In Allgemeingeschichte unterrichtet uns ein Beamter, weil es ein nichtmagisches Fach ist. In den magischen Fächern dagegen unterrichten nach guter alter Sitte mehr oder weniger ruhmreiche Zauberer und Hexen mit Professorentitel. Nach Allgemeingeschichte haben wir zum Beispiel Speicherkunde.
Da geht es darum, in welchen Gegenständen sich magische Energie am besten abspeichern lässt und wieso und so weiter. Eigentlich ganz interessant, aber nicht mit Professor Floddel-Borscht, deren Unterricht sich von einer Freistunde nur dadurch unterscheidet, dass irgendwo im Hintergrund noch eine Lehrerin redet.
„So, gudn Dag, Kinner, ledsde Woche ham wir uns ja mit den Krisdallen beschäfdigt und dabei was gans Gomisches fesdgeschdelld, nämlich dass jüngere Krisdalle, also zum Beischbiel die Zuckerkrisdalle aus unserem Exberimend die magische Energie so gud wie gar nich schbeichern, aber..."
Irgendjemand schoss blaue Funken herum. Ein Grüppchen Hexen in der mittleren Reihe redete unerfreuliche Dinge über eine andere Hexe, die momentan nicht da war. Quintus und Rüdiger in der letzten Reihe nutzten die Zeit sinnvoll für ein Nickerchen. Der Rest spielte Tick Tack Toe, allerdings nach Zaubererart, was bedeutet, dass das Papier mit bunten Funken durchlöchert wird und jeder versucht, mit seinem Funken zuerst auf dem Blatt zu sein.
„...andere Krisdalle wie die Smaragde aus dem Exberimend die Energie todal gud speichern. Had jemand eine Idee woran das liegen könnde?"
Die Professorin sah sich im schmucklosen Backsteinraum um. Keiner reagierte. Bis zur mittleren Reihe hätte man die Frage problemlos verstehen können, aber auch nur, wenn man wollte.
„Myrsia? Ne Idee?"
Myrsia drehte sich um und versuchte nicht zu verbergen, dass sie die Frage nicht gehört hatte. Im Gegenzug versuchte Professor Flöddel-Borscht nicht zu verbergen, dass sie damit auch nicht rechnete.
Professor Flöddel-Borscht wiederholte die Frage. Myrsia grübelte.
„Äh, vielleicht wegen der, äh, Härte?"
„Gud überlegd, aber ne, so isses nich. Noch jemand ne Idee? Gud, dann sag ichs euch, das liegd am Alter. Also, Magie kommd in alden Gegenständen oder Gebäuden eher vor als in neuen, das hattet ihr in Bibliothekenorientierung bestimmd schon, oder?"
Nicht nur ich verdrehte die Augen. Ständig gingen irgendwelche Professoren davon aus, dass wir in einem anderen Fach irgendwas gehabt hätten, was wir gar nicht gehabt hatten. Besonders schrullige Lehrer meinen sogar, wir hätten irgendwas Unbekanntes vor einem Jahr bei ihnen gehabt, aber da lässt sich die Wahrheit mit alten Mitschriften ganz gut beweisen.
„Naja, also, es gibd sogar eine Gleichung, welche Krisdalle am besten schbeichern. Wer hat eine Idee, welche Werde in die Gleichung reingehören?"
Immerhin, sie versuchte es. Mir ist auch nicht klar, warum Professor Floddel-Borscht so wenig Autorität hat. Sie ist weder eine besonders kleine noch besonders leise Hexe, aber um sie herum liegt einfach eine Aura, die alles, was sie tut, grenzenlos unwichtig erscheinen lässt. Manchmal überlege ich, ob sie nicht von einem Kollegen, der sie nicht mochte, mit einem Fluch belegt wurde, aber von einem Unwichtigkeitsfluch oder so habe ich noch nie gehört.
„Also ersdmal nadürlich das Alter, das haben wir ja schon festgeschdelld. Und sonsd, was brauchen wir noch?"
Ich erbarmte mich und hob die Hand. Manchmal ist das Mitleid stärker als der ewige Kampf zwischen Schüler und Lehrer. Aber nur einmal pro Stunde, öfter mache ich sowas nicht.
„Ja, Günther?"
„Die magische Energiemenge und..."
Was noch? Mir fiel auf die Schnelle nichts ein und Frau Floddel-Borscht schnitt mir das Wort ab.
„Ja, richtig, die magische Energiemenge und noch was. Jemand ne Idee? Ne? Naja, machd nichts. Also, als Driddes brauchen wir noch die allgemeine Schbeicherkonstande, die kennd ihr ja schon, und die Dichde des Krisdalls. Und wie ordnen wir die jetzd an?"
Ich meldete mich nicht. Einmal pro Stunde. Mehr nicht.
„Rüdiger?"
„Keine Ahnung."
„Och, schade. Also, wir müssen ja die magische Energiemenge, die der Krisdall aufnehmen kann, berechnen. Also schreiben wir auf die eine Seide der Gleichung die magische Energiemenge und auf der anderen Seide den Resd, nämlich das Alter mal Schbeicherkonstande und das Ganse durch die Dichde."
Und genau das kritzelte sie an die Tafel. Alle notierten sich das widerwillig und schliefen, spielten oder redeten dann weiter. Ein blauer Funke traf die Tafel und entfernte das Gleichheitszeichen aus der Gleichung.
„Das reichd jetzd. Das kam von da hinten – Marcus, hasd du den Funken geschossen?"
„Hä, ne, ich war das gar nicht, das war... Dings... hier."
Marcus deutete auf die zwei leeren Stühle zwischen sich und der Wand, bis ihm auffiel, dass da heute niemand saß.
„Ja, is klar. Du setzd dich nächsde Stunde bidde ganz nach vorne hin, damid ich dich im Auge hab. So. Had jemand Fragen zu der Gleichung?"
Wenn Professor Floddel-Borscht einen Wutanfall hatte, bekam sie gerade mal eine ähnliche Aufmerksamkeit wie ein Mensch, der mit normaler Stimme redete.
Burg Isigimsus ist eine Zauberschule. Zauberschulen gelten als vermutlich älteste Schulform überhaupt, zumindest ist die Existenz einer Schulpflicht für magische Wesen in vielen Städten schon vor rund 1200 Jahren urkundlich belegt. Die Schulpflicht für andere Kinder dagegen wurde in Abarada erst vor 50 Jahren eingeführt und in vielen Regionen existiert sie überhaupt noch nicht. Wenn man Kinder ohne magische Fähigkeiten nicht in die Schule schickt, besteht das Risiko, dass sie ungebildet, arm und verlottert bleiben und höchstens einfache Berufe ausüben. Wenn man Kinder mit magischen Fähigkeiten nicht in die Schule schickt, besteht das Risiko, dass sie ihre Kräfte nicht kontrollieren können, Tore zu anderen Dimensionen öffnen, Menschen, die ihnen auf die Nerven gehen, in einer pilzförmigen Wolke aufgehen lassen und anderen Mist machen. Die Zauberschulpflicht hat also über den sozialen Aspekt hinaus eine gewisse Bedeutung.
Jahrhundertelang wars ganz einfach: Die Zauberschulen standen abgeschottet am Rand der Ländereien irgendeiner Stadt und zogen alleine ihr Ding durch. Wenn mit einer Beschwörung mal was schiefging, mussten darunter höchstens ein paar Schafe in der Nähe leiden.
Inzwischen aber fordern viele Eltern nichtmagischer Kinder (in erster Linie solche, die noch nie mit Magie in Kontakt gekommen sind) mehr Chancengleichheit zwischen Zauberern und anderen Kindern. Die Professoren von Burg Isigimsus hielten das erst für einen Witz, aber die Forderung schaffte es wirklich in den Rostroten Rat.
So unterrichten seit Anfang des Jahres in einigen nicht unmittelbar magischen Fächern wie Lesen, Schreiben, Rechnen und Allgemeingeschichte Beamte der Stadt, die nur Erfahrungen von nichtmagischen Schulen haben, um sicherzustellen, das alle denselben Basisunterricht erhalten. Das war ungefähr das einzige, was der Rostrote Rat machen konnte. Nichtmagischen Kindern Magie beizubringen wäre ja noch unsinniger.
Aber eigentlich ist das kein Grund zum Jammern, sondern eher ein hervorragendes Thema, wenn man sich über den Rostroten Rat lustig machen will. Viele Fächer waren ja schon vorher langweilig. Die größten Leidtragenden sind eher die Beamten persönlich. Die ständige Atmosphäre aus alten Bannsprüchen und Hexereien scheint sie verdammt nervös zu machen, sodass sie ständig das Selbstbewusstsein eines unangespitzten Bleistifts zur Schau tragen.
Außerdem muss man sagen, dass dieses ungewohnte Eindringen fremder Leute Professoren und Schülern wieder mehr Zusammenhalt gegeben hat (wenn man einmal von Professor Floddel-Borscht absieht). Die Beamten nerven uns alle und folglich kann man sich auch gemeinsam über sie lustig machen.
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Ein Praktikum beim dunklen Lord
FantasyGünther ist ein Zauberlehrling an einer altehrwürdigen Zauberschule und somit umgeben von einigen wirklich exzentrischen Magieprofessoren und Mitschülern. Irgendwann soll er sich einen Praktikumsplatz in der Stadt Abarada suchen. Während sich die me...