Dritter Praktikumstag

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In Abarada gibt es keine Tempel. In Nunsnan soll es angeblich an jeder Straßenecke welche geben, aber das einzige, was einem Tempel hier am nächsten kommt, sind die Sandaltäre der Dünenzwerge. Die stehen vor allem in Parks und sollten am besten als Kultstätten bezeichnet werden. Dort legt man an Festtagen oder, wenn einem danach ist, ein paar Blumen ab, zündet eine Sandkerze an, singt ein traditionelles Lied und hofft einfach, das alles so bleibt, wie es ist. Oder vielleicht sogar besser wird. Das alles richtet sich nicht an einen bestimmten Gott, sondern einfach an den Teil des Universums, der für das Wohl der Dünenzwerge zuständig ist.

In den Abenteuern von Hartwig dem Töpfer begeben sich die Protagonisten, wenn sie gerade eine nachdenkliche Phase haben, einfach in irgendeinen Tempel. Welcher, ist gar nicht so wichtig. Und da können sie dann ein bisschen entspannen und beten, dass ein anderer verschwundener Protagonist zurückkehrt.

Jetzt ist mir natürlich klar, dass man die Hartwig-Bücher nicht eins zu eins in die Realität übertragen sollte, aber trotzdem ärgerte ich mich am nächsten Morgen ein bisschen darüber, nicht in Nunsnan zu wohnen. In einem Park standen fünf Dünenzwerge vor einem Altar und beschworen in einem langsamen Lied die Schönheit der Dünen bei Mondaufgang. Ich hätte mich jetzt schlecht zu ihnen stellen können, ich war ja kein Dünenzwerg und kannte auch nicht den Liedtext. In einem Tempel konnte man sich wenigstens in eine hintere Bank setzen, ohne Aufsehen zu erregen.

Irgendwann zogen sie wieder ab. Die Sandkerzen brannten noch, wie auch immer die Dinger eigentlich brennen konnten. Auf der völlig glatten Sandfläche des Altars lagen ein paar regendurchnässte weiße Blumen.

Als ich genauer hinguckte, erkannte ich noch etwas anderes. Der Sand an den Seitenwänden war etwas gelockert, als hätte jemand darin herumgestochert. Oder versucht, etwas hereinzuritzen. Und auf der anderen Altarseite war mit roter Farbe Zwerge raus und Sand ist doof und kratzt. geschrieben. Das hatten die Zwerge von vorhin wohl übersehen.

Hallo, verschwommene Dünenzwerggötter, lasst bitte Nira überleben. Dankeschön. Dafür entferne ich jetzt auch die Farbe.

Tja, besser als nichts. Vielleicht sollte ich mir bei Gelegenheit mal eine genauere Religion zulegen.

Zum dritten mal musste ich ganz willkürlich irgendwen fragen, wo ich bei wem was machen sollte. Den Kapuzenmann von gestern wiederzuerkennen könnte etwas schwierig werden. Aber ich hatte auch mehr Lust auf jemanden ohne Kapuze. Selbst, wenn es ein Ork war.

Leider hatten alle Leute, denen ich am dritten Morgen auf dem Flur begegnete, Kapuzen auf. Außer den üblichen Wachorks natürlich, aber die standen so stocksteif da und guckten schnurgeradeaus, dass ich gar nicht wusste, wie ich sie auf mich aufmerksam machen sollte. Verdammt noch mal. Es war absolut nicht erkennbar, unter welchen Kapuzen bösartige Dämonen und unter welchen andere Leute steckten. Ich versuchte, die Gestalten anhand ihrer Gangart genauer zu analysieren, aber bevor mir das irgendwelche sinnvollen Erkenntnisse brachte, sprach mich jemand an.

„Und wer bist du?"

Die Kapuze, die mich gestern zur Schulung geführt hatte, und ihr Kollege, der am Ende mit ihr geplaudert hatte, waren zwar möglicherweise verborgene schrecklich Dämonen, aber ihre Stimmen hatten immerhin ziemlich menschlich geklungen. Das war bei dieser Kapuze ganz anders. Die röchelte, als würde sie mit Schlamm, Blut und einer Suppe von Herrn Oxedos gurgeln.

„Ich bin nur der Praktikant."

„Ein Praktikrank, hrm? Wie lange bist du denn hier?"

„Nur zwei Wochen." Und dann bin ich auch schon wieder weg, störe dich nicht mehr und muss vor allem nie mehr deine alptraumhafte Stimme hören.

„Hrrm. Und was hast du denn gestern gemacht?"

„Ich war auf einer Schulung."

„Ahr, ja, ich weiß schon. Und was machst du heute?"

Ein Praktikum beim dunklen LordWo Geschichten leben. Entdecke jetzt