1. Kapitel- Violet

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Ein letztes Mal fällt mein Blick auf das frisch geschlossene Grab. Es ist gerade Mal eine Woche her und schon muss ich diesen Ort wieder verlassen.
Aber zu meinem Glück ist mein neuer Wohnort nur etwa drei Stunden Fahrt weg, also kann ich auch mal an einem Wochenende herkommen und meine Mutter besuchen.

Seufzend verlasse ich den eingezäunten Bereich und gehe zu dem Treffpunkt, an den ich mein Taxi hinbestellt habe. Es würde ja dann doch ein klein wenig komisch kommen, wenn ich mich von einem Friedhof abholen lassen würde.

Es dauert nicht lange und ich sehe das gelbe Fahrzeug direkt auf mich zu steuern. Kaum hat es vor mir gehalten steige ich ein und nenne dem Fahrer die Adresse, welche mir mein Cousin über das Handy zukommen lassen hat.

Daraufhin zieht der Fahrer nur seine Augenbrauen ungläubig in die Höhe. Ich verstehe ihn ja, es ist eben eine drei stündige Fahrt, aber ich bezahle ja auch den vollen Preis. Emotionslos ziehe ich ein Bündel an Geldscheinen aus meiner Jackentasche und wedle dem Fahrer damit demonstrativ vor dem Gesicht umher. Daraufhin nickt er nur eingeschüchtert und fährt los. Und ich lehne mich erschöpft an die Lehne und lasse meinen Kopf auf dem Fensterglas ruhen.

Ich will eigentlich nicht mit Geld angeben, da man dann arrogant rüberkommt. Aber oftmals ist diese Schein Arroganz auch ganz hilfreich, um anhängliche und nervige Mitmenschdn los zu werden. Allerdings hat das das Alleinsein zur Folge.
Ist aber oftmals besser, als wenn jemand sich zur Aufgabe nimmt, hinter die eigens aufgebaute Fassade zu blicken.

Und noch dazu kann ich das Geld nicht leiden und hüte mich, es so wenig wie möglich auszugeben. Es stammt leider von dem Erbe, was mir meine Mum hinterlassen hat und ich kann den Gedanken an ihren Tod noch immer nicht verkraften. Also wieso sollte ich das Geld ausgeben, es führt mir immer wieder vor Augen, dass sie jetzt nicht mehr bei mir ist.

Während der Autofahrt gebe ich mein bestes um nicht in Tränen auszubrechen. Eine etwas eigenartige Eigenschaft von mir ist, dass ich meine Trauer verstecken will. Ich weine also nicht öffentlich oder trage einen besonders traurigen Gesichtsausdruck zur Schau. Ich will keine mitleidigen Blicke ernten. Für mich ist Trauer oder auch nur Tränen etwas intimes, was mich verletzlich macht. Dementsprechend will ich nicht jedem meine Schwäche zeigen.
Um mich abzulenken gehe ich auf Social Media und verdränge alle anderen Gedanken.
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"So da wären wir.", meldet sich der Fahrer wieder zu Wort. Ich nicke schwach lächelnd und krame das Geld wieder aus meiner Tasche. Ein bisschen Trinkgeld darf natürlich nicht fehlen.
Nach einer schnellen Verabschiedung steige ich mit meiner kleinen Reisetasche aus und blicke auf das Haus vor mir, was wohl mein neues Zuhause darstellen soll.

Hinter mir höre ich das Auto wegfahren, aber ich habe mich noch kein Stückchen bewegt.

Meine Augen mustern das große, weiße Haus. Man könnte es schon fast als Villa bezeichnen. An der Front kann man viele Fenster erkennen. Daraus schließe ich, dass es im Haus inneren ziemlich hell sein muss. Einige Blumen sind im Vorgarten angepflanzt. Von weitem hört man ganz leise das Rauschen von Wellen und man kann sich auch einbilden, dass ein salziger Geschmack in der Luft hängt. Also gibt es hier ganz in der Nähe ein Meer.

Das Ganze hier ist so anders, als da, wo ich gewohnt habe. Ich war in einer Stadt beheimatet und das hier hat etwas abgelegeneres an sich. Was aber auch nicht ganz stimmt, denn ich habe mich im Taxi etwas informiert
Hier in der Nähe gibt es genügend Orte, damit einem nicht langweilig wird und ist so überhaupt nicht abgeschieden.

Mir innerlich selbst Mut zusprechend, setze ich einen Schritt vor den anderen. Ich freue mich meinen Cousin endlich wieder zu sehen, aber was ist, wenn er mich nicht hierhaben will. Oder wenn meine Tante oder mein Onkel mich nicht bei sich haben wollen? Wenn ich nur eine Last bin?

Aber, wenn das so wäre, hätten sie doch nicht freiwillig angeboten, dass ich bei ihnen bleiben kann, bis ich 21 Jahre alt bin. Im Moment bin ich 18 Jahre. Ich verstehe immer noch nicht, wieso ich noch nicht allein wohnen darf. Aber das Jugendamt meinte mitsprechen zu müssen und kontaktierte so meine Verwandten.
Wie das Gespräch genau verlief kann ich nicht sagen, aber nun stehe ich ja hier.

Mit zitternden Fingern betätige ich einmal den Klingelknopf. Nervös trete ich von einem Bein auf das andere.

Nach einer Minute hat immer noch niemand die Tür aufgemacht. Vielleicht ist keiner zu Hause? Oder sie wollen mich nicht bei sich haben und machen deswegen nicht auf?

Gerade als ich umdrehen wollte, wird die Tür aufgerissen und ein mir nur allzu bekannter Junge steht in der Tür. Sein Gesicht ziert ein breites Grinsen und seine Haare stehen in alle Richtungen von seinem Kopf ab.
James, mein Cousin. Ein witziger und verpeilter Spaßvogel.

Auf meinen Lippen bildet sich ein schwaches Lächeln, was aber breiter wird, als er mit einer schnellen Bewegung seine Arme ausbreitet und mich damit an sich drückt.

"Hey Violet. Ich freue mich ja so dich zu sehen.", nuschelt er in meine Haare.
Danach nimmt er mich an meine Schultern und schiebt mich etwas weg, damit er mich betrachten kann.

"Wow, du bist ja doch noch gewachsen und ich dachte immer du bleibst ein kleiner Zwerg. Und Brüste hast du auch noch bekommen. Und was für welche.", gibt er seinen Kommentar dazu.

"Und du hast ja auch noch Muskeln bekommen. Habe schon fast mit dem gleichen Lauch gerechnet, wie vor acht Jahren. Oh und schau an, sogar deine Zähne sind gerade geworden.", witzle ich weiter. Aber er hat sich echt verändert. Als wir noch kleine Kinder waren, war er nur ein Strich in der Landschaft und jetzt hat er einen muskulösen Körperbau bekommen und ist dazu auch noch in die Höhe geschossen.

Daraufhin lacht er nur herzlich und bittet mich rein zu kommen.
"Du hast dich, wie ich sehe, deinem Namen angepasst.", schmunzelt er und deutet dabei auf meine lila Haare, die heute zu einem unordentlichen Knoten im Nacken zusammen gebunden sind.

Ich nicke nur und folge ihm ins Haus hinein. Der Eingangsbereich ist hell und offen. Der Boden und die Wände bestehen aus hellen Materialien, dadurch sticht die schwarze Treppe einem direkt ins Auge, wenn man durch den Raum blickt. An den Wänden steht jeweils ein schwarzes Sideboard mit frischen Blumen in passenden Vasen. Eine kleine Gaderobe mit Jacken und Schuhen ist neben der Eingangstür angebracht.
Mehrere Türen führen in weitere Räume.

"Komm. Hierlang. Ich will dir gleich noch meine Freunde vorstellen. Sie warten im Wohnzimmer. Aber natürlich nur, wenn du magst. Oder bist du zu erschöpft?", erkundigt er sich, mit funkelnden Augen.

"Alles gut.", beruhige ich ihn. "Natürlich will ich deine Freunde kennen lernen."
Er scheint erleichtert zu sein.

Gemeinsam gehen wir durch eine weiße Tür, die in die Küche führt. Die widerum ist mit dem Esszimmer verbunden, welches ins Wohnzimmer führt.
Und als wir im Wohnzimmer ankommen, blicken mir drei Augenpaare neugierig entgegen.

Weil du es bist.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt