[chapter 18]

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Die Wochen waren dahin geflogen. Zwar wurden die Tage länger, doch rückblickend war die Zeit im Fluge vergangen. Doch ich will mich nicht beschweren, es waren die schönsten Wochen meines Lebens. Genau wie unsere Liebe, blühten die Blumen des Blumenfelds, das Louis mir vor knapp einem Monat geschenkt hatte, so schön, dass ich keinen Vergleich finden konnte. Er wusste, dass der Garten Zuhause mein Rückzugsort war. Daher wollte er mir mit dem Blumenfeld einen Ruheort bei sich schaffen. Und es war mein Rückzugsort, an dem ich auf die Bremse treten konnte, wenn mir das Leben zu schnell wurde.

Man hätte meinen können, dass nun alles gut werden würde. Aber wer mich und meine Geschichte wirklich kennt, wird vermutlich schon ahnen, dass es so einfach nicht werden wird.

Doch seit Liam, Niall und ich, Louis den Vorfall im Wald gebeichtet hatten, was wir bemerkenswerterweise eine ganze Woche hinauszögern konnten, durfte ich kaum mehr für einen kurzen Moment alleine draußen sein. Das Blumenfeld stand mittlerweile in voller Blühte und ich saß genau in der Mitte. Man könnte meinen all die verschieden Gerüche und Farben seien überfordernd, doch genau das Gegenteil waren sie für mich – ein Ruheort. Und gerade jetzt war so ein Moment gekommen und ich war alleine. Mein Herz schlug unaufhörlich, da mit dem Alleinsein immer ein gewisser Kick oder Nervenkitzel verbunden war. In solchen Momenten fühlte ich mich am lebendigsten und fühlte meine Umgebung intensiver als sonst – zumindest wollte ich es glauben, dass es so war.

Und rückblickend gesehen war ich in diesem Moment das letzte Mal so richtig glücklich und entspannt. Ein Lächeln auf dem Gesicht, eine Rose im Haar. Hätte ich nur gewusst, welches elende Ende Louis und mir nahte. Es war als hätte man unserer Liebe die Luft zum Atmen genommen. Einfach ausgelöscht. Und daran zu denken schmerzt bis heute noch.

Ich strich mit meinen Händen über die Blüten der Blumen und sog jeden Moment auf, um ihn möglichst lange in mir halten zu können. Die Blühten der verschiedenen Blumen glitten durch meine Hände. Ich dachte, dass ich so die Freiheit anfühlen musste. Aber was wusste ich schon?
Ich begann mich unwohl zu fühlen. Das hatte nichts mehr mit entspannen zu tun, ich wusste es beobachtete mich jemand. Ich sah zur Türe, die vom Wohnzimmer in den Garten führte, und bemerkte, dass Liam in der Türe stand. Er hatte mich kurz alleine gelassen und stand nun mit gezogener Waffe in der Tür, er zielte auf mich. Die Farbe wich mir aus dem Gesicht. Was hatte ich getan? Wollte er tatsächlich schießen? In diesem Moment löste er die Sicherung. Die Angst lähmte mich für einen kurzen Moment. Ich fragte mich, ob ich wirklich den Mann, der im Türrahmen stand, kannte oder ob ich mich in ihm getäuscht hatte. War dieser Mann der gleiche, der mir sanft über mein Haare gestrichen hatte und mich beruhigt hatte? Für einen kurzen Moment, der sich wie eine Ewigkeit anfühlte, löste ich mich aus dem Hier und Jetzt, mein Blick glitt über das Bild, das sich mir darbot. Die Sekunden schienen nicht mehr zu vergehen, die Zeit blieb stehen.
Bei genauem Hinsehen jedoch fiel mir auf, dass er leicht an mir vorbei zielte. Dennoch sprang mir mein Herz beinahe aus dem Brustkorb. „Harry, komm zu mir. Schnell!", brüllte mich Liam an. Ich sprang auf, war bereit, um mein Leben zu laufen und streckte sogar schon meine Arme nach Liam aus, ohne zu wissen wieso das alles geschah. Wieder geschah alles wie in Zeitlupe. Gewaltsam wurde ich an meiner Taille nach hinten gerissen, was mich zu Fall brachte. Ich schrie schrill auf. Ohne auch nur daran zu denken, krallte ich mich in das Gras unter mir und versuchte mich aus dem Griff des Angreifers zu winden. Ich versuchte zu krabbeln. Mein ganzer Körper schmerzte, ein Schusswechsel begann, bis der Angreifer mich an seine Brust zog und lauthals los lachte. „LOUIS!", Liam schrie verzweifelt ins Haus. Er konnte jetzt nicht mehr schießen, sonst würde er mich treffen. Die Verzweiflung war ihm ins Gesicht geschrieben.

„Tut mir leid, Großer, aber ich werde jetzt übernehmen!", lachte der Mann hinter mir. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Liam raufte sich verzweifelt die Haare und wusste scheinbar selbst nicht, was er nun sagen oder tun sollte. Die Waffe war immer noch auf uns gerichtet. Unterdessen hatte ich aber keine Sekunde lang daran gedacht aufzugeben und mich nicht mehr zu wehren. Und das Problem war nicht, dass ich schwach wäre, denn das bin ich keinesfalls, wenn ich es möchte. Aber der Mann hinter mir hatte einen eisernen Griff um meinen Körper.

Kurz darauf, nachdem der Angreifer den Moment der Überlegenheit ausgekostet hatte, nahm er seinen Revolver und zog ihn mir über den Kopf. Ich sackte in mir zusammen und bekam alles nur noch am Rande des Bewusstseins mit. Ich glaube, er hatte mich danach über seine Schulter geworfen, um so mit mir auf und davon ins Nirgendwo zu verschwinden. Schüsse konnte ich erahnen, doch ich wusste nicht, ob mir mein Unterbewusstsein nicht doch einen Streich spielte. Endlich wurde ich erlöst und sank in das Schwarz, das mich angenehm und warm umhüllte, und in dem ich nichts mitbekommen würde. Doch an meine letzten Gedanken kann ich mich noch genau erinnern.

Mir wurde bewusst, dass ich mein Leben noch nie so sehr hasste, wie in diesem Moment. Dann kamen mir Liams Worte in den Sinn: er hatte mich gefragt, ob ich Louis genug liebte, dass ich so ein Leben leben möchte. Natürlich hatte ich ohne Nachzudenken seine Frage bejaht, doch jetzt erst wurde mir bewusste, was er damit meinte. In einem Leben neben Louis, würde man niemals aufhören können, zu rennen. Es war ein Leben auf Messers Schneide und auf der Flucht. Aber wollte oder besser gesagt konnte ich mein ganzes Leben flüchten? Ich war mir nicht mehr sicher. Ich wollte für Louis flüchten, aber warum musste es so sein? Warum? Warum konnten Louis und ich uns nicht unter normalen Umständen, zum Beispiel in einem Coffee Shop, kennenlernen und warum konnte er keinen normalen Job haben? Warum?

Diese Gedanken jagten mich sogar in der Bewusstlosigkeit.



Ganz wach wurde ich erst, als ich mit einem Eimer voll kaltem Wasser mit Schwung übergossen wurde. Ich riss meine Augen auf und wurde mit der kalten Realität konfrontiert. Ich schnappte nach Luft, doch diese schien nicht in meiner Lunge ankommen zu wollen. Für einen kurzen Moment hatte ich mich tatsächlich überzeugt, dass es alles ein Albtraum sei und ich gleich wieder neben Louis aufwachen würde. Ein großer Irrtum. Stattdessen blickte ich in das narbige Gesicht einer Frau mittleren Alters. Ihr rechtes Auge war milchig gefärbt und eine Narbe zog sich von ihrer Augenbraue bis zu ihrem Wangenknochen direkt durch ihr Auge. „Aww, sind wir dann auch mal wach?", sie verdrehte die Augen und sah spöttisch auf mich hinab, „um eins klar zu stellen, hier wirst du keine weich gespülte Version von „Gefangenschaft" erfahren."

„Mit ein paar Schlägen kommen wir hier nämlich nicht weit.", mokierte sie mit rauem Unterton, der mir die Kälte den Rücken hinunter jagte. „Also wenn du dachtest, dass diese verweichlichte Version von „Gefangenschaft" schon schlimm war, mach dich auf die Hölle gefasst.", sie grinste boshaft und spukte in meine Richtung.

Mit diesen Worten ließ sie mich alleine, ohne mich annähernd wissen zu lassen, wer sie war oder was sie von mir wollte.

S T A Y « l.s.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt