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Nach der Mittagspause gehe ich wieder auf Station, als ich meinen Gedanken nachgehe und deswegen erst zu spät merke, wie ich in jemanden reinlaufe.

Schnell packe ich die Person an den Armen, bevor sie hinfallen kann und hebe langsam meinen Blick, um mich zu entschuldigen, als ich in Harrys wunderschöne Augen schaue.

„Oh Gott, ich hab dich nicht gesehen.", entschuldigen wir uns gleichzeitig und schauen uns eine gefühlte Minute nur stumm an.

„Du bist groß.", murmele ich, noch halb in meiner Starre und lasse meinen Blick über seinen Körper wandern. „Und du klein.", grinst er und ich merke jetzt erst, dass seine Hände auf meinen Schultern liegen.

„Durchschnittlich.", korrigiere ich Harry und streiche unbewusst über seine Arme.

„Süß." Ich werde rot und senke den Blick.

„Seit wann gehst du wieder?", wechsle ich das Thema und löse mich ein Stück von ihm, auch wenn ich die Nähe zu ihm genossen habe. „Das war mein zweiter Versuch. Ich war anscheinend ziemlich konzentriert, weswegen ich dich nicht gesehen habe. Tut mir leid." Ich schüttele nur lächelnd den Kopf.

„Kein Problem. Ich war in Gedanken und habe dich deswegen nicht gesehen. Ich bin eben schon gegen die Tür gelaufen." Harry grinst und geht ein wenig zur Wand, da es ihm anscheinend zu anstrengend wird.

„Du siehst schon den ganzen Tag ein wenig müde aus. Konntest du nicht schlafen?", fragt er ehrlich besorgt und mustert mich nicht gerade unauffällig.

„Nicht wirklich. Aber heute Abend- morgen Früh schlafe ich einfach länger.", entgegne ich und deute auf die kleine Bank, ein paar Meter neben uns.

„Wollen wir uns setzen?", frage ich und Harry nickt leicht. „Hast du heute Nachtschicht oder warum kannst du heute Abend nicht früher schlafen?", fragt Harry, als er mit kleinen Schritten und ziemlich konzentriert auf die Bank zugeht.

„Ja. Ich hab jetzt noch bis zwei Uhr und dann ab 10 Uhr heute Abend.", antworte ich und stütze Harry ein wenig, als ich merke, dass seine Kraft nachgibt.

„War das deine Idee hier im Flur rumzulaufen, wenn es dein zweiter Gehversuch ist?", frage ich und helfe ihm, sich hinzusetzen.

„Ne. Wenn ich ehrlich bin, bin ich froh, dass du gerade da warst. Meine Knochen fühlen sich ziemlich weich an, aber der Krankengymnast meint, dass ich keine schnellen Fortschritte mache, weswegen er aufs ganze gehen wollte." Zum Ende hin seufzt Harry und lehnt seinen Kopf an die Wand hinter sich.

„Wo ist er überhaupt?" Harry zuckt mit den Schultern und seufzt erneut. „Soll ich dich in dein Zimmer bringen, damit du dich ein bisschen ausruhen kannst?", schlage ich vor, doch Harry gibt einen verneinenden Laut von sich. „Gleich gerne, aber hier ist es mal was anderes, als in meinem Zimmer. Mehr Menschen und so. Das bin ich gar nicht mehr gewohnt." Er grinst und dreht seinen Kopf zu mir.

„Ich mag die Stille irgendwie. Ein Viererbettzimmer wäre mir viel zu viel, aber ich kann auch dich verstehen, dass es auf Dauer ziemlich langweilig in deinem Zimmer wird.", entgegne ich und verstecke meine Hände in meinem Ärmel.

„Ist dir kalt?", fragt Harry nach ein paar Sekunden und ich nicke vorsichtig. „Ein wenig. Eben war mir warm, jetzt irgendwie kalt." Harry nickt und scheint zu überlegen. „Vielleicht wirst du krank?", meint er dann.

„Ich denke, ich bin einfach nur müde. Morgen wird es schon wieder und wenn ich übermorgen wieder arbeiten komme, geht es mir wieder blendend.", entgegne ich und lächele ihn an.

Zum Glück habe ich nur noch knapp anderthalb Stunden, bevor ich endlich nach Hause und in mein Bett gehen kann. Auch wenn es nur ein paar Stunden schlaf sind, bevor ich heute Abend wieder zum Krankenhaus muss, hoffe ich, dass es zum mindestens ein bisschen hilft.

Gerade habe ich nämlich Angst, dass ich jeden Moment einschlafen könnte. Auch mein Mittagessen mit Zayn hat mich nicht wacher gemacht. Die Dusche von heute Morgen zeigt ihre Wirkung auch nicht mehr.

„Ich könnte vortäuschen, dass es mir nicht gut gehen würde und dich bitten, bei mir zu bleiben.", schlägt Harry grinsend vor und redet direkt weiter. „Dann kannst du ein wenig schlafen und falls jemand rein kommt, der deine Hilfe dringender als ich braucht, wecke ich dich schnell und wir tun so, als hätten wir uns gerade unterhalten."

„Das ist lieb von dir, aber es ist dein Bett und ich arbeite. Im Moment habe ich ein wenig Stress mit einem Kollegen der nur darauf wartet, dass ich wieder in deinem Zimmer verschwinde. Und er denkt, dass hinter der geschlossenen Tür was anderes abgeht.", murmele ich, da ich eigentlich nicht über das Thema mit Harry sprechen möchte.

„Du meinst intimere Dinge, richtig?" Ich nicke nur und lasse meinen Blick gesenkt. „Warum denkt dein Kollege das?", hakt Harry vorsichtig nach und legt eine Hand auf meinen Oberschenkel.

„Es ist kein Geheimnis, dass ich schwul bin. Niemand hatte ein Problem damit, dachte ich bis heute zum mindestens. Als er dann ein Kommentar abgeliefert hat, was nicht unbedingt hätte sein sollen, wollte ich dich nur beschützen, verteidigen, keine Ahnung. Er muss wohl gesehen haben, dass ich bei dir im Bett lag und ist somit ausgegangen, dass wir miteinander geschlafen hätten. Er hat mich beschuldigt, dass ich öfters mit Patienten schlafen würde, was ich noch nie in meinem Leben getan habe und auch nie tun werde. Ich bin alles immer professionell angegangen, bis ich dich gesehen habe. Ich will dich mit den nächsten Worten nicht unter Druck setzen oder dich zu irgendwas zwingen oder so und es tut mir auch mega leid, mich in einen Patienten zu verlieben, der unglaublich hübsch und einen einzigartigen Charakter hat, aber niemand kann etwas für seine Gefühle. Wenn es stimmt, dass du im Koma alles gehört hast, müsstest du wissen, was ich für dich fühle, weiß aber auch, dass ich keine Chance bei dir habe. Zumal weiß ich doch gar nicht, ob du überhaupt auf Männer stehst." Verzweifelt vergrabe ich meinen Kopf in meinen Händen und seufze leise.

„Vielleicht kriegst du deine Antwort, wenn du einfach fragst. Und auf die Meinung deines Kollegen musst du dir einfach nur scheißen. Du lebst nur einmal, also mach das, wozu du lust hast.", antwortet Harry und er verstärkt den Griff an meinem Oberschenkel ein wenig, bevor er seine Hand wegzieht.

„Tust du es? Also stehst du auf Männer?", frage ich leise und schaue fast schon schüchtern zu ihm.

Dass ich eigentlich wieder arbeiten muss, ist mir egal.

„Bis vor ein paar Wochen war ich mir ziemlich sicher, dass ich straight bin, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Daran sieht man, wie ein einziger Mensch dein Leben auf den Kopf stellen kann.", antwortet Harry nach einer dramatischen Pause und lächelt mich mit seinen Grübchen an.

„Meinst du- hättest du lust mit mir auf ein Date zu gehen, wenn du hier raus bist? Wenn du kein Patient mehr von mir bist?", frage ich und merke, wie sich meine Wangen rot färben.

„Gerne. Nur weiß ich leider noch nicht, wann ich entlassen werde.", antwortet er und mir fällt ein riesen Stein vom Herzen.

Only a matter of time || Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt