27| Sehnsucht nach Heimat

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Seit mich Tate vor einigen Tagen aus seiner Wohnung geschmissen hat, habe ich nichts von ihm gehört. Aber das ist auch ganz ehrlich gut so. Ich bin wütend, auf ihn oder auf mich, -da bin ich mir noch nicht ganz sicher.

Aber es fällt mir leichter die Schuld auf ihn zu schieben. Vielleicht trickse ich meinen Kopf auch ein bisschen damit aus, ich meine klar, Wut verlangt gespürt zu werden. Aber so lange ich mir einrede, dass Tate mich verletzt hat und ich deswegen wütend bin, keimt das schlechte Gewissen in mir nur in geringen Maßen auf.

„Oh Gott, bitte lach mal." June stößt ein leises Lachen aus, als sie mich durch den Spiegel in unserem Zimmer ansieht. Sie sitzt in Sportklamotten im Schneidersitz auf einer Yoga-Matte, hat sich genau vor den Spiegel positioniert, um sich, -laut ihren Worten, beim Atmen zu beobachten. Der Schlafmangel, die schlechte Laune oder eben besagte Wut auf Tate scheint mir wohl im Gesicht geschrieben zu stehen.

Seufzend setze ich mich auf meine Bettkante und schenke June ein kurzes, gekünsteltes Lächeln. Das bringt sie nur noch mehr zum lachen. „Ich bin mir nicht sicher, ob du so überhaupt Kaffee verkaufen wirst."

Nachdem sie mich tadelnd ansieht, konzentriert sie sich wieder auf ihr Spiegelbild, faltet die Hände in der Mitte vor ihrer Brust und lässt die Schultern etwas sacken. Sie schließt die Augen, blinzelt aber, sobald sie mich die Tür öffnen hört. „Ich wünsche dir eine wunderschöne Schicht, meine liebste Mitbewohnerin."





***



Smoothies, verschiedene Kaffees, -ich habe alles in meinem Kopf abgespeichert und meine Hände bewegen sich flink und geübt über die Anrichte. Ben nimmt die Bestellungen auf, Jonny kümmert sich um die Tische und ich mache die Getränke.

Ich bin froh, dass sich Ben in den letzten Tagen genügend Zeit gelassen hat um mich wirklich einzuarbeiten. Denn das hier ist mein erster Arbeitstag am Wochenende und es ist die absolute Hölle los. Gott, die Becher stapeln sich und sobald ich einen nach draußen gegeben habe, stehen bereits drei neue zum bearbeiten vor mir.

Erstaunlicher Weise habe ich mich schnell an die vielen Menschen gewöhnt, was vor allem daran liegt, dass ich mir eingetrichtert habe, die Geräuschkulisse auszublenden. Ehrlich, es funktioniert. Alles worauf ich mich fokussiere, ist das Surren der Kaffeemaschine sobald ich den Espresso-Knopf betätige, oder das Blenden des Mixers, sobald ich auf „Start" drücke. Naja und manchmal, wenn Ben mir ansieht, dass es mir ein bisschen zu viel ist, gibt er mir fünf Minuten, um mich im Bad frisch zu machen.

Sobald ich an diesem Abend das Lokal verlasse, atme ich die belebte Herbstluft in tiefen Zügen ein. Ich kann mich leider nicht zurückhalten, mir das Handy aus der Jackentasche zu ziehen die Nummer nach Brighton, zu Mum und Dad zu wählen. Es ist schrecklich, dass mich jegliche Emotionen in den letzten Tagen total unvorbereitet überrollen. Ich bin wütend auf Tate, mache mir gleichzeitig Sorgen um ihn.

Dann ist da das Loch in meinem Herzen, was in dem Moment entstanden ist, in dem ich realisiert habe, dass James den Unfall nicht überlebt habt. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht direkt zu Beginn morgens an ihn denke, an dem ich nicht vor dem einschlafen sein Gesicht vor mir habe. Das Loch ist noch genau so unverheilt und aufgerissen, wie noch vor ein paar Monaten. Aber manchmal tut es etwas weniger weh, macht mir nicht ständig bewusst, was ich verloren habe.

Dafür sorgen dann andere Gefühlsregungen, die Überhand gewinnen. Meine Gedanken bezüglich Tate Michaels führen die Liste momentan an. Jetzt kommt die Sehnsucht nach zu Hause an die Oberfläche und ich muss die Stimmen meiner Eltern hören, um mich zu vergewissern, dass sie noch da sind.

„Elle, Liebes. Ich freue mich so, dass du anrufst." Mums Wärme dringt durch ihre Worte, durch die Leitung hindurch in mein Herz. „Wie geht es dir? Dad ist gerade einkaufen, aber ich richte ihm nachher aus, dass du angerufen hast. Dann kann er dich selbst zurückrufen."

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