Ein unerwarteter Anruf

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Auf diese Weise verflogen die Tage nur so. Mittlerweile aß ich zur großen Freude meiner Mutter wenigstens ab und zu ein wenig. Die Schule habe ich seit der Rückkehr bisher auch noch nicht wieder besucht. Polnareff rief manchmal von Frankreich aus an, und Joseph aus Amerika. Sie wollten mich sprechen. Hören, wie es mir geht... Der Alte wollte uns besuchen kommen. Doch meine Mom wimmelte sie jedes Mal für mich ab und erklärte ihnen, dass ich noch immer mit niemandem sprechen wollte.

Mom betrat mein Zimmer, während ich gerade vorm Fenster saß und einfach nur gedankenverloren hinaus schaute.

"Jotaro? Ich hab dir deine Lieblings-Muffins gebacken!"

meinte sie fröhlich und stellte eine Platte voll mit Muffins neben mir ab. Dann setzte sie sich zu mir, lächelte mich mitfühlend an und strich mir einmal durch meine ungekämmte Mähne.

"Danke Mom."

Ihr Blick folgte meinem in die Ferne und eine Weile starrten wir gemeinsam nur so nach draußen.

"Er hat dir sehr viel bedeutet, nicht wahr?"

Oh, sie konnte sich ja gar nicht vorstellen, wie sehr. Ich nickte nur stumm mit einem dicken Kloß im Hals. Plötzlich drehte sie sich zu mir und schloss mich fest in ihre zarten Arme. Zu ihrer großen Überraschung erwiderte ich es diesmal, was ich seit einer sehr langen Zeit nicht mehr getan habe.

"Danke Mom. Für alles..."

Ich konnte förmlich spüren, wie sie anfing zu lächeln.

"Du bist stark, Jotaro. Ich weiß, dass es weh tut, aber genau so weiß ich, dass du es hinter dich bringen wirst und wieder mit einem Lächeln in den Tag starten kannst."

Noch ein letztes Mal strich sie mir lächelnd über den Kopf, dann ließ sie mich wieder in Ruhe und verließ mein Zimmer.

Ein paar Stunden später schreckte ich durch das Klingeln unseres Telefons aus meinen Gedanken auf. Ich seufzte genervt. Sicherlich schon wieder jemand, der sich nach mir erkundigen wollte...

"Ich hab doch gesagt, ich will niemanden sprechen."

brummte ich vor mich hin, als meine Mom mit dem Telefon in meinem Türrahmen stand.

"Ich weiß, aber, naja... Dein Großvater ist am Telefon und diesmal ließ er sich nicht abwimmeln. Er sagte, es sei sehr wichtig. Er sagte, du würdest es hören wollen."

Seufzend gab ich nach und nahm das Telefon entgegen.

"Ja?"

"Jotaro! Wie schön, endlich wieder deine Stimme zu hören. Wie geht es dir?"

"Ganz toll. Was gibt es so Dringendes?"

"Okay. Jotaro, bitte versprich mir, bis zum Ende zuzuhören und nicht gleich auszurasten. Es geht um Kakyoin... Die Speedwagon Foundation konnte ihn doch noch retten und..."

"WAS??"

"Bitte, Jotaro, hör mir zu! Ich konnte es dir nicht sagen, weil kaum Hoffnung bestand! Für dich sollten keine Hoffnungen entstehen, die sich eventuell bereits in den nächsten Tagen in Luft hätten auflösen können, verstehst du? Ich..."

"Sag mir sofort, wo er sich befindet!"

"Jetzt, wo sein Zustand einigermaßen stabil ist, wurde er vorgestern verlegt, in eure örtliche Spezialklinik, aber es gibt da etwas wichtiges, was du wissen musst bevor..."

Noch ehe er aussprechen konnte, legte ich auf, schnappte mir meinen Mantel und stürmte aus dem Haus.

"Jotaro, wo willst du denn so plötzlich hin??"

rief mir meine Mom hinterher, doch ich hörte ihr gar nicht richtig zu. Meine Gedanken waren nur bei Kakyoin. Stimmte es wirklich? Oder träumte ich etwa schon wieder? Egal, ich musste es versuchen.

In der Klinik angekommen erfragte ich seine Zimmernummer und gab mich dabei als sein Bruder aus, da er laut der Empfangsdame nur familiären Besuch empfangen durfte. Vor seiner Tür blieb ich stehen. Ich wurde nervös. Sehr nervös...
Vorsichtig klopfte ich an und öffnete die Tür. Und tatsächlich... Dort saß er! Dort saß Kakyoin in seinem Krankenbett, mit einem Buch in der Hand und dem gleichen wunderschönen Lächeln, was ich so vermisst hab. Es war, als bliebe mein Herz für einen Augenblick stehen.
Mit meinen Gedanken überfordert stürmte ich einfach nur noch auf ihn zu und schloss ihn so fest ich konnte in meine Arme. Ich klammerte mich regelrecht an ihn, als würde ich ihn nie wieder loslassen. Das wollte ich am liebsten auch gar nicht. Tränen liefen mir erneut über die Wangen.

"Kakyoin... Ich bin so froh, dich zu sehen..."

"Ehm... Entschuldigung, das ist mir etwas unangenehm, aber... kennen wir uns?"

Wie vom Blitz getroffen ließ ich von ihm ab und erstarrte.

"W... Was hast du gesagt?"

"Ich, ähm..."

Die Situation war ihm sichtlich unangenehm. Und ich... Ich verstand einfach nur nicht, was sich da gerade abspielte. Die seltsame Stille wurde unterbrochen vom Eintreten eines Arztes.

"Entschuldigung, was machst du hier? Der Besuch ist zur Zeit nur Familienangehörigen gestattet."

"Ich bin sein Bruder..."

log ich erneut. Der Arzt schob sich verwirrt die Brille wieder hinauf.

"In den Akten des Patienten steht nichts von einem Bruder. Bitte nenne mir unverzüglich deinen Namen."

"Okay, okay. Kujo, Jotaro. Aber ich will jetzt endlich wissen, was hier los ist, verdammt!"

"Ah! Dann bitte ich um Verzeihung. Mr. Joestar hatte bereits angekündigt, dass du in den nächsten Tagen herkommen würdest, allerdings habe ich dich nicht so früh erwartet. Nun..."

Nervös räusperte er sich und wandte sich kurz Kakyoin zu.

"Entschuldige die Aufregung, ich werde das nun richtig stellen. Bitte folge mir doch, Jotaro. Ich werde dir erzählen wie es um Kakyoin steht."

Ich warf im Hinausgehen noch einen letzten Blick auf Kakyoin, doch seine Augen wirkten so leer und kalt. Wusste er wirklich nicht, wer ich bin?

"Bitte setz dich doch. Wo fange ich am Besten an... Während der Fahrt vom Kampfgeschehen weg wurden bei Kakyoin plötzlich noch kleinste Anzeichen von Leben entdeckt. Scheinbar war er nie wirklich verstorben, sein Überlebenswille musste stark genug gewesen sein, ihn noch eine Weile am Leben zu halten. Als dein Großvater davon Wind bekam, wurden auf sein Drängen hin alle möglichen Spezialisten der Speedwagon Foundation, unter denen ich mich ebenfalls befand, zusammen gerufen und jede mögliche neueste Operationstechnik rangeschafft, die nur ging. Sie pflanzten Kakyoin neue Organe ein, ließen Gewebe neu wiederherstellen, hatten dabei ein paar Fehlschläge, aber versuchten es weiter. Bis sie am Ende ihrer Möglichkeiten standen. Ab da war es nur noch ein Warten und Hoffen, dass er aufwachen würde - was dann letztendlich früher geschah, als wir dachten. Allerdings wussten wir noch nicht, ob sein Körper die neuen Organe annehmen würde. Wir konnten nicht versprechen, dass er sein neues Leben behalten könnte. Es hätte passieren können, dass die Organe innerhalb der nächsten Wochen abgestoßen würden. Wäre das passiert, hätte er sein Leben verloren. Deshalb wollten wir, bzw Mr. Joestar, auch nicht, dass es dir jemand sagt. Nun ist die Zeit, in der etwas hätte passieren müssen zwar vorbei, und die Organe wurden offensichtlich angenommen, jedoch leidet Kakyoin seit er erwacht ist an einer Amnesie. Er hat vergessen was passiert ist, wer er selbst ist und... Er hat vergessen wer du bist."

In Your Arms - Last Train Home [Jotakak] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt