7| Wen das Leben verarscht

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"Weißt du was, Ansel? Ich werde jetzt gehen, und wehe-", das Mädchen vor mir hält inne und spreizt die Finger um mit dem Zeigefinger auf den Typen neben ihr zu zeigen. "Du folgst mir, Wehe."

Ich will den Blick abwenden und einfach an ihnen vorbei gehen, aber die beiden sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie gar nicht merken, dass sie Zuschauer haben. Abgesehen wüsste ich gar nicht, wohin ich gehen sollte. Die Luft in meinem Zimmer ist mir nur plötzlich viel zu kurz gekommen mit Tates Anwesenheit.

"Komm schon, Gem. Ich weiß doch genau, dass du willst, dass ich dir hinterher renne." Der junge Mann, der wirklich breit gebaut ist, wirft die Arme in die Luft und unterdrückt ein Grinsen.

"Du musst immer so eine Show machen. Wieso halte ich es überhaupt so lange mit dir aus?" Als das Mädchen, Gem, mit dem Fuß aufstampft und ihre Hände zu Fäusten ballt, trete ich einen Schritt zurück und sehe mich auf dem Campus um. Nach irgend etwas, damit es nicht so aussieht, als würde ich diese zwei völlig fremden Menschen beim streiten stalken. Dann wäre ich nicht besser als Tate, der sich einfach so in fremde Angelegenheiten einmischt. "Nur weil ich keine Lust auf Kino habe?", der Junge mit den blonden Haaren blinzelt ein paar Mal, bevor er den Kopf schüttelt und anschließend beginnt zu lachen.

Das Mädchen rauft sich die Haare. Sie verschränkt die Arme vor der Brust und starrt ihren Freund wütend an. "Darum geht es doch jetzt überhaupt nicht und-", ihr Kopf schnellt in meine Richtung. "Was glotzt du uns eigentlich so an?", will sie wissen und sieht mich abwartend an.

Ich will gerade antworten, als ihr Freund den Arm um sie legt und mich entschuldigend ansieht. "Gott, sorry, dass sie so drauf ist. Ich schätze, sie hat gerade diese Zeit, die ihr Weiber einmal im Monat hab-", noch bevor er den Satz zu Ende gesagt hat, bekommt er von Gem, dem Mädchen unter seinen Arm einen Schlag in die Magengrube.

"Wag es nicht, diesen Satz zu beenden." Sie funkelt den Typen noch einmal an, bevor sie seufzt und dann zu mir blickt. "Das ist so peinlich. Es tut mir so Leid." Sie sieht mich mit großen Augen an, nickt ein paar Mal abgehackt, bevor sich ihre Lippen zu einem vorsichtigen Grinsen verziehen.

Sie will gerade noch etwas von sich geben, als der breite Blondie seine Arme auf die Schultern seiner kleinen Freundin legt und sie durch die Tür des Wohnheims schiebt. "Sorry nochmal", murmelt er, bevor er dann kopfschüttelnd ganz hinter der Tür verschwindet.

Ich stehe noch ein paar Sekunden reglos da, frage mich, was zur Hölle das gerade war, schüttle meine Gedanken dann schnell ab und gehe die Treppen des Gebäudes hinunter.

Ich weiß noch nicht mal, wohin ich überhaupt will. Tate hat mich mit seiner Anwesenheit einfach so überrumpelt, dass ich es nicht länger mit ihm ausgehalten habe. Vielleicht will ich mir einreden, dass ich Angst vor ihm habe, damit ich einen Grund habe, vor ihm zu fliehen. Aber eigentlich ist das Bullshit. Ich spüre ein Prickeln des Vertrauens wenn ich in die Augen des dunkelhaarigen Blödmanns blicke. Und das sollte mir wahrscheinlich peinlich sein, aber es nimmt mir die Angst.

Denver ist schön, mir gefällt die Stadt, obwohl ich noch nicht wirklich viel davon gesehen habe. Der Sonnenuntergang gefällt mir und die Luft um diese Uhrzeit. Erfrischend und irgendwie riecht es nach Freiheit. Seufzend lasse ich mich auf eine der Bänke vor den Wohnheimen fallen. Vielleicht, ganz vielleicht ist es ja doch eine gute Idee gewesen. An ordentlichen Schlaf ist zwar nicht zu denken, aber sobald das Semester offiziell beginnt, werde ich mich sowieso so sehr reinhängen müssen, dass für Schlaf keine Zeit mehr ist.

Ich beginne wirklich bei Null, musste Fächer wählen, die mir nicht wirklich was gesagt haben. Ich hatte mein Leben nun mal genau geplant. Schwimmen ist das Einzige gewesen, was ich gekonnt haben musste. Ich reibe mir über die Augen und wende meinen Blick gen Himmel. Gott ist es krank, wie sehr das Leben einen verarschen kann.

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