Einleitung

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Wer sich für die Geschichte von Abarada interessiert, kann sich beispielsweise in der historischen Megabibliothek informieren. Dort muss man zwar einiges an Staub einatmen (weshalb der Aufenthalt für Lebewesen mit chronischen asthmatischen Beschwerden oder allgemein schwachen Lungen wie zum Besispiel Flutzelgnomen und Rentern verboten ist), bekommt aber tatsächlich eine geballte Ladung hochinteressantes, wissenschaftlich belegtes und vollkommen nutzloses Spezialwissen geradezu aufgedrängt, denn die dort arbeitenden Experten freuen sich, wenn mal jemand vorbeikommt, den das ernsthaft interessiert. Die Wissenschaftler der abaradanischen Megabibliothek sind vor allem Staubelben. Weil Staubelben an der so furchtbar frischen und erschreckend staubfreien Luft in den Straßen der Stadt schon nach wenigen Minuten Schluckauf bekommen, verlassen sie ihre Bibliothek nur selten und haben selbst für Wissenschaftler schon einen bemerkenswerten Grad an Weltfremdheit erlangt. (Einige ältere Exemplare fragen sich zum Beispiel, wer das Licht hinter dem Fenster täglich an- und ausknipst und ob der Idiot sich nicht mal entscheiden kann.)

Reisende gehen daher eher selten in die historische Megabibliothek, um zu erfahren, in was für einer Stadt sie so gelandet sind. Eine andere Möglichkeit sind die sogenannten Infomauern, deren Bau ein früherer Herrscher der Stadt befohlen hatte. Seine Überlegung war, dass man die barbarischen und unwissenden Bürger über die bewegte Geschichte Abaradas informieren müsse, und zwar auf möglichst eindrucksvolle und einzigartige Weise, denn eiserne Hinweistafeln gab es schon in allen Nachbarstädten.

Zunächst wollte er von ihm bezahlte Erzähler an alle großen öffentlichen Plätze stellen lassen, aber die Idee scheiterte daran, dass die Arbeitsuchenden, die sich auf seine Anfrage hin meldeten, einfach keine Ahnung von der Geschichte der Stadt hatten, und man konnte ja nun nicht auch noch verlangen, dass er diesen nutzlosen Deppen noch haarklein erklärte, was sie zu tun hatten.

Seine Alternativlösung bestand darin, auf vielen Plätzen und Parks rechteckige genau fünf Meter hohe Mauern errichten zu lassen, die zu einer öffentlichen Chronik der Stadt werden sollten. Er übertrug schnell aus einem Schulbuch die wichtigsten Ereignisse der bisherigen Stadtgeschichte und schrieb damit gerade einmal die obere Hälfte der ersten Mauer voll. Dann verlor er die Lust und meinte, alle kommenden Herrscher Abaradas sollten wichtigsten Dinge, die sich während ihrer Regierungszeit ereigneten, ergänzen und neue Mauern bauen, falls nötig. Erstaunlicherweise wurde diese Tradition sogar fortgesetzt. Möglicherweise als Andenken an den Herrscher, der wenig später in einem Attentat ums Leben kam, das ihm verschiedene Leute stellten, denen er die Stelle als öffentlicher Erzähler nicht geben wollte. Sie waren verärgert, weil der Herrscher sie arbeitslos gemacht hatte (na schön, sie waren schon vorher arbeitslos, aber wer wird denn so pendantisch sein).

Wie auch immer, wer will, kann durch Abarada streifen und sich Mauer um Mauer durchlesen, bis er schließlich ein zusammengepuzzeltes Bild der Stadtgeschichte vor Augen hat.

Vor einigen Millionen Jahren begannen erstmals Menschen von der warmen Hochebene in Richtung Meer zu ziehen. Sie folgten einem Fluss und fanden, wie das bei Flüssen nunmal so ist, feuchten und fruchtbaren Boden, der sich zum Anbau von Gurken und anderem Zeug eignete. So entstand dort, wo der Fluss sich zu einer Mündung zu verbreitern begann, eine Siedlung, was im Prinzip sowas wie eine Stadt in der Pubertät ist. Auch wenn beispielsweise die Dünenzwerge es oft bestreiten, waren es aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich Menschen, die für die Entstehung Abaradas verantwortlich waren.

Das Gewässer, an dem die Stadt steht, ist nie wirklich definiert worden. Früher floss der bereits erwähnte Fluss dort hinein und ins Meer, wodurch es sich damals um eine Trichtermündung gehandelt haben muss. Irgendwann trocknete dieser Fluss aus, das trichterförmige Gewässer aber blieb. Im Prinzip wurde die Mündung dadurch zur einfachen Bucht degradiert. Jedoch behaupten einzelne Stimmen, dass nach wie vor kleinere Bäche und unterirdische Flüsse in das geheimnisvolle Dings reinfließen, was es irgendwie trotzdem zur Mündung macht. So nannten die Anwohner, um sich der Fluss-oder-Bucht-Frage zu entziehen, das Gewässer einfach die Flussbucht. Dieser Name hat es inzwischen auch in die offiziellen Landkarten geschafft und wenn jemand darüber meckert, hört ihm sowieso keiner zu.

Ein Praktikum beim dunklen LordWo Geschichten leben. Entdecke jetzt