02 - Küchenmesser

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Montag, 21.09.2020

„Du spinnst." Diese Idee ist absurd. Ganz egal wie sehr Jordan mich verachtet, er würde mir nie solche Nachrichten schreiben. „Er ist es nicht."

Herausfordernd sieht er mich an, als er sich im Stuhl zurücklehnt und die Arme verschränkt. „Wie kannst du dir so sicher sein? Du kannst den Leuten auch nur vor den Kopf gucken."

„Ich kenne ihn", gebe ich unbeabsichtigt bissig zurück. „Aber ich habe eine Idee, wer es sein könnte." Ich schenke ihm ein wissendes Lächeln, das ihn zunächst sprachlos zu machen scheint.

Perplex deutet er mit dem Zeigefinger auf sich. „Huh?", entkommt es ihm. „Du meinst doch nicht mich?"

„Das habe ich nicht gesagt", erwidere ich mit gespielter Unschuld. Doch genau das meine ich. Wer sonst kann es sein, wenn nicht er? Er hat vermutlich mein Handy geklaut und hängt mit all den Angriffen auf mich zusammen. Kevin hat mir eine Brieftasche untergejubelt und anschließend mit einem Messer attackieren wollen. Dann habe ich erfahren, dass er Robert kennt, den Mann, der mich hinterhältig angegriffen und vermutlich auch an anderen Tagen verfolgt hat. Wenn er Patrick und Steven kennt, dann ist es doch naheliegend, dass sie das alles zu viert geplant haben. Aber wieso? Ich kann mich nicht erinnern, ihnen etwas getan zu haben. Ich habe Patrick ein Arschloch genannt und lasse ihn meine Abneigung spüren, aber ist das ein gutes Motiv für ihn, mir wehtun zu wollen?

Doch dann kommen mir Jordans Worte in den Sinn. Er hat über DNA-Spuren von Ryder Price gesprochen. Bedeutet das, dass die Familie Price einen Groll gegen meine Familie hegt? Haben sie meine Mama umgebracht und sind jetzt hinter mir her? Mich erschüttert der Gedanke zu tiefst und je länger ich darüber nachdenke, desto unerklärlicher wird es für mich. Sobald ich versuche, eine Antwort auf diese tausend Fragen zu finden, bricht blanke Panik in mir aus. Daher versuche ich die Spekulationen abzuschütteln, die ich mir zusammenspinne.

„Traust du mir ernsthaft so etwas zu?" Stevens bestürzte Stimme holt mich zurück in die Realität. Schwer atmend komme ich wieder zu Sinnen, als erwache ich aus einem Alptraum. Doch so viel Unterschied besteht zwischen meinen düsteren Gedanken und meinem realen Leben gar nicht. „Ich schwöre dir, dass ich es nicht war!", ruft mein Praktikant aus und scheint ernsthaft gekränkt zu sein. „Welchen Grund habe ich schon dazu? Ich mag dich, Rose. Das würde ich nicht tun. Und wenn ich ehrlich bin, verletzt du mich damit sogar. Sehr!" Seine Miene wird so traurig, dass meine Meinung kurz schwankt. Doch als seine Augen auch noch glasig werden und seine Unterlippe bebt, bekomme ich tatsächlich so etwas wie Mitleid mit ihm. Vielleicht bin ich ja wirklich auf der falschen Spur. Womöglich steckt er gar nicht hinter diesen Nachrichten, auch wenn ich seinen Einfluss nicht leugnen will. Mir kommt der Gedanke, dass auch Patrick hinter alledem stecken kann. Möglicherweise ist er es gewesen, der mein Handy geklaut hat. Es gibt so viele Perspektiven, dass mir unzählige Fragezeichen über dem Kopf tanzen. Doch keines von ihnen lässt sich ohne Weiteres auflösen.

Etwas überfordert mit der Situation suche ich nach den richtigen Worten, um ihn zu beschwichtigen und mich zu entschuldigen. Doch gerade als ich ansetze, um etwas zu sagen, schlägt eine Tür gegen die Wand. Erschrocken fahren wir zusammen, als Patrick seine Anwesenheit lautstark ankündigt. „Mahlzeit! Rose, bring mir einen Kaffee und Steven, du folgst mir."

*

Um mich von meinen Gedanken abzulenken, arbeite ich härter denn je, sodass mir gar keine Zeit zum Nachdenken bleibt. Dementsprechend bin ich, für meine Verhältnisse, schnell mit den Aufgaben für den Tag durch. Das lässt mich überlegen, wieso ich nicht schon vorher in so einem Tempo gearbeitet habe. Warum habe ich erst mein Herz zerbrechen lassen müssen? Denn wenn ich mit den Gedanken mal nicht bei Blue Rose oder Robert bin, schwirrt Jordan in meinem Kopf herum. Ich sehe die Enttäuschung in seinem Gesicht, als er mich das letzte Mal angesehen hat und jedes Mal zerreißt es mir das Herz aufs Neue. Doch jedes Mal, wenn ich mir überlege, mich bei ihm zu entschuldigen, kommt mir mein Gewissen in die Quere. Ich habe es nicht anders verdient, von ihm weggestoßen zu werden. Vielleicht braucht es Zeit, bis seine Wunden heilen. Irgendwann begegnen wir uns vielleicht wieder und die Spuren sind verwischt, die wir uns gegenseitig hinterlassen haben. Auch wenn ich glaube, dass ich ihn und die Glücksgefühle, die er mir beschert hat, nie vergessen kann. Niedergeschlagen male ich mir all die Situationen aus, die wir hätten gemeinsam erleben können. Immerhin hat er gestanden, in mich verliebt zu sein. Wir haben uns innig geküsst und emotional so viel miteinander geteilt. Was wäre aus uns geworden, wenn ich es nicht verbockt hätte?

Blue Rose - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt