36| Gefühle mit Humor nehmen

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Es hat sich ziemlich schnell heraus gestellt, dass Tate anwesend ist um Noah zu supporten. Denn hätte ich gewusst, dass dieser Typ Klavier spielen kann, als wäre er nur dafür geboren, hätte sich mir die Frage von selbst beantwortet. 

Ich bin so begeistert von dem Konzert, von den Reden, den Spendenaufrufen, dass die Panik, die sich im Laufe des Tages in mir angesammelt hat, so gut wie vergessen ist. Als Gemma das Solo mit ihrem Cello beendet, ist es ganz kurz totenstill im Saal. So still, dass Gemma kurz unsicher den Kopf neigt. Als die Menschen sich dann aber nacheinander von ihren Stühlen erheben, um zu applaudieren, hält Gem sich die Hand vor den Mund und unterdrückt ihr weinen. 

Ich weiß gar nicht genau, wie ich nach ihrer Performance reagieren soll. Ich wusste, dass Sie talentiert ist, aber dass sie so spielt, als würde sie damit all das Leid auf der Welt auslöschen können, ist der Wahnsinn. Ansel pfeift durch die Zähne, schenkt seiner Freundin eins der Lächeln, die nur für sie bestimmt sind und ich meine sogar zu erkennen, dass seine Augen etwas feucht dabei werden.


***


Ich halte gerade das dritte Glas Sekt in meinen Händen und keines davon habe ich auch nur an meine Lippen angesetzt. Vielleicht ist es Junes Methode sicherzugehen, dass ich mich amüsiere. Aber wirklich, dass sie mir im Laufe des Abends immer wieder ein Glas in die Hand drückt und ich keine Gelegenheit bekomme, ihr mitzuteilen, dass ich weder Durst habe, noch etwas davon trinken werde, nervt. Und das ist auch der Hauptgrund, warum ich irgendwann aufgehört habe, mich an ihre Versen zu heften.

„Lass mich raten, das wirst du auch wieder auf das nächste Tablett stellen?", der junge Mann der plötzlich vor mir auftaucht, erschreckt mich fast so sehr zu Tode, dass ich das Glas beinahe fallen lasse. Das Gesicht kommt mir bekannt vor, mit Sicherheit einer von Ansels Kollegen, aber ich könnte nicht mit dem Finger drauf zeigen und mir zu Hundert Prozent sicher sein.

„Hm?", mache ich, obwohl ich seine Frage genau verstanden habe. Wie lange muss er mich schon beobachten um das so deutlich wahrzunehmen.

Er verzieht die Lippen zu einem kecken Grinsen und zwinkert mir zu. „Elle, oder?"

Ich blinzle, weil ich plötzlich viel zu überrumpelt davon bin, dass er meinen Namen kennt.

„Äh, ja genau. Und du ...", ich hebe den Finger um so zu tun, als würde ich nachdenken, obwohl ich ganz genau weiß, dass ich keine Ahnung habe, wie der breitschultrige Mann mit der roten Fliege vor mir heißt.

„Gabe." Gabe sieht aus wie ein Typ der viel Sport betreibt. Seine dunkelblonden Haare hat er nach hinten gegelt und obwohl es seiner langen Stirn weniger schmeichelt, passt es zu seiner Präsenz. Zu der teuren Uhr, die sein Handgelenk schmückt, der Fliege und dem weißen Hemd mit dem Ralph Lauren Logo an der Seite.

Ich verschränke die Arme vor der Brust, lasse die Arme aber sofort wieder sinken, als ich bemerke, dass Gabes Blick etwas tiefer fällt. Und so sehr ich auch dagegen angekämpft habe, aber das ist der Moment in dem ich mich anfange unwohl zu fühlen. Nicht nur in meiner Haut sondern vor allem auch wegen der Umgebung, die ich langsam aber deutlich viel zu sehr wahrnehme. 

Als würde eine Blase in meinem Kopf platzen und dafür sorgen, dass alles an Geschwindigkeit und Lautstärke zunimmt. Und mit dem Gedanken daran, dass ich mich so gut unter Kontrolle hatte, steigt die Panik bis zum auskotzen hoch. 

Bevor ich meinen Inhalt auf Gabes schwarzen Lackschuhen ausspucke, drehe ich mich weg und gebe mir alle Mühe in schnellen Schritten Richtung Ausgang zu gelangen. Die Hand auf den Mund gedrückt, die Schritte beschleunigt, bliebt mein Blick kurz bei Tate hängen, als hätte ich explizit ihn im Raum abgesucht. Als hätte ich vermutet, ohne es zu wissen, dass ich ihn brauche. Als hätte er es ebenfalls gespürt.

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