Dienstag, 27.10.2020
Die Verhandlung dauert schon viel zu lange an. Ich bin nicht sicher, wie lange ich schon hier sitze und die Blicke der wissbegierigen Zuschauer über mich ergehen lassen muss. Schon seit ich den Gerichtssaal betreten habe, meide ich es in die Richtung der Fremden zu sehen, da ich Angst vor dem habe, was mich erwartet. Ich spüre regelrecht, wie er mich anschaut und muss mich wahnsinnig zusammenreißen, mir nicht anmerken zu lassen, welch blanke Panik seine alleinige Präsenz in mir auslöst. Ich weiß nicht, wer mein Unbehagen anregt. Steven oder der Täter, der mich seit der ersten Minute feindselig mit seinem bohrenden Blick taxiert. Angestrengt kralle ich mich an der Kante des Tisches fest und starre fest auf das Mikrofon vor mir. Die junge Rechtsanwältin, die leidenschaftlich und professionell meine Rechte verteidigt, bemerkt mein Unwohlsein. Aufmunternd umfasst sie meine Faust in meinem Schoß mit ihrer Hand und drückt leicht zu, als wolle sie mir sagen, dass sie alles im Griff hat. Leise höre ich, wie sie zum Sprechen ansetzt, aber unterbrochen wird, als Jordan seine Aussage als Zeuge beendet. Zum wiederholten Mal, versuche ich seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Ein Blick. Nur ein einziger Blick von ihm würde reichen, meine angespannten Nerven zu beruhigen, doch seit wir den Saal betreten haben, hat er mich kein einziges Mal angeguckt. Ich rede mir ein, dass es daran liegt, dass er dem Richter nicht den Eindruck vermitteln möchte, dass wir uns sehr nahestehen. Möglicherweise kann mir das zugutekommen, was den Prozess angeht.
Meine Gedanken schweifen immer wieder zu dem Gespräch mit Madeline ab, auch dann, als Patrick nach vorne tritt und beginnt, Jordan Fragen zu stellen. Seine Worte gehen an mir vorbei und ich gebe mir auch gar nicht die Mühe, mich auf diese zu konzentrieren. Ich weiß, dass er die Wahrheit sagen wird und keinesfalls etwas, was gegen mich sprechen würde. Patrick allerdings... Ich weiß nicht, inwieweit ich ihm hier vertrauen kann. Er wirkt keinesfalls feindselig, aber nach all den Jahren und den gelüfteten Geheimnissen, kann ich sagen, dass er ein guter Schauspieler ist. Wie weit er in der Sache mit meiner Mama drin steckt, weiß ich nicht, aber eins ist klar: Er ist gefährlich. Genau aus diesem Grund habe ich mich die vergangene Woche krankschreiben lassen und alle Nachrichten und Anrufe von Steven ignoriert, der sich nach meinem Wohlergehen erkundigt hat. Ich kann nur von Glück sagen, dass er nicht vor meiner Tür aufgetaucht ist. Jordan hat mich zwar in meinem Vorhaben bestärkt, aber er hat mir auch das eingeredet, was ich schon weiß. Nämlich, dass ich mich den Beiden früher oder später stellen muss. Dennoch habe ich mir Gedanken um sein Angebot gemacht. Was ist, wenn ich wirklich die Arbeit wechsle? Würde meine Angst verklingen oder wäre das nur ein weiteres Zeichen meiner Schwäche?
Ich horche aus meinen Gedanken, als plötzlich das Knarren der schweren Türen erklingt. Meine Stirn legt sich in tiefe Falten, als eine Person geduckt in den Saal schleicht und einen entschuldigenden Blick in Richtung des Richters wirft. Es ist Madeline, die mich daraufhin schnell findet und undurchdringlich ansieht, während sie sich einen Platz in der letzten Reihe sucht. Fragend schaue ich sie an, doch sie schüttelt nur den Kopf und widmet sich dem Prozess.
Patrick hat seine Ansprache mittlerweile beendet und es ist nun meine Rechtsanwältin, die beginnt, Jordan mit Fragen zum Vorfall zu löchern. Der Prozess scheint nicht enden zu wollen, da beide Parteien Robert und die beiden Zeugen immer wieder in den Zeugenstand rufen und Ansprachen halten, um den Richter und die zwei Schöffen von ihrem Urteil zu überzeugen. Entgegen dem, was Patrick mir versprochen hat, wirkt es so, als würde er sein Bestes geben, die geringste Strafe für Robert auszuhandeln. Meine Annahme verstärkt sich, als der Richter Robert schließlich eine Geldstrafe und einige Sozialstunden auferlegt. Ich versuche meinen Ärger über dieses ungerechte Urteil zu unterdrücken. Mein Gesicht fühlt sich mit einem Mal so heiß an, dass das Blut sogar in meinen Ohren rauscht. Nur gedämpft nehme ich das aufgebrachte Gemurmel der Zuschauer wahr und die entschuldigenden Worte meiner Rechtsanwältin. Wie benommen winke ich ab und bedenke sie mit einem dankenden Lächeln.
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Blue Rose - Band 2
RomanceNachdem Jordan eine klare Linie zwischen sich und Rose gezogen hat, gehen sie getrennte Wege. Doch es vergeht kein Tag, an dem sie nicht an den Mann denkt, in den sie verliebt ist. In Zeiten wie diesen ist sie es gewohnt, sich an Blue Rose zu wenden...