Der höchste Punkt von Burg Isigimsus liegt ziemlich genau in der Mitte des größten Gebäudeteils. Es ist ein Turm, also quasi. Das Ding ist viereckig und ragt einfach irgendwo aus der Schule raus, aber weil es deutlich höher als der Rest ist, muss es wohl ein Turm sein. Genutzt wird er für den Astrologieunterricht, den man in den höheren Klassen belegen kann. Besonders oft wird da nicht unterrichtet. Ansonsten lässt er sich auch gut zum melancholischen In-die-Ferne-starren bei einer vermasselte Prüfung, Liebeskummer, einer Mahlzeit von Herrn Oxedos und anderen Schicksalsschlägen nutzen.
Rostige Teloskope quietschten, verlotterte Holzstühle lagen umgekippt auf dem Backsteinboden. Astrologie hatte wohl schon länger nicht mehr stattgefunden. Ruß und komische Flecken bezeugten, dass der Turm außerdem lange als Stätte großer dramatischer magischer Auseinandersetzungen und Duelle gedient hatte. Ich stellte mich an die Backsteinbrüstung und starrte melancholisch in die Ferne. Die Ferne starrte nicht zurück. Offenbar war es ihr peinlich, angestarrt zu werden, denn sie versteckte sich hinter Nebel und wurde rot. Das könnte aber auch am Sonnenuntergang gelegen haben.
Genau genommen bestand die Ferne aus Abarada, der Flussbucht und lauter flachen Wiesen und Feldern. Die untergehende Sonne war noch halb zu sehen. Und diese Hälfte war eigentlich nochmal in zwei Viertel geteilt, von einem dicken senkrechten schwarzen Balken.
Man ignorierte ihn häufig, aber jeder Abaradaner wusste, was es war: Der dunkle Turm von Abarada, ein Stinkefinger der Geschichte. Wenn man einen solchen Turm errichten möchte, sucht man sich am besten eine passende Umgebung. Daher stehen viel Herrschertürme in kahlen Wüsten, steilen, nackten Gebirgen oder auf felsigen Inseln im Meer, gegen die ständig meterhohe Wellen klatschen.
Abradas Umgebung kann mit nichts davon dienen und deshalb steht der Turm hier auf einem dreißig Meter hohen Hügel voller Löwenzahn und anderen kunterbunten Blumen. Viele historische Bilder und Beschreibungen lassen den Löwenzahn einfach weg, weil er zu peinlich erscheint. Das ändert nichts daran, dass er da ist.
Auf Postkarten wird stattdessen der Turm stets weggelassen. Eigentlich ist er sogar der Grund, warum in Abarada in erster Linie Postkarten verkauft werden, die nur Ausschnitte der Stadt und nicht der Umgebungslandschaft zeigen.
Und eigentlich war ich nur wegen des Turms auf den Turm gestiegen. Also, wegen des anderen Turms, nicht wegen des Turms, auf den ich gestiegen war. Ich hatte mir so eine Art geheimnisvolles kleines Licht oder eine dunkle, aus der Tür kommende Gestalt erhofft. Ein Zeichen, dass da was los war. Dass sich dort Argor heruntrieb, auf der Suche nach Anregungen von den Hinterlassenschaften der alten Alphas. Denn irgendwas war da bestimmt los. Das... Erbgut oder der Geist oder was auch immer der Herrscher hatte sich bei Argor eigenistet und lief dort Amok. Und irgendwie kam es bestimmt vom Turm. Nach wie vor sollten dort seltsame Dinge geschehen und wohnen, bereit, wieder in die Stadt umzusiedeln.
Der schwarze Turm sah absolut verlassen aus. Schade.
"Na, fliegen da Drachen?", fragte Professor Schossel. Der stand da einfach plötzlich, um der Szene noch eine unerwartete Wendung zu geben.
"Nein."
Und dann fiel mir was ein. Nicht gerade der sinnvollste Plan, aber irgendwas musste ich machen. Ohne über Argors Laden zu reden.
"Im dunklen Turm, da war ein Licht. Äh."
"Wirklich?"
"Ja. Da war jemand."
"Hm. Na, hoffentlich nicht."
"Echt!"
"Ich seh da nix. Das war nur der Sonnenuntergang. "
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Ein Praktikum beim dunklen Lord
FantasíaGünther ist ein Zauberlehrling an einer altehrwürdigen Zauberschule und somit umgeben von einigen wirklich exzentrischen Magieprofessoren und Mitschülern. Irgendwann soll er sich einen Praktikumsplatz in der Stadt Abarada suchen. Während sich die me...