Fünf Monate, eine Woche und drei Tage vor dem Praktikum (2/4)

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Zu Radeks Unglück hatten wir an diesem Morgen ausgerechnet Nunsnanischunterricht mit der Beamtin, die wir bereits gestern in der Bibliothek... ähm... getroffen hatten.

In einem völlig normalen Klassenraum im Erdgeschoss saßen wir herum und warteten, dass sie kommen würde. Als aber zehn Minuten nach Unterrichtsbeginn der Raum völlig frei von Lehrpersonal blieb, entspannte sich die Stimmung deutlich.

Ich hatte mich aus Solidaritätsgründen neben Radek gesetzt. Sollte die Dame die Geschichte von gestern wirklich nochmal auspacken, könnte ich ihm argumentativen Beistand leisten.

Radek wiederum hatte sich (wahrscheinlich aus Angstgründen) nach hinten gesetzt, um so eine Konfrontation unwahrscheinlicher zu machen.

Als die Lehrerin nach zwanzig Minuten immer noch verschwunden blieb, gingen wir alle davon aus, sie wäre nach den gestrigen Ereignissen einfach noch nicht fit genug. Womit niemand ein Problem hatte.

Inzwischen herrschte im ganzen Raum eine rege Gesprächskultur. Es dauerte einige Zeit, bis alle mitbekamen, dass die Beamtin nun anscheinend doch gekommen war. Zumal sie auf das typische Türzuschlagen, das universell für So, jetzt bin ich aber endlich da, los gehts! steht, verzichtet hatte.

Sie hatte wohl noch sehr viel zu lernen.

Die Lehrerin sah jedenfalls noch ziemlich mitgenommen aus, aus ihrer Frisur rieselte immer noch Staub und sie war ziemlich außer Atem, als sie uns ansprach.

„Ja, hallo. Entschuldigung, dass ich so spät bin, ich hab erstmal ganz vergessen, dass ich ja heute Morgen noch Unterricht mit euch hab und dann wollte ich auf dem Raumplan nachgucken und bin da wohl irgendwie in der Zeile verrutscht, jedenfalls hab ich ewig gebraucht, um den Raum zu finden."

Etwa zwei Drittel hatten inzwischen mitbekommen, dass die Beamtin da war und hörten ihr zu. Und diese zwei Drittel mussten nach ihrer Entschuldigung so sehr grinsen oder sogar relativ offen kichern, dass es nun auch das verbliebene Drittel interessierte, was die Frau, die da vorne plötzlich und unauffällig aufgetaucht war, gesagt hatte. Ein solches peinliches Geständnis würden sich die meisten Lehrer schleunigst verkneifen. Den Raum nicht sofort zu finden, kann ja mal passieren, aber diese lächerliche Gestalt hatte fast eine halbe Stunde dafür gebraucht und ihr Auftritt wirkte dann passend dazu auch noch völlig verplant und verwirrt. Diese Lehrerin musste man nicht demütigen, sie demütigte sich allem Anschein nach vollkommen freiwillig von selbst.

Außerdem schien sie keinen Wert darauf zu legen, ob man ihr zuhörte.

Sie schaute sich im Raum um, musterte uns und entdeckte den sich duckenden Radek. Und sprach ihn zu seinem Leidwesen an.

„Ah, wir kennen uns ja schon. Du hast also keinen Schulverweis gekriegt?"

Radek wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Zeit für mich, ein paar erklärende Worte in meiner Eigenschaft als selbsternannter Banknachbar-Anwalt einzulegen.

„Ähm, Fräulein? Das gestern war ein Missverständnis. Er hat Sie nur gefunden und wollte sie unter dem Regal hervorziehen, weil das umgekippt ist."

„Ach, und wer hat das Regal denn umgekippt?"

„Das war aus Versehen. Aber ohne uns wären sie gar nicht aus der Bibliothek rausgekommen."

„Wieso?"

„Naja, sie haben sich doch verlaufen."

„Nein, wie kommst du darauf? Ich wollte nur ein altes Grammatiklexikon holen und dann wieder rausgehen. Und dann hat er..."

Jetzt redeten Radek und ich im Team auf sie ein.

„Aber sie lagen da doch ohnmächtig..."

„Aus einer magischen Bibliothek wären sie alleine nie lebend rausgekommen."

Ein Praktikum beim dunklen LordWo Geschichten leben. Entdecke jetzt