11 - Er ist es

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Freitag, 09.10.2020

Seit ich das Gespräch von Patrick und Steven mitbekommen habe, sind zwei Dinge anders. Meinen Chef kann ich nicht mehr als die Person sehen, die ich gekannt habe. Er ist schon immer ruppig, taktlos und unausstehlich gewesen. Die Liste ließe sich ewig weiterführen. Das alles ist er noch immer, nur hat sich sein Verhalten seither ins Unermessliche gezogen, dass sogar der Teufel sich das ein oder andere von ihm abschauen kann. Wobei ich manchmal das Gefühl bekomme, dass Patrick der Satan höchstpersönlich ist. Die Aufträge, die Steven locker selbst erledigen könnte, bürdet er mir auf, zusätzlich zu meinen eigenen Aufgaben. Der Praktikant hingegen darf herumsitzen und Anrufe entgegennehmen. Dieser nimmt mir jedoch das ein oder andere ab, wenn Patrick seinen Falkenblick ausnahmsweise mal von uns abwendet. Wer aber favorisiert wird, ist unschwer zu erkennen. Selbst unseren Kollegen entgeht diese Ungerechtigkeit nicht. Ich glaube, wäre das vor einigen Wochen und Monaten passiert, hätte ich mich irgendwo verkrochen und geheult. So langsam kann ich aber behaupten, dass es mir gleichgültig ist. Es kratzt an meinem Stolz, ganz ohne Frage. Aber schließlich bin ich selbst schuld. Ich hätte von vornherein eine Grenze ziehen sollen, wie weit ich meine Mitmenschen mit mir umgehen lasse. Wie viel ich zulasse. Von seinen sexuell angehauchten Bemerkungen, seinen spitzen Kommentaren und seiner passiv-aggressiven Art mal abgesehen, lässt mich allein schon die Erwähnung seines Namens in Angst und Schrecken verfallen. Kurz denke ich über eine Kündigung nach, aber was dann? Ohne einen Plan und festen Job, wäre es Selbstmord, den Job hinzuschmeißen. Bevor ich hier angenommen wurde, habe ich zahlreiche Absagen auf meine Bewerbungen erhalten. Was sollte nun anders sein? Es ist unfair, dass ich mich umorientieren muss, nur weil Patrick meint, seinen inkompetenten Bruder einstellen und besser behandeln zu müssen als seine langjährige Mitarbeiterin. Dienerin, wohl eher.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als Nikita lautstark an ihrem Kaffee schlürft. „Wie sieht eure Wochenendplanung aus?", fragt sie interessiert. Sie versucht gar nicht erst zu verbergen, dass Steven der Mittelpunkt ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit ist. Ihre schwarzen blau gesträhnten Haare stecken in einem strengen Zopf, welcher ihren langen dünnen Hals freilegt. Diesen reibt sie sich anzüglich und lässt den jungen Mann neben mir für keine Sekunde aus den Augen. Ich nicke anerkennend, geplättet von ihrem Selbstbewusstsein. Diese Frau kennt ihren Wert und weiß, wie großartig sie aussieht. Und soweit ich sie kenne, fehlt es ihr auch nicht an Charakter. Vielleicht ist sie manchmal etwas kindlich, aber gerade das macht ihren Charme aus.

„Ich werde Rosie heute beim Umzug helfen und morgen spiele ich mit meinem Vater Minigolf", antwortet Steven der anderen Praktikantin. Diese sieht mindestens genauso verblüfft aus wie ich.

„Ich wusste nicht, dass ihr euch so nahesteht", kommentiert Nikita und bedenkt mich mit einem neugierigen Blick. „Rosie? Ihr habt Kosenamen füreinander?"

„Nein!", schießt es aus mir heraus, bevor Steven etwas dazu sagen kann. Jener betrachtet mich skeptisch von der Seite, doch ich ignoriere seinen bohrenden Blick. „Keine Kosenamen und ich brauche auch keine Hilfe beim Umzug." Als ich die letzten Worte ausspreche, funkele ich Steven an. Mein stummer Blick soll ihm sagen, dass ich keine Diskussion eingehen möchte. Ganz sicher nicht vor Nikita. Wie kann er es überhaupt wagen, mich so zu nennen? Ich will den Kollegen keinen Grund zum Tratschen geben. Schlimm genug, dass mir die zwei Männer, mit denen ich arbeite, die Laune vermiesen. Auf der Arbeit wäre es angenehm, etwas Normalität und insbesondere Ruhe zu genießen. Die habe ich aber nicht, wenn die Anderen Wind davon bekommen, dass ich mich auch außerhalb mit Steven treffe. Besonders Christina wird mir ewig auf den Ohren liegen. Ab dem Zeitpunkt würde ich nicht länger überlegen und meine Kündigung sofort einreichen.

Meine wortlose Warnung scheint Steven kaltzulassen. „Ich habe doch vor ein paar Tagen gesehen, wie viel noch zu tun ist", stichelt er weiter. Nikitas Augen werden groß, ehe ihre Gesichtszüge ineinander zusammenfallen. Ein gekränkter Ausdruck überschattet ihre sonst so strahlende Miene. Ihre Schultern lässt sie enttäuscht sinken und stellt auch ihre Tasse auf dem Tisch vor sich ab.

Blue Rose - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt