10 - Geburtstagsbier

88 11 18
                                    

Dienstag, 06.10.2020

Das Büro betrete ich am nächsten Morgen mit einem flauen Gefühl in der Magengegend. Wie soll ich mich verhalten?, schießt es mir durch den Kopf. Nachdem mich Jordan letzten Abend zu Amber nach Hause gefahren hat, ohne mich mit Fragen zu löchern oder Anschuldigungen zu machen, bin ich meinen eigenen Gedanken nachgegangen. Die ganze Nacht habe ich still vor mich hin geweint, bis das schlechte Gewissen mich von innen hat auffressen wollen. Hätte er sich mir bloß nie offenbart, habe ich gedacht und es im nächsten Moment wieder bereut. Ich bin erst all die schönen Momente mit Blue Rose durchgegangen, dann alle befremdlichen mit Steven, bis ich zu dem Schluss gekommen bin, dass etwas nicht stimmen kann. Entweder Steven verarscht mich und ist eigentlich nicht mein langjähriger Freund, oder eine seiner zwei Persönlichkeiten ist nur eine Farce. Ein Teil von mir hofft, dass mein Kollege, wie ich ihn kenne, nur eine Maske und Blue Rose seine wahre Identität ist. Blue Rose, der immerzu zuvorkommend, aufmerksam und liebenswürdig ist. Ein anderer Teil von mir sagt, dass ich mich meinem Schicksal fügen sollte.

Freunde kann man sich aussuchen, aber nicht ihn. Er ist vor elf Jahren in mein Leben getreten und hat meine Dunkelheit mit seinem Licht durchflutet. Wie könnte ich ihn nach all dem, was er für mich getan hat, einfach ausschließen? Also habe ich den Entschluss gefasst, alles auf mich zukommen zu lassen, denn wenn ich genau überlege, kann ich gar nicht mit Sicherheit sagen, was für ein Mensch Steven ist. Er scheint Geheimnisse zu haben, aber wer hat die nicht? Vielleicht bilde ich es mir auch einfach nur ein. Sein größtes Geheimnis ist nun nicht einmal mehr existent. Möglicherweise wird die Heimlichtuerei von nun an aufhören und alles, was ich tun muss, ist es, ihm eine Chance zu geben.

Nachdem ich gestern so schroff gewesen bin und ihn verjagt habe, kann es gut sein, dass er sich überrumpelt fühlt. Verübeln könnte ich es ihm nicht. Ich stelle mir vor, wie ich mich in seiner Position fühlen würde, wenn er beim ersten Treffen so kalt und unfreundlich mir gegenüber gewesen wäre. Ganz ohne Frage wäre ich verletzt. Ob es ihm auch so geht?

Ich bin gerade dabei gedankenverloren meine Unterlagen im Kopierraum zusammenzusammeln, als ich plötzlich zwei Stimmen vor der geschlossenen Tür vernehme.

„Er hat mich gebeten ihn zu verteidigen, aber das ist ein Prozess, den ich nicht gewinnen kann", sagt Patrick im Flüsterton, doch nicht leise genug, damit es mir entgeht. Neugierig tapse ich weiter in Richtung Tür und halte den Atem an, als ich interessiert dem weiteren Gespräch lausche.

„Ich dachte, es geht nicht immer ums Gewinnen", erwidert Steven leise lachend. „Reicht es nicht, wenn du versuchst, seine Strafe zu mindern?" Überrascht hebe ich die Augenbrauen. Seit wann sprechen sie so persönlich miteinander?

Ein verächtliches Schnauben entkommt Patrick. „Er hat keinen Nutzen mehr für uns. Die Drecksarbeit hat er erledigt, für mehr ist er nicht zu gebrauchen."

Es herrscht kurze Stille, bis Steven darauf im ernüchterten Ton antwortet. „Warum habt ihr ihn nicht auch damals schon die Dreckarbeit erledigen lassen?"

„Unsere Mutter rächen nennst du Drecksarbeit?", keift Patrick, diesmal lauter. Den Atem, den ich angehalten habe, stoße ich heftig aus, als ob mir jemand in die Magengrube getreten hätte.

Steven, der ansetzt, um etwas zu sagen, hält plötzlich inne. In dem Moment weiß ich, dass ich entdeckt wurde. Mit hochrotem Kopf schleppe ich mich auf meinen wackeligen Beinen von der Tür weg und drücke wild irgendwelche Knöpfe auf dem Kopierer.

In der Hoffnung, den Eindruck zu erwecken, zu beschäftigt gewesen zu sein, um dem Gespräch gelauscht zu haben, blättere ich suchend im Dokumentenstapel herum, als sich die Tür zum Raum öffnet. Aufgeschreckt drehe ich den Kopf nach hinten und sehe geradewegs in die skeptische Miene meines Arbeitgebers.

Blue Rose - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt