Alles passiert in Zeitlupe. Das Pumpen meines Herzen übertönt jeden Ruf, jedes Klatschen und jede Ansprache. Alles geschieht in Zeitlupe; wie ich die Arme hochhebe um mir meine Brille aufzusetzen, wie ich leicht in die Hocke gehe und die Arme über meinem Kopf zusammen führe. Wie ich mich auf das Startsignal fokussiere, wie ich einen kurzen Blick zu Mum und Dad werfe. Jamie zwischen ihnen, hält im klatschen inne, führt seine Hand an die Stirn um mir zu salutieren. Mein Mund, wie er sich zu dem breiten Grinsen verzieht, das ich jeden Sonntag trage.Dann der Startschuss, damit das Zerschmettern der Zeitlupe. Alles nimmt Übergeschwindigkeit an; wie ich tief durchatme, meine Fingerspitzen zuerst das Wasser berühren, wie mein Körper im Einklang folgt. Wie mein Kopf immer und immer wieder die Wasseroberfläche durchschneidet. In regelmäßigen, abgestimmten und durchdachten Abständen. Wie meine Füße sich vom Beckenrand abstoßen, erneut und erneut. Wie ich an Vorsprung gewinne. Wie ich gewinne. Und mich am Beckenrand hochziehen möchte. Den Blick dabei sofort auf Jamie gerichtet. Meine Atmung geht unregelmäßig, das Herz hämmert mir gegen die Rippen.
Meine Finger wollen sich an meine Stirn heften, das salutieren meines Bruders erwidern. Halten inne in ihrer Bewegung, als James auf dem Boden liegt, die Augen ins Leere gerichtet. Platzwunden an seinem Gesicht, Schnitte durch das Zersplittern der Fenster am ganzen Körper.
Etwas zieht mich zurück ins Wasser und obwohl ich anfangs zapple, lassen meine Bemühungen schnell nach. Ich gebe das Strampeln, um aus den Ketten zu entkommen, die mich an den Abgrund ziehen, auf. Plötzliche Leere durchflutet meinen Körper. Meine Lippen öffnen sich, ich kriege keine Luft mehr. Auf dem immer näher kommenden Abgrund sind Glassplitter zu erkennen. In Blut getränkt. Meine Augen suchen Jamie. Er ist nicht da. Nicht mehr, ich beginne seinen Namen zu schreien. Immer lauter, warte auf seine Antwort. Ein stumpfes Gefühl überkommt mich, ich halte ganz still, schließe die Augen. Bin bereit dazu auf dem Boden aufzukommen. Zu James zu gelangen.
„Elle!", eine Stimme dringt zu mir durch, bringt mich erneut zum aufhorchen. James ist doch da. Er ruft nach mir, streckt seine Hand ins Wasser.
„Elle!" Das Strampeln gegen die Ketten setzt wieder ein, ich versuche irgendwie an die Wasseroberfläche zu gelangen. Die Stimme dringt immer tiefer in mich ein, wird immer deutlicher.
Als ich die ausgestreckte Hand erreiche, durchbreche ich die Wasseroberfläche.
„Elle! Scheiße!"Ich sitze kerzengerade im Bett. Mein Atem geht unregelmäßig, als hätte ich zu lange unter Wasser verbracht.
Als sich zwei Hände auf meine Schulterblätter legen, zucke ich so heftig zusammen, dass ein Schluchzen aus meiner Kehle entweicht. Mein Blick ist verschleiert, die Berührung lässt nach. Ich wische mir über die Augen, sehe in Junes erschrockenes Gesicht. Sie hat die Hände gehoben und ist einige Schritte zurück getreten.
„Ich bin es. Du bist hier in Denver", meine Mitbewohnerin nickt mir beschwichtigend zu. Ihre Stimme zittert. Erst jetzt nehme ich die Hitze wahr, bemerke, dass mein Pyjama wie eine zweite Haut an mir klebt, als hätte ich zu lange unter Wasser verbracht. Schweißperlen oder Tränen laufen meine Wange hinab, ich bin zu benommen um es richtig zu deuten. „Elle, es ist alles in Ordnung, du bist in Denver." June lässt die Hände sinken, sie selbst steckt in einer kurzen Schlafshorts und einem oversized T-Shirt. Ihre Nachttischlampe ist angeknipst, die Bettdecke zur Seite geschlagen.
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unpainted faces
Romance"Du kannst dir dein Gesicht nicht bemalen und dann ernsthaft denken, dass ich da nicht durchblicken würde, Elle." Ich habe meinem Vater noch am ersten Tag der High School versprochen, dass ich genau den Menschen helfe, die sich ihre Gesichter nicht...