17 - Spitzenpolitiker

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Samstag, 10.10.2020

Ich habe schon vor einigen Wochen einen Vorgeschmack darauf bekommen, wie glücklich es mich machen kann, an Jordans Seite zu sein. Dann ist alles den Bach runtergegangen. Das Gefühl, das er mir gegeben hat, habe ich anders in Erinnerung gehabt. Damals, als wir uns in meinem Zimmer geküsst haben, bin ich wie in einer rosaroten Blase gewesen, die mich umhüllt hat wie ein Schutzmantel. Doch das, was ich in diesem Moment verspüre, ist viel intensiver. Ich schwebe nicht nur auf Wolke sieben, denn mit jedem Blick, mit jeder Berührung und mit jedem Kuss, treibt er mich immer weiter Richtung Himmel empor.

Nachdem wir unsere kurze Liebschaft beendet haben, haben wir uns auf unsere jeweiligen Plätze gesetzt und weiter Marshmallows gegrillt. Mich überkommt der Drang so zu tun, als wäre nichts geschehen, doch das Glühen in meinen Wangen ruft mir das Gefühl seiner Lippen auf meinen stetig ins Gedächtnis. Dass er mich füttert, macht es mir schwerer einen klaren Kopf zu bewahren. Einige Zeit verbringen wir in angenehmem Schweigen, bis mir einfällt, dass ich noch weitere Fragen an ihn habe. Eigentlich tut es mir leid die friedliche Stille durchbrechen zu müssen, aber wenn er schon mal ehrlich mit mir ist, dann kann ich die Gunst der Stunde auch gleich ausnutzen.

„Warum wolltest du nicht, dass ich den Fall meiner Mama erforsche?", spreche ich leise, doch laut genug, damit er fragend in meine Richtung blickt. „Du hast mir damals gesagt, ich soll es ruhen lassen und dass die Polizei schon wissen würde, was sie getan hat."

Jordan zuckt schuldbewusst mit den Schultern. „Ich wollte nicht, dass du etwas auf eigene Faust unternimmst und womöglich Dinge herausfindest, die dich verletzen könnten."

„Dass dein Vater der ermittelnde Kommissar war zum Beispiel?"

Er nickt mit gekränkter Miene. „Zum Beispiel."

„Und mein Bruder?", hake ich weiter nach.

„Was ist mit ihm?"

„Hast du ihn auch gekannt?" Die Worte bleiben mir beinahe im Hals stecken. Es ist ungewohnt von einem Geschwisterkind zu sprechen, wenn ich bis vor ein paar Wochen noch geglaubt habe ein Einzelkind zu sein.

Entgegen meiner Erwartungen drückt Jordan sich nicht vor einer Antwort. Stattdessen steckt er mir das letzte Marshmallow in den Mund und lehnt sich bequem im Stuhl zurück. Seine Augen sind starr auf den dunklen Horizont gerichtet und er sieht aus, als wäre er gedanklich an einem ganz anderen Ort.

„Ich kann mich vage an einen kleinen Jungen erinnern, den ich immer mal wieder mit meiner Mutter besucht habe, bevor du auf die Welt gekommen bist. Genaues kann ich dir aber nicht sagen, ich war ja selbst noch ein Kind." Auch wenn ich es geahnt habe, deprimiert mich seine nichtssagende Antwort. Niedergeschlagen seufze ich und reiße meinen Blick von seinem schönen Profil. Gedankenverloren fokussiere auch ich die Lichter in weiter Entfernung, wo Himmel und Erde aufeinander treffen. Plötzlich berührt er mich an der Hand und verschränkt vorsichtig unsere Finger miteinander, was mich dazu bringt, in seine warmen Augen hochzusehen. Mich beschleicht das Gefühl, dass er gerne Händchen hält, auch wenn ich ihn eher für den lüsternen und kussbegierigen Typen gehalten habe. Überraschenderweise ist er seltsam sanft und liebevoll, doch genau das ist es, was die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzen lässt. Selbst in den ungünstigsten Momenten. „Willst du ihn denn kennenlernen?"

Ich mache den Mund auf, um etwas darauf zu erwidern, doch die Antwort bleibt mir in der Kehle stecken. Unschlüssig runzele ich die Stirn und mache mir das erste Mal, seit ich von ihm erfahren habe, Gedanken darüber. Will ich das? Auch wenn die Tatsache, dass ich ein Geschwisterkind habe, noch immer unrealistisch ist, vertraue ich auf Jordans Wort. Mir ist zwar nicht ganz klar, wieso Mama mich mein halbes Leben belogen haben soll, doch gleichzeitig traue ich das auch ihm nicht zu. Daher muss ich mich wohl mit dem Gedanken abfinden, aber was dann? Weiß er überhaupt etwas von mir? Was ist er für ein Mensch? Sehen wir uns ähnlich? Wie geht es ihm? Doch die nächste Frage, die sich mir stellt, trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht. Wo ist er überhaupt?

Blue Rose - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt