Entführung

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Ein paar Tage blieben Polnareff und Joseph noch, dann machten sie sich wieder auf den Heimflug. In der Zeit waren wir ständig bei Kakyoin oder mit ihm unterwegs und sie schafften es tatsächlich noch, mehr Erinnerungen aus seinem Kopf heraus zu locken. Doch meine Laune sank trotzdem immer weiter. Denn an mich erinnerte er sich noch immer nicht und es tat weh zu sehen, wie sie gemeinsam über alte Geschichten lachen konnten, und ich komplett außen vor stand. Er wusste einfach nicht, wer ich war. Also fasste ich einen Entschluss.
In der Nacht nach ihrer Abreise stand ich vor dem Krankenhaus. Ich wusste genau, welches der vielen Fenster das von Kakyoin war. Mit Hilfe von Star Platinum kletterte ich an der Hauswand und den einzelnen Fensterbrettern hoch. Zum Glück ließ Kakyoin sein Fenster immer ein wenig offen in der Nacht, also war es leicht für mich, es weiter zu öffnen und in sein Zimmer einzusteigen. Als erstes schaute ich in seinen Kleiderschrank, zog seine Tasche heraus und schmiss unordentlich all seine Kleidung hinein. Seine Badsachen und all den Kram, den er sonst noch hier liegen hatte, packte ich ebenfalls in die Tasche. Als ich den Reißverschluss zu zog, wachte er langsam auf. Also ging ich mit der Tasche zu ihm, setze mich an sein Bett und legte ihm meine Handfläche auf den Mund, damit er nicht das gesamte Krankenhaus aus den Betten schreien würde.

"Shhhhh, ich bin's, ganz ruhig. Bitte nicht schreien, lass mich erst erklären ok?"

Nachdem er sich scheinbar beruhigt hatte, nahm ich vorsichtig meine Hand weg. Er setzte sich auf und schaute mich böse an.

"Was zur Hölle machst du hier?? Du kannst nicht einfach hier einbrechen, mich erschrecken und mir den Mund zu halten!"

zischte er wütend. Sein Blick fiel auf die gepackte Tasche am Boden.

"Jotaro... Was hast du vor..?"

"Wir werden nach Ägypten reisen. Ich werde dich an Orte bringen, die deine Erinnerungen an mich zurück holen könnten. Wenn der Rest nicht klappt, muss ich jetzt eben einen drastischeren Weg einschlagen."

"Ein drastischerer Weg heißt in ein Krankenhaus einbrechen und einen Patienten entführen? Ganz tolle Idee. Denkst du denn, dass ich einfach so mit komme, wenn ich dich aktuell nicht einmal kenne?"

"Du musst. Bitte..."

Eine Weile lang schauten wir uns nur an. Seine Augen wirkten erschrocken. Doch irgendwann senkte er nachdenklich den Blick. Er musste die Verzweiflung in mir gesehen haben.

"Na gut... Es scheint dir ja sehr wichtig zu sein, dass ich mich an dich erinnere."

"Als ich von deiner Amnesie erfahren habe, habe ich mir geschworen, ALLES zu tun, damit du dich wieder an mich erinnerst. Und wenn mir nachher deine Eltern und das Krankenhaus eine Anklage wegen Einbruch und Entführung an den Hals werfen ist mir das auch egal."

Der Satz schien gewirkt zu haben. Nach einem mitleidigen aber teils auch bewunderndem Blick schmiss er die Bettdecke beiseite und erhob sich aus dem Bett.

"Lass mich bitte noch etwas Vernünftiges anziehen. Im Schlafanzug will ich nicht unbedingt auf die Reise gehen."

Ich nickte nur und gab ihm seine Tasche. Er stellte sie auf dem Bett ab, zog sich ein paar seiner Kleidungsstücke hinaus und verschwand ins Badezimmer. Als er zurück kam, musste ich mich zusammen reißen, nicht zu starren. Er trug seine sehr hoch aber eng geschnittene grüne Hose, die so seine schmale Taille betonte, und ein weißes Hemd mit kleinen Kirschen drauf, welches locker in die Hose gesteckt und bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt wurde. Er sah so gut aus...

"Also... Wollen wir? Ich hab ja scheinbar eh keine Wahl."

Ich nickte bloß, schnappte mir seine Tasche und öffnete das Fenster wieder.

"Komm zu mir und halt dich fest. Star Platinum bringt uns hier raus."

Er hatte sich fest an mich geklammert, während ich mich gemeinsam mit meinem Stand an der Wand entlang nach unten hangelte. Vorsichtig setzte ich uns am Boden ab.

"Wie kommen wir da hin? Hast du Flugtickets gekauft?"

"Noch besser. Wir haben einen Privatflug. Mein Großvater ist der Einzige, der von meinem Plan Bescheid weiß. Und er ist selbst jemand, der gerne solche bekloppten Aktionen durchzieht, also hatte er nichts dagegen und unterstützt mich. Wird nur witzig, wenn meine Mom das herausfindet, dann wird er sich aber was anhören können..."

Kakyoin kicherte nach dem letzten Satz.
Er wirkte immer noch nicht wirklich zufrieden mit seiner Situation, wer könnte es ihm auch verübeln, aber dennoch folgte er mir brav bei unserem Spaziergang zu dem bereitstehenden Mini-Flugzeug.

Der Flug verlief ruhig und angenehm, jetzt, wo keine anderen Stand-Nutzer mehr hinter uns her waren, und wir kamen sicher in Singapur an. Genau, in Singapur. Während des Fluges hatte ich Kakyoin erklärt, dass, obwohl ich zuvor meinte, dass wir nach Ägypten reisen würden, wir zuerst nach Singapur fliegen. Denn dort befand sich der erste Ort, den ich mit ihm Besuchen wollte. Danach würden wir Stück für Stück weiter nach Ägypten, genauer gesagt wieder nach Kairo reisen und für uns besondere Orte abklappern.

"Jotaro, ich bin müde. Der Flug war erschöpfend. Wo schlafen wir denn eigentlich?"

"Ich habe uns ein Hotel gebucht. Genau das selbe Zimmer, in dem wir das letzte Mal übernachtet haben."

Wir checkten ein und breiteten uns in dem Zimmer aus. Sofort danach legten wir uns hin und schliefen. Am nächsten Morgen führte ich ihn ein wenig herum, ich versuchte möglichst die gleichen Wege mit ihm abzulaufen wie damals und erzählte dabei, was wir hier erlebt hatten.
Die nächste Station war mitten in der Wüste, wo wir mit dem Helikopter abgestürzt waren. Hier war es etwas schwieriger den richtigen Ort wieder zu finden, doch als wir dort waren, setzten wir uns wieder gemeinsam an den Felsen. Ich erzählte ihm, dass er sich hierhin verzogen hatte, als sich die Situation von damals zugespitzt hatte, als alle Kakyoin für verrückt hielten, und dass ich mich zu ihm gesetzt hatte und für ihn da gewesen war. Mein Blick heftete sich an sein Gesicht, während er gedankenverloren in die Ferne schaute, und suchte nach irgendeinem Zeichen, irgendeiner Mimik, die mir zeigte, ob er sich an etwas erinnern würde. Er schien angestrengt nachzudenken und er sah ein wenig traurig aus.
Nachdem wir ein paar weitere Orte besucht hatten, erreichten wir Kairo. Erneut hatte ich zuvor das selbe Hotel und das selbe Zimmer gebucht. Ich legte große Hoffnungen in Kairo, denn hier haben wir uns unsere Gefühle offenbart. Gemeinsam spazierten wir wieder über den Marktplatz, legten uns auf die Wiese, wo wir erneut die Sterne beobachteten, doch alles dieses Mal mit einiges mehr an Abstand zueinander. Es war seltsam für mich.

Der Tag neigte sich dem Ende und wir legten uns in unsere Betten. Erinnerungen waren noch immer Fehlanzeige. Langsam verlor ich die Hoffnung. Doch für morgen hatte ich noch ein Ass im Ärmel, was ich mir für den Schluss aufgehoben hatte. Ich würde ihm den Ort zeigen, an dem wir unseren ersten Kuss hatten...

In Your Arms - Last Train Home [Jotakak] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt