Erinnerungsversuche

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"Herein?"

Meine Zimmertür öffnete sich vorsichtig. Der Typ mit dem schwarzen Mantel von gestern, der mich  so stürmisch umarmt hatte, kam wieder. Seitdem hatte ich ständig gegrübelt, woher ich ihn kennen sollte, doch es wollte mir einfach nicht einfallen. Jedoch schienen wir uns seiner Reaktion nach sehr nahe gestanden zu haben. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte er sich dem Arzt als Jotaro Kujo vorgestellt.
Dieses Mal war er ruhiger. Etwas unbeholfen stand er dort und wusste scheinbar nicht wirklich, was er sagen sollte. Also machte ich den Anfang.

"Du heißt Jotaro Kujo, oder?"

Er nickte und kratzte sich nervös am Kopf.

"Tut mir leid wegen gestern. Wenn du nicht weißt, wer ich bin, muss das sehr unangenehm für dich gewesen sein."

"Ach, alles gut. Früher oder später musste sowas doch passieren. Immerhin sind gut drei Monate meines Gedächtnisses weg..."

Ich versuchte zu lächeln, doch es musste etwas gequält ausgesehen haben, denn der Riese schaute mich mitleidig an.

"Bitte erzähl mir doch, woher wir uns kennen! Ich würde mich so gerne wieder erinnern!"

"Das ist eine verdammt lange Geschichte. Aber glaub mir, ich werde nicht aufhören, bis du dich erinnerst. Dafür sind unsere Erinnerungen viel zu wertvoll."

Er schnappte sich einen Stuhl und setzte sich zu mir ans Krankenbett. Ehrlich gesagt war ich noch etwas skeptisch. Tatsächlich wirkte er absolut nicht wie jemand, mit dem ich so stark sympathisieren würde. Er war still und düster. Ich hatte gehört, wie genervt und frech er auf das Personal reagiert hatte. Von so ungestümen, unfreundlichen Menschen hatte ich mich bisher eigentlich immer fern gehalten. Doch ich war kein Freund von Vorurteilen, also wartete ich ab, was er zu erzählen hatte.
Schnurstracks schnappte er sich den schwarzen Rucksack, den er dabei hatte, und schüttete den gesamten Inhalt auf meiner Bettdecke aus. Neugierig musterte ich die Mitbringsel.

"Was ist das Letzte, an das du dich erinnerst?"

Das war eine sehr gute Frage. Ich hatte schon oft darüber nachgedacht und auch die Psychologen hatten mir bereits mehrmals die selbe Frage gestellt. Eine klare Antwort hatte ich allerdings bisher nie gefunden.

"Nunja... Ich weiß es nicht so genau. Ich erinnere mich an ein paar ganz normale Schultage, nichts Besonderes. An meine Eltern, an mein Leben zu Hause..."

"Erinnerst du dich an einen Urlaub in Ägypten mit deinen Eltern?"

"Urlaub in Ägypten? Hmmm... Jetzt wo du es sagst, da war was.. Wir haben geplant, in den Sommerferien dort hin zu fliegen. Meine Eltern haben ein wunderschönes Hotel gebucht, ich hab mich sehr drauf gefreut. Aber ich weiß nicht ob wir schon dort waren."

"Ihr wart dort. Und du bist einem Mann namens Dio begegnet. Sagt dir der Name etwas?"

Als ich den Namen hörte, lief mir plötzlich ein eiskalter Schauer über den Rücken, doch ich wusste absolut nicht, warum.

"Nein... Nicht wirklich."

"Ok, verstehe. Dann machen wir mal hiermit weiter..."

Er griff nach einem Foto, welches inmitten der ganzen Sachen lag, die er mitgebracht hatte, und drückte es mir in die Hand.
Eine ganze Weile lang betrachtete ich es und versuchte krampfhaft, mich daran zu erinnern, wann und wo es entstanden ist, und vor allem wer all diese Leute auf dem Foto waren.

Abgebildet waren fünf Männer und ein Hund. Einer von ihnen, in der Mitte, war ich. Ich wirkte sehr glücklich dort. Links von mir stand Jotaro. Also hatten wir uns tatsächlich gekannt.

"Wir befinden uns in der Wüste oder? Der Hintergrund ist voller Sand. Habe ich euch im Urlaub kennen gelernt?"

"Nein, das ist weit nach deinem Urlaub. Du warst mit uns noch einmal in Ägypten. Schau mal, der Typ mit der Turmfrisur heißt Polnareff. Jean Pierre Polnareff. Der Alte ist mein Großvater, Joseph Joestar, mit der Drecks-Töle Iggy auf dem Arm. Hinter ihm steht Muhammad Avdol. Du erinnerst dich aber an deine Fähigkeit, du hast sie von Kind an, nicht wahr? Dein Hierophant Green... "

Ich schaute ihn mit großen Augen an.

"Du kannst Hierophant Green sehen?"

"Ja. Unsere gesamte Gruppe. Wir haben alle selbst eine solche Fähigkeit..."

Jotaro fing an, von ihren Fähigkeiten zu erzählen und führte danach seine Erzählung mit unserer gemeinsamen Geschichte weiter, von Anfang an, jedes kleinste Detail. Dabei nahm er sich immer mal wieder einen der Gegenstände, die auf meiner Decke lagen und brachte sie mit der Geschichte in Zusammenhang. Stundenlang hörte ich ihm zu und versuchte krampfhaft, mich an irgendetwas von dem, was er erzählte, zu erinnern. Doch so sehr ich es auch versuchte, es wollte einfach nichts zurück kommen und mein Kopf war mittlerweile komplett dicht.

"Jotaro... Es tut mir leid, ich vertreibe dich nur ungerne, aber ich bin echt müde und würde mich nun gerne hinlegen und schlafen. Das ist einfach alles echt viel auf einmal."

"Oh... Natürlich, entschuldige."

Er schob die Sachen wieder zurück in seinen Rucksack und zögerte dann noch kurz.

"Kann ich dir das hierlassen?"

Vorsichtig hielt er mir das Gruppenfoto entgegen. Lächelnd nahm ich es ihm ab und betrachtete es erneut.

"Sehr gerne sogar."

Wir verabschiedeten uns voneinander und er verließ mein Krankenzimmer. Seufzend rollte ich mich in meiner Decke ein und schloss die Augen. Das Einschlafen klappte allerdings nicht so gut wie erhofft. Das war einfach zu viel Input heute und mein Kopf versuchte noch, all das weiter zu verarbeiten. Erinnerungen kamen dabei leider nicht zurück. Ich ging in meinem Kopf noch einmal durch, was Jotaro alles erzählt hatte. Wir hatten alle offensichtlich verdammt viel durchgemacht. Es war so seltsam, in all dem mit eingebunden gewesen zu sein und sich an absolut nichts zu erinnern. Ich fühlte mich, als hätte ich mich in eine fremde Geschichte verirrt...

In Your Arms - Last Train Home [Jotakak] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt