„Guten Tag, meine Damen und Herrn! Setzt euch! So, wir haben ja in den letzten Wochen lange genug geübt und heute möchte ich mal sehen, ob ihr auch vernünftig mitgearbeitet habt. Heute bekommt jeder seinen eigenen Dimensionszugang der Kategorie B und dann möchte ich sehen, wie ihr damit zurechtkommt." Diesen Redeschwall schnarrte Professor Tunnel in einem Atemzug herunter. Bei seinen ersten Worten war die halbe Klasse zusammengezuckt und verstummt. Professor Tunnel hatte eine etwas unangenehme Stimme, die sich wie eiskaltes Wasser über den Raum verspritzte und allen klarmachte, wer gerade sprach.
„Jena, Marcus, teilt mal bitte die Schalen aus und bisschen Beeilung, wir haben nicht ewig Zeit."
Die angesprochenen nahmen die Stapel Kristallschalen, in denen sich besonders gut ein Dimensionszugang erzeugen ließ und ließen eine vor jeden Schüler fallen. In der Ecke hockte eine Beamtin, die anscheinend hospitierte, um von unseren Professoren zu lernen. Die würde ihr blaues Wunder erleben.
Dimensionskontrolle ist ein extrem kniffliges und riskantes Fach. Es geht darum, dass man als magisches Wesen zumindest in der Nähe kleinerer Öffnungen in der Wirklichkeit ruhig bleibt und nicht reinfällt. Um das zu Üben, muss man natürlich zunächst eine solche Öffnung erschaffen können, was wesentlich spannender ist. Der Fokus des Unterrichts bleibt allerdings auf dem Schließen solcher Öffnungen. Sich eine Öffnung zu erschaffen oder gar durch die Dimensionen zu reisen, trauen sich nur die größten Magier zu.
„So, überall eine Schale? Wunderbar. Gut, ihr kennt das, als erstes legt ihr bitte eure Hände in die Schale und dann mache ich das hier..."
Er schwenkte seinen knorrigen unhandlichen Stab durch die Luft und der Raum erfüllte sich mit einer knisternden Atmospäre, in der man sich schwer konzentrieren konnte. Das Sicherheitsfeld, das normalerweise in der gesamten Burg herrschte, damit niemand mitten im Unterricht unerwartet die Dimension wechselt, war aufgehoben.
„...kennt ihr ja schon, und gleich könnt ihr eure Zugänge beschwören. Anda, kannst du mir sagen, wie anschließend der Hauptteil der Beschwörung zum Scließen auszusehen hat?"
Soviel hatte Professor Tunnel kapiert: Er fragte nicht in den Raum hinein, um nach langem Schweigen die Lösung am Ende doch selbst zu verraten, sondern wählte mit einem in seinem Gehirn verborgenen Zufallsgenerator willkürlich jemanden aus, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. In seinem Unterricht ist daher nie jemand völlig frei von Nervosität. Der Zufallsgenerator ist völlig unberechenbar.
Auch für Anda.
„Äh, naja, eigentlich die gleiche wie sonst auch, nur halt nicht für Kategorie A sondern... äh... für Kategorie B, oder?"
„Ja, und wie lautet dann der Hauptteil der Beschwörung?"
„Äh, Ymisonk Beta ...Reptulak?"
„Kohle." (Eine ganz spezielle Eigenschaft von Professor Tunnel ist seine eigene Sprache. Wenn etwas falsch ist, sagt er Kohle oder Salat und wenn etwas egal ist, dann ist das Kiste. Einige Schüler haben von ihm auch spezielle Namen verpasst bekommen. Romeo nennt er zum Beispiel Klops.)
Der Generator summte und spuckte sofort einen neuen Namen aus.
„Radek?"
Anda lehnte sich erleichtert zurück, als kein Interesse mehr an ihr bestand. Inzwischen kämpfen die meisten schon mit winzigen Rissen in der Wirklichkeit, die sich von allein in ihren Schalen zu bilden begannen. Langsam breitete sich ein dunkelblaues Licht im Raum aus.
„Ymisonk Beta Reptulibi.", sagte Radek selbstbewusst.
„Sicher?"
„Äh, ja.", sagte Radek etwas weniger selbstbewusst.
„Ganz sicher? Denk nochmal nach!"
„Äh, Reptulobi... nee, doch Retulibi... !", sagte Radek leicht verzweifelt.
„Was denn jetzt?"
„Rep... tu... libi?", piepste Radek restlos verwirrt.
„War das eine Frage?"
„Nein..."
„Ja, war doch richtig."
Professor Tunnel konnte jeden, wirklich restlos jeden, gnadenlos verunsichern, selbst bei den einfachsten Aufgaben. Selbst wenn man sich vorher noch so sicher war, unter den seinen bohrenden Nachfragen Zerquetschte er alle Selbstsicherheit zu kleinen Krümeln. Das skurrile daran war, dass Tunnel, wenn tatsächlich eine falsche Antwort kam, sofort „Kohle" schnarrte und zum nächsten Schüler überging. Daher war seine Nachfrage eigentlich schon eine Beweis dafür, dass die Antwort richtig war. Aber zusammen mit dem Selbstbewusstsein schmelzen auch solche logischen Gedankengänge unter den ruckartigen Verunsicherungsattacken dahin.
Genau deshalb hatten Schüler, die in Dimensionskontrolle weniger Talent hatten, eine große Abneigung gegen ihn entwickelt. Ältere Schüler mochten ihn dagegen ganz gerne. Denn komplizierte Dinge erklären konnte er tatsächlich ganz gut.
„Anda, die Endung -lobi, benutzt man nur, wenn der Zugang wodurch entstanden ist?"
„Äh, durch einen magischen Impuls..?"
„Naja, alle Zugänge entstehen durch irgendeine Art von magischem Impuls."
„Also, wenn der Impuls durch... äh.. erzeugt wird durch ein... Dings..."
Inzwischen mühten sich fast alle, die Risse in ihren Schüsseln unter Kontrolle zu behalten. Es waren zwar nur winzige Öffnungen, die schlicht durch die Anwesenheit so vieler Hexen und Zauberer entstanden, aber die Atmospäre im Raum war schon völlig unwirklich. Wir schwitzen ein bisschen und die Hospitantin verkroch sich unter ihrem Tisch. Professor Tunnel ließ Anda nicht ausreden.
„...durch eine früher ausgesprochene Formel, die an der Stelle mal einen Zugang geöffnet hat. Was wir hier machen, ist aber was anderes, wir öffnen einen komplett neuen Zugang mit einer komplett neuen Formel öffnen. Beziehnungsweise, ich mach das. Dann legt mal los!"
Und wie immer fügte er ironisch hinzu: „Ich wünsch euch viel Spaß."
Mit diesen Worten sprach er eine große Beschwörungsformel, mit der schlagartig alle Schalen zu flimmern begannen. Seltsame Klänge erklangen, ich sah nur noch schemenhaft den Rest des Raumes und hörte seltsam gedämpft die Stimmen der anderen, die die Beschwörung runterleierten oder -schrien, je nach Charakterstärke.
Normaler Unterricht halt.
Neben dem Wortlaut der Beschwörung sind Händebewegungen und Tonfall auch wichtig, um einen Dimensionszugang fachgerecht zu schließen. Das erfordert eine Konzentration, die man nur schwer aufbringen kann, wenn Professor Tunnel herumgeht, einen unergründlich anschaut und möglicherweise benotet. Nach und nach schlossen sich die Zugänge, die meisten brauchten mindestens drei Versuche und hofften, dass die ersten zwei davon unbemerkt geblieben waren.
Zum Abschluss der Stunde verkündete Professor Tunnel: „So, ich muss sagen, die meisten von euch haben sich ziemlich gut geschlagen..."
Viele von uns schauten überrascht. So ein positives Urteil bekommen wir selten, abgesehen von den ersten Wochen unseres ersten Schuljahres, als uns die Professoren noch nicht richtig kannten und eine Startmotivation geben wollten.
„...was die Formel angeht, aber es haben extrem viele nicht dran gedacht, die Mimik einzubeziehen, deshalb haben die meisten auch so viele Versuche gebraucht."
Die Klasse stöhnte, ich auch ein bisschen. Ich hatte wirklich vergessen, an die Mimik zu denken. Aber wahrscheinlich hatte Professor Tunnel eher auf die schwächeren Schüler gedacht und sprach jetzt vor allem zu denen.
Dann allerdings schweifte sein Blick über die Klasse und blieb bei mir hängen. Also meinte er auch mich, verdammt. Oder hatte er mich nur allgemein angeschaut? Nein, sowas machte Tunnel nicht. Bestimmt waren sogar seine Blicke Teil seines durchdachten Planes mit dem Ziel, uns zu verunsichern.
„Jena, Marcus, sammelt ihr bitte die Schalen wieder ein? Und kann jemand mal bitte die Beamte da aus ihrem Dimensionsloch rausziehen, sonst rutscht die uns noch aus der Wirklichkeit sonstwohin. Und könnt ihr dann irgendwas machen, damit die wieder zu sich kommt. Kaltes Wasser oder erste Hilfe oder was weiß ich."
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Ein Praktikum beim dunklen Lord
FantasiGünther ist ein Zauberlehrling an einer altehrwürdigen Zauberschule und somit umgeben von einigen wirklich exzentrischen Magieprofessoren und Mitschülern. Irgendwann soll er sich einen Praktikumsplatz in der Stadt Abarada suchen. Während sich die me...