Ich stehe im Eingangsbogen der rustikalen Bibliothek, scanne den Raum nach einem dunkelhaarigen jungen Mann ab. Tate ist die letzten Tage nicht in unserem Zimmer gewesen, wahrscheinlich hat er langsam verstanden, dass seine Schwester jetzt eine Mitbewohnerin hat und ein bisschen Privatsphäre direkt einen ganz anderen Stellenwert annimmt.Das Störende daran, was meinen Kopf nicht entspannen lässt, ist, dass mein schlechtes Gewissen konstant steigt. Ja, Tate ist mir mit seinen Fragen zu nahe getreten und ich habe abgeblockt, wurde unhöflich, wütend. Aber mittlerweile teilen sich meine Gedanken in zwei Hälften. Die eine Seite, auf die ich mich wahrscheinlich auch schnellst möglich begeben sollte, ist genervt von Tate, dem Idioten, der nicht weiß, was er will, der mich durch verurteilende Augen mustert. Allerdings ist der anderen Hälfte dieser Gedanken wohl bewusst, dass er auch die Person ist, die mich beruhigt hat. Die mich sieht und mutig genug ist, nach meiner Geschichte zu fragen.
Tate ist anders als seine Stiefschwester. Während Sie Ablenkung und Schweigen wählt, schreckt er nicht davor zurück, in den Wunden nach Heilung zu suchen. Aber im Endeffekt wird es nie von Bedeutung sein, wie andere Menschen mit mir umgehen, wenn ich selbst nicht stark genug bin, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Meine Handlungen machen einen immer größer werdenden Bogen um mein Herz, wohl bewusst, dass ich mich immer weiter weg von den Ursachen der Probleme bewege. Aber das ist okay so, solange ich nicht stehen bleibe. Denn so habe ich keine Chance eingeholt zu werden.
Tate sitzt auf einem der braunen Ledersessel vor der riesigen Fensterfront. Hier habe ich ihn schon einmal beobachtet und irgendwie bin ich mir auch jetzt sicher gewesen, dass er sich dort befinden würde. Sein Fuß tippt in einem unregelmäßigen Takt auf den Boden, obwohl nirgends Musik zu hören ist. Ein aufgeklapptes Buch liegt auf der rechten Stuhllehne. Mit seinem linken Arm stützt er seinen Kopf. Zwischen den rechten Fingern hält er einen Kugelschreiber und macht sich Notizen auf dem Block, der in seinem Schoß liegt. Fast fühle ich mich schuldig, dass ich ihn so offen anstarre, merke aber schnell, dass hier jeder Student viel zu sehr in seinen Unterlagen versunken ist, um mich überhaupt zu beachten.
Ich atme tief aus, streiche mir über den Arm, halte inne, als ich die dort eingefügten Schrauben spüre und nicke dann um mir Mut zuzusprechen. Meine Füße setzen sich in Bewegung, ohne dass sich die Distanz aus Sicht meiner Augen verringert. Ich blinzle, damit meine Sicht wieder klar wird. Als ich vor Tate zum stehen komme, schultere ich mir meine Umhängetasche auf und öffne den Mund, um meine Entschuldigung schnellst möglich loszuwerden. Allerdings hebt mein Gegenüber den kopf so zügig, dass ihm wirre Locken in die Stirn fallen und mir sein Stirnrunzeln damit fast verdecken. Fast.
„Elina", gibt Tate von sich, auf seinen Lippen entsteht ein amüsiertes Grinsen. Elina. So hat er mich vor einigen Wochen im Wohnheimzimmer genannt, aus Provokation. Warum er mich jetzt provozieren will, ist mir unklar. Ich ignoriere seine Anspielung.
„Es tut mir Leid, Tate. Dass ich dich so blöd angemacht habe." Meine Stimme bricht gegen Ende ab, was meinen Körper direkt dazu veranlasst, meine Wangen in ein tiefes rot zu färben.
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unpainted faces
Romance"Du kannst dir dein Gesicht nicht bemalen und dann ernsthaft denken, dass ich da nicht durchblicken würde, Elle." Ich habe meinem Vater noch am ersten Tag der High School versprochen, dass ich genau den Menschen helfe, die sich ihre Gesichter nicht...