04 - Das Verhör

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Freitag, 02.10.2020

Ich rutsche schüchtern auf dem kalten Stuhl unter mir hin und her als Kommissar Greco den Verhörraum betritt. Auch wenn die Wände nicht wie in den Filmen dunkel und kahl sind, sondern weiß und mit Natur Bildern dekoriert, komme ich mir vor wie eine Kriminelle. Fehlen nur noch die Handschellen.

Der Polizist nimmt vor mir am Tisch Platz und öffnet seelenruhig seinen Laptop, ohne mich dabei anzusehen. Vielleicht ist es eine Verhörmethode, vielleicht auch nur seine unfreundliche Art, aber seine deutliche Distanz macht mich nervös. Ich habe nichts verbrochen, daher möchte ich auch nicht so behandelt werden. Mir kommen Jordans Worte in den Sinn, als er gemeint hat, dass seine Kollegen für die Opfer sorgen. Doch wenn ich sein Verhalten und das der Polizisten von heute vergleiche, erkenne ich nicht, warum das so sein sollte. Sie haben mich absichtlich in die Opferrolle gedrängt und mich dann auch noch dafür angeschnauzt, dass ich emotional geworden bin. Wenn das die Art und Weise ist, wie sie die Opfer Nachsorge durchführen, dann verweigere ich das nächste Mal meine Kooperation. Das spricht nämlich nicht für Empathie und Feingefühl. Davon hat sogar Jordan mehr, und wenn er mich nicht gebeten hätte, mich auf ein letztes Gespräch einzulassen, wäre ich vermutlich nicht hier.

Gerade als meine Gedanken zu unserer sogenannten Wiedervereinigung schweifen, räuspert Alessandro sich. „Dann können wir ja mit dem Verhör beginnen", spricht er mit tiefer Stimme und sieht mir endlich in die Augen, auch wenn der Ausdruck in ihnen eher reserviert ist. „Vorab: Alles was wir sagen wird aufgezeichnet. In den Ecken sehen Sie Kameras und das hier ist ein Mikrofon." Wie wenn er zu einem Kind reden würde, deutet er auf das unübersehbare Mikrofon zwischen uns und lächelt mich väterlich an. Ich verziehe das Gesicht bei dem Wissen, dass er glaubt, mich großartig belehrt zu habe.

„Okay", raune ich nervös und suche mir eine gemütliche Sitzposition. Doch wie kann ich hier entspannt sitzen, wenn ich das Geschehen von vorhin wiedergeben muss, ohne es vorher selbst verarbeitet zu haben. „Ich bin soweit."

„Gut", erwidert der uniformierte Mann und knackst gemütlich die Finger, dabei starrt er wie gebannt auf den Bildschirm vor sich. „Dann erzählen Sie mir doch was bei der Konstruktion vorgefallen ist. Was ist ihnen aufgefallen? Was war verdächtig? War der Gesuchte unter ihnen?" Alessandro richtet seinen eindringlichen Blick wieder auf mein Gesicht, als ich nach ein paar Sekunden nicht antworte. Wo soll ich anfangen?

„Der Letzte war es", flüstere ich mit weit aufgerissenen Augen. Ich spüre wie sie wieder feucht werden, aber ich weigere mich partout vor diesem Mann in Tränen auszubrechen. Sogar den bohrenden Blicken der Leute hinter dem einseitig verspiegelten Glas bin ich mir schmerzhaft bewusst. „An dem Abend habe ich seine Stimme gehört. Robert ist es gewesen, stimmt's? Robert Robinson?"

Kommissar Greco horcht überrascht auf. „Sie kennen ihn persönlich?", fragt er forschend nach und ich nicke. „Woher?"

„Ich bin ihm vor ein paar Wochen in einem Club begegnet. Aber wirklich kennen tue ich ihn nicht."

Seine Finger huschen flink über die Tastatur. „Sie haben ihn vor oder nach dem Angriff getroffen?"

„Danach", erwidere ich leise.

„Haben Sie eine Vermutung warum er Sie angegriffen haben könnte? Wenn Sie sich zweimal begegnet sind, kann es ein Zufall gewesen sein oder eben auch nicht. Hat er Sie im Club bewusst angesprochen? Oder sind Sie ein zufällig gewähltes Opfer gewesen?"

Bei seiner Wortwahl dreht sich mir der Magen um. „Ich weiß nicht", antworte ich schwach und zucke mit den Schultern.

Ausdruckslos sieht er mich eine Weile an, ehe er sich resigniert im Stuhl zurücklehnt. „Hat er vorhin etwas verdächtiges gesagt?" Erst als er diese Frage stellt, nehme ich mir die Zeit, in mich zu gehen. Den ganzen Weg über hierher bin ich so aufgelöst und verwirrt gewesen, dass ich gar keinen Gedanken an das Gesagte verloren haben. Ich spiele die Geschehnisse im Schnelldurchlauf vor meinem inneren Auge ab wie einen Horrorfilm, den man sich zu Hause allein ansieht. Als ich seine Worte in meinem Gedächtnis aufrufe, keuche ich erschrocken auf. Plötzlich packt mich die Angst und schnürt mir die Luft ab.

Blue Rose - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt