12 - Du bist...?

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Freitag, 09.10.2020

Als würde ich gleich etwas Verbotenes sehen, kneife ich fest die Augen zusammen und trete einen Schritt zurück. „Was soll das?", frage ich verblüfft.

„Komm rein", höre ich Jordan in seinem üblichen Befehlston sagen, doch ich weigere mich strikt dagegen. Das Mysterium hinter dieser Tür ist es gewesen, das so viel zwischen uns zerstört hat. Er hat mich deswegen zum Teufel gejagt und plötzlich ist die Geheimniskrämerei vorbei? Einfach so? Nach allem, was er mir an den Kopf geworfen hat und nachdem ich mich die letzten Wochen so fertig gemacht habe? Ich denke an das zurück, was Nicolas gesagt hat. Jordan habe seine Worte nicht so gemeint. Es ergibt keinen Sinn. Warum tickt er dann aus, wenn er mir Wochen danach aus heiterem Himmel sein Zimmer präsentiert? Wieso haben wir erst so einen Herzschmerz erleiden müssen? „Rose, komm rein."

Entschieden schüttele ich den Kopf und drücke mich mit dem Rücken an Nicolas' Zimmertür, die Augen noch immer geschlossen. „Ich darf nicht", gebe ich verächtlich zurück, bevor ich über meine Worte und meinen Umgangston nachdenken kann. Ich komme mir vor wie ein bockiges kleines Kind, das aus Prinzip nicht tut, was man ihm sagt.

„Du wolltest es doch unbedingt sehen." Seine Schritte hallen vom Boden wieder, als er sich auf mich zu bewegt, bis ich seinen Körper dicht vor mir wahrnehmen kann.

Unwillkürlich beschleunigt sich mein Herzschlag. Ich versuche die Fassung zu bewahren, als ich mit bebender Stimme spreche. „Das war vor unserem Streit. Jetzt will ich es nicht mehr. Ich respektiere deine Privatsphäre."

Statt einer Antwort legt er eine Hand an meine Wange. Sobald ich zögerlich die Augen öffne und seinen schuldbewussten Blick sehe, umfasst er auch die andere. Unter seiner Berührung beginnt mein Gesicht zu glühen. Gerne will ich innere Stärke beweisen und mich von ihm lösen, diese Kraft habe ich jedoch nicht. Es ist lange her, dass er mich so angesehen hat. Mit einem weichen, hingebungsvollen Ausdruck, als wäre ich das Wichtigste auf Erden für ihn.

Jordan setzt einige Male an, um etwas zu sagen, unterbricht sich aber immer wieder selbst. Sein reuevoller Blick ist fest auf mein Gesicht fixiert, als seine Miene sich schmerzhaft verzieht. „Es tut mir leid, was ich damals gesagt habe", raunt er mit leiser Stimme. Nicht nur an seinem Ton, sondern auch in seinen Augen erkenne ich, dass er seine Worte ernst meint. Seine Aufgebrachtheit von vorhin ist verschwunden, als wäre sie nur Einbildung gewesen. „Ich weiß, dass ich dich verletzt habe, aber es war nie meine Absicht. Ich war bloß so... überfordert und habe nicht nachgedacht."

„Bist du sicher, dass du es nicht so gemeint hast?", frage ich gequält, als die schmerzliche Erinnerung sich vor meinen Augen immer wieder aufs Neue abspielt. „Tief in deinem Inneren musst du diese Dinge empfunden haben, sonst wären sie dir nie über die Lippen gekommen." Meine Vorwürfe quittiert er mit einem lauten Ausatmen und einem verzweifelten Gesichtsausdruck. Wüsste ich es nicht besser, würde ich denken, dass er den Tränen nahe ist. „War es das wert?", will ich pikiert wissen. „Ich habe mir sagen lassen, dass das, was du versteckst, nichts Weltbewegendes ist. Ist es das wirklich wert gewesen?"

„Nichts Weltbewegendes?", wiederholt er verwirrt. „Die Welt anderer ändert es vielleicht nicht, aber deine würde es erschüttern, glaub mir." Behutsam streicht er mit den Daumen über meine Wangen und lässt seine Hände langsam an meinen Nacken wandern. Wie auf Knopfdruck stellen sich die Haare auf meinem Körper auf. Ohne eine Reaktion auf meine Gänsehaut geben, massiert er die angespannten Knoten unter meiner Haut. Ein wohliges Seufzen muss ich mir angestrengt verkneifen. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für so etwas! Während er seine nächsten Worte ausspricht, erkenne ich Schmerz und Zerknirschtheit in seinem Gesicht. „Ich habe dich nur davor bewahren wollen. Meine Methoden waren nicht gerade vorteilhaft, das gebe ich zu. Ich habe vieles gesagt und getan, das ich bereue. Hauptsächlich, weil ich mich viel zu sehr von meinen Gedanken habe leiten lassen. Hätte ich auf meine Gefühle gehört, wäre dir das Leid, das ich dir zugefügt habe, erspart geblieben. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, aber ich dachte, dass ich dir damit vielleicht einen Gefallen tue. Ich hab' mich geirrt, das weiß ich jetzt."

Blue Rose - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt