Stich ins Herz

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'Auf geht's zum nächsten Versuch...',
dachte ich mir seufzend, während ich den Krankenhausflur hinunter lief, der zu Kakyoins Zimmer führte. Von weitem sah ich, wie sich seine Zimmertür öffnete und stoppte abwartend. Ein Mann und eine Frau verließen den Raum. Es mussten seine Eltern gewesen sein, denn die Frau hatte fast die gleichen Haare wie Kakyoin. Ich musste schmunzeln, doch als seine Mutter mich sah, bekam sie einen wütenden Gesichtsausdruck.

"Bist du Jotaro?"

"Ja?"

Mit einem noch verärgerterem Blick als schon zuvor stiefelte sie auf mich zu. Nur ganz knapp vor mir blieb sie stehen und hob drohend den Finger, während sie frustriert zu mir hoch schaute und anfing, sich zu beschweren.

"Du! Du hast meinen kleinen Engel dazu gedrängt, euch zu begleiten! Wegen dir ist all das passiert, wegen dir ist er nun in diesem Zustand! Du kannst froh sein, dass er überlebt hat, sonst hättest du es nicht gewagt, mir über den Weg zu laufen!"

Ihr Mann schob seine Hand vor ihren Bauch und versuchte, sie zurück zu halten.

"Hey, hör doch bitte auf. Das kannst du doch gar nicht wissen. Er ist sicher freiwillig mitgekommen."

"Mein Nori wäre von sich aus niemals ohne ein Wort zu uns abgehauen!! Ich kenne ihn doch!"

"Es tut mir sehr leid."

meinte Kakyoins Vater entschuldigend, während er versuchte, seine fluchende Frau  hinter sich her Richtung Ausgang zu schleppen.
Ich seufzte bloß und hatte gar nicht erst versucht, ihr zu erklären, dass ich damals sogar erfolglos versucht hatte, Kakyoin von der Reise mit uns abzuhalten. Es hätte doch eh nichts gebracht, ich konnte ihren Zustand und ihre Wut und Trauer ja verstehen.

"Yare yare..."

Also setzte ich meinen Weg fort und betrat Kakyoins Zimmer.

"Hi. Wie geht's dir heute?"

"Oh, hey! Meine Narbe am Bauch bereitet mir heute ziemlich Schmerzen, aber es geht schon... Da muss ich nun mal durch!"

Trotzdem lächelte er fröhlich. Ich bewunderte ihn insgeheim dafür.
Der heutige Tag lief ähnlich ab, wie gestern. Ich erzählte die Geschichten weiter, ließ keine Details aus, bis auf die bezüglich unserer engeren Beziehung. Ich wusste nicht, ob ihn das nicht zu sehr verstören würde, wenn er diese Seite an sich selbst erst während der Reise entdeckt hatte.
Doch leider weiterhin ohne Erfolg, noch schlimmer: es ging die nächsten Tage immer so weiter. Er konnte sich einfach nicht erinnern.
Also musste ich etwas Anderes versuchen. Nachdem Kakyoin mir sein OK gegeben hatte, bat ich den Alten und Polnareff darum, zu uns nach Japan zu reisen und gemeinsam mit mir und meiner Mutter Kakyoin zu besuchen. Sie ließen sich nicht zweimal darum bitten, die Beiden hatten quasi nur darauf gewartet, dass sie herkommen durften. Vielleicht würde die Begegnung mit ihnen ein paar Erinnerungen wecken können.

Gesagt, getan, ein paar Tage später reisten  Beide an. Es tat gut, sie wieder zu sehen. Mein Großvater hatte sich scheinbar auch wieder prächtig von der Reanimation erholt und alberte herum wie immer. Polnareff natürlich auch. Meine Mutter hatte zur Begrüßung gekocht. Als wir mit dem Essen fertig waren und Polnareff meiner Mutter beim abräumen half, wandte sich der Alte an mich.

"Und, wie geht's Kakyoin? Du bist ständig bei ihm, oder?"

"Ja. Ich war jeden Tag da und hab ihm von unserer Reise erzählt und ihm Erinnerungsstücke gezeigt. Er erinnert sich an absolut gar nichts. Aber seine Wunden heilen immerhin sehr gut."

"Verstehe. Mach dir keine Sorgen, sein Gedächtnis kriegen wir auch wieder hin. Und selbst wenn nicht; wir können uns sehr glücklich schätzen, dass er überlebt hat. Ich habe damals, als ich ungefähr in deinem Alter war, auch einen sehr engen Freund verloren."

"Echt? Die Geschichte kenne ich noch gar nicht."

"Am Anfang haben wir uns gegenseitig so sehr gehasst. Danach waren wir unzertrennlich. Ich würde schätzen wir standen uns mindestens so nahe wie du und Kakyoin."

"Das bezweifle ich..."

Noch bevor Joseph antworten konnte, kamen Polnareff und meine Mom zurück aus der Küche.

"Und? Wie sieht's aus? Wollen wir jetzt zu Kakyoin?"

fragte Polnareff ungeduldig. Wir nickten nur zustimmend und machten uns auf den Weg...

"Bitte überrumpelt ihn nur nicht so. Aus seiner Sicht seid ihr Fremde."

meinte ich noch einmal, bevor wir das Zimmer betraten.
Polnareff konnte sich natürlich trotzdem nicht ganz zügeln. Er hatte es zumindest versucht. Nach einer kurzen "Vorstellungsrunde" und Eingewöhnungsphase begannen wir, in Erinnerungen zu schwelgen. Zumindest alle außer Kakyoin. Er hörte interessiert zu und lachte über die Anekdoten die Joseph und Polnareff erzählten. Es war gut, dass ich sie eingeladen hatte. So wurden die Geschichten nochmal von anderen Sichtweisen aufgerollt. Außerdem waren die Beiden besser darin, sie lebhafter rüber zu bringen.

"Hahaha, Kakyoin, ich werde nie vergessen wie du ernsthaft geglaubt hattest, ein paar Monate altes Baby könnte ein ernst zu nehmender Gegner und Stand Nutzer sein, der intelligent und reif genug ist, seine Fähigkeit koordiniert gegen uns einzusetzen! Wir haben uns echt Sorgen um dich gemacht. Aber zum Glück hast du dich ja auch am Ende wieder eingekriegt!"

"Ein Baby Stand? Baby Stand... Hey! Doch, er war wirklich ein Stand Nutzer! Er war in unseren Albträumen!"

"Was hast du gesagt?"

Alle Blicke richteten sich auf Kakyoin, der mindestens genau so verdutzt schaute, wie wir.

"Ja... Ich erinnere mich daran... Wir waren mit dem Flugzeug abgestürzt und steckten mit dem Baby in der Wüste fest, nicht wahr?"

"Ja!! Du erinnerst dich! Erinnerst du dich an noch mehr?"

Kakyoin schien nachzudenken.

"Nein, nur an den Tag ein wenig. Eher bruchstückhaft. Einzelne Szenen von dem Tag sind wieder da!"

Freudig sprang Polnareff auf und machte Luftsprünge. Kakyoin musterte uns prüfend. Sein Blick blieb an mir hängen.

"War Jotaro dabei an dem Tag?"

"Ja.."

"Es... tut mir leid. Es ist nicht so, dass ich dir etwas unterstellen möchte, ich meine, ich habe ja sogar mit unserem Gruppenfoto den Beweis, dass du dabei warst, aber... Ich erinnere mich an alle an dem Tag, die dabei waren, nur du fehlst komplett in der Erinnerung. "

Es war wie ein Stich direkt ins Herz. Doch ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen...

In Your Arms - Last Train Home [Jotakak] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt