind eine befreundete Familie und wir alle bezieht sich scheinbar auf meine verbleibenden unverletzten Geschwister und meine Eltern. Schluckend unterdrücke ich den Gedanken, dass ich offensichtlich nicht wichtig genug bin, um dazu zu gehören.

Ich lege meiner dreizehnjährigen Schwester einen Arm um die Schulter und schiebe diese Überlegung zur Seite. „Na klar", gebe ich zurück, denn auch, wenn mir kaum etwas anderes übrig bleibt, freue ich mich immer, ein wenig Zeit mit ihr zu verbringen, denn Tijana gibt mir nie das Gefühl, dass ich unwichtig bin oder nicht dazu gehöre. „Ich danke dir. Bis später! Und gute Besserung dir, meine Kleine, erhol dich gut!" Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss und ich verdränge die Frage aus meinem Kopf, ob mein Vater sich um mich jemals so viele Sorgen machen würde.

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