5| Ab ins Krankenhaus

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Ich bin wirklich schon seit ich denken kann, als naives, kleines Mädchen mit Sommersprossen abgestempelt worden. Von jedem, aber das ist auch okay so gewesen. Und wenn ich ehrlich bin, sehe ich auch naiv aus. Ich bin nicht groß, habe Augen die wahrscheinlich viel zu groß für mein Gesicht sind, Sommersprossen die meine komplette Nase bedecken und trage meistens Röcke, höre Taylor Swift und James Blunt und habe eine Schwäche für Duftkerzen. Mein Auftreten schreit nach Unsicherheit und Mauerblümchen. 

Ich habe nie ein Problem damit gehabt, weil ich in den Sachen in denen es zählte, nie unsicher gewesen bin. Im schwimmen bin ich hervorragend gewesen. Aber jetzt wünsche ich mir, dass ich vielleicht ein bisschen gefährlicher und selbstbewusster wirke. Vor allem, weil ich nicht mal weiß, wo genau ich eigentlich nach dem mysteriösen Typen mit den dunklen Locken suchen soll.

Ich weiß nicht mal, ob er hier aufs College geht, geschweige denn, ob er hier ein Zimmer hat. Hat er übrigens nicht, wie sich heraus stellt. Ich bin durch beide Wohnheime gestampft und habe vor jedem Zimmer halt gemacht um mir die Namenkärtchen durchzulesen. Kein Tate.

Als ich zurück in mein Zimmer komme, sitzt June auf ihrem Bett und bindet sich gerade ihre Haare zum Zopf, zuckt aber zusammen, als sie mich sieht. "Scheiße, du hast ja keine Ahnung, wie schreckhaft ich bin!", meint sie und fasst sich ans Herz. Ihre roten Locken fallen ihr wirr ins Gesicht.

"Sag mal, June. Wer ist eigentlich der Typ bei dem wir heute Mittag waren?", frage ich und drehe mich von ihr weg, tue so, als würde ich mein Kleid im Spiegel betrachten.

"Du meinst Tate? Das Arschloch mit den Grübchen, für die jeder sterben würde?", fragt sie lachend nach und bindet ihre Haare erneut zu einem Zopf. Gott, sie hat so viele Haare.

Ich werfe meiner Zimmergenossin einen Blick zu und nicke zögernd. Sie scheint ihn gut zu kennen. Und plötzlich bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich ihn wirklich auf den Mord ansprechen will. Vielleicht verschleppt er mich dann auch irgendwohin und was weiß ich passiert da-

"Er ist kein Arschloch. Tate ist kompliziert und stur, Elle. Aber halte...halte dich einfach von ihm fern. Mädchen wie du sollten nicht mit jemandem wie ihm zutun haben." June seufzt und schließt kurz die Augen, bevor sie ihre Stirn in Falten legt. "Wieso fragst du überhaupt?"

Ich schlucke hart, lasse mich vorsichtig auf mein Bett fallen und starre an die Decke um Zeit zu schinden. Was meint sie damit, dass Mädchen wie ich, sich von jemandem wie Tate Fernhalten sollen? Was bin ich für ein Mädchen? Naiv, unsicher, gebrochen?

Vorsichtig drehe ich meinen Kopf zu ihr um und mustere sie dabei, wie sie auf ihrem Handy herumtippt. "Hast du von dem Mord gehört? Hier in Denver? Gestern Nacht? Ich habe es vor ein paar Stunden in den Nachrichten gesehen und bin wirklich schock-"

"Ja, Gott, das ist echt schlimm. Mein Dad schreibt mir seit dieser Veröffentlichung alle zwanzig Minuten eine Nachricht und fragt, ob ich in Ordnung bin." Sie rollt mit den Augen, scheint dabei nicht wirklich beängstigt zu klingen.

"June?" Ich kaue auf meiner Unterlippe herum und versuche mich aufzusetzen, was mir nach zwei Versuchen auch gelingt. Sie sieht mich fragend an. "Ich habe diesen Tate, das vermeintliche nicht Arschloch, was du kennst, gestern Nacht mit-"

Ich werde unterbrochen von einer Tür, die einfach so aufgerissen wird. Unsere Wohnheimzimmer-Tür. Während June aufquiekt und erschrocken aufspringt, geht mein Blick vorsichtig in die Richtung, aus der ein dunkelbrauner Haarschopf herein spaziert kommt, als wäre es selbst verständlich.

Oh.

"Scheiße, Tate! Klopf doch an!", June bewirft ihn mit einem ihrer Kissen, welches an Tate abprallt und zu Boden fällt. Er folgt dem weißen Flauscheteil mit seinen Augen, hebt dann wieder den Kopf und verzieht seine Lippen zu einem minimalen Grinsen. Dann zuckt er mit den Schultern und macht es sich auf ihrem Schreibtischstuhl bequem.

unpainted facesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt