Ich richtete mich auf, als Seraphina still blieb. Ihre Augenbrauen waren zusammengezogen und sie biss sich auf die Unterlippe. Das tat sie immer, wenn sie etwas versuchte zu verstehen was ihr unlogisch erschien. Sie sah von dem gesperrten Handy in ihrer Hand zu mir auf. „Irgendetwas seltsames geht hier vor, nicht wahr?"
Nun war es an mir, die Augenbrauen zusammenzuziehen. Wie viel konnte ich ihr erzählen? Ich wollte sie keinesfalls in etwas reinziehen, dessen Ausmaß ich selbst nicht kannte. Meine Augen sahen direkt in ihre, als könnte ich ihr alles ohne Worte vermitteln. Doch das ging nicht. Also nickte ich langsam. „Was weißt du?"
Leider war das die offenbar schlechteste Frage, die ich der Schwarzhaarigen hätte stellen können. Ihr Gesichtsausdruck wechselte und die darin geschriebene Wut war kaum zu übersehen. „Was ich weiß ist, dass du dich innerhalb weniger Tage vollkommen verändert hast. Du warst verschwunden, Nyx. Maya ist es immernoch und obwohl sie eine Schlange ist, macht es dir nichts aus, rein gar nichts." Sie untermalte ihre Wut, indem sie ihr Handy noch fester umschloss und es auf die Matratze schleuderte.
Zwei Optionen boten sich mir in diesem Moment. Ich konnte sie abwimmeln und würde sie verlieren. Die Konsequenz wäre, dass sie sicher ist und sich darauf konzentrieren konnte, mich vergessen zu lernen. Oder ich erzählte ihr alles- und riss sie mit in das Schlamassel in welchem ich selbst zu ertrinken drohte. Gefangen in der Vergangenheit, die über die Gegenwart zu entschieden schien.
Anstatt etwas zu sagen, was ich mit Sicherheit bereuen würde, hob ich meine Hand als würde ich ihr ein High-Five geben wollen. Ich fühlte mich schrecklich und wie der letzte Psychopath in einem Horrorfilm, als ich mich auf das Gefühl der Wut konzentrierte, meine Augen schloss und die Hitze durch meine Adern fließen ließ.
„Was machst du da?", zischte Seraphina. Ich ignorierte sie und ließ die Hitze pulsierend durch meine Adern zu meiner Hand leiten. In dem Moment in dem ich meine Augen öffnete, entzündete sich eine Flamme in meiner Hand. Diese rankte sich um meine gesamte Hand und ich zog den Ärmel meines Oberteils ein Stück nach unten, damit dieses nicht angesengt wurde. Seraphina riss ihre Augen weit auf.
„Was ist das, Nyx?", fragte sie fassungslos. Ich wusste nicht, ob sie das Feuer oder die Blessuren meinte. Ich ballte meine Hand zur Faust und ließ die Hitze wieder verschwinden, legte meine Hand danach auf mein Bein. „Es ist viel komplizierter, als du denkst." Die Helligkeit der Sonne verblasste und machte der Dunkelheit der Nacht Platz.
Seraphina blinzelte mehrmals und während der andauernden Stille von mehreren Minuten bereute ich bereits, ihr diesen neuen Teil von mir zu zeigen. Denn jetzt hatte ich auch sie mit hineingezogen. „Auf die Erklärung, die du mir jetzt gleich geben wirst, bin ich sehr gespannt."
Ich befeuchtete meine Lippen und atmete einmal tief aus, bevor ich begann ihr alles zu erzählen. Jedes Detail dieser verkorksten Geschichte. Von der Vergangenheit von Raphael und Luzifer, von den Visionen, davon wie ich sie im Keller gesehen und wie sich alles immer mehr zusammengezogen hatte.
Und Seraphina hörte zu und sagte bis zum Ende kein einziges Wort. Als ich endete, tat ich nicht mehr als sie anzusehen. „Und weil ich dir das hier gezeigt habe, steckst auch du jetzt verdammt tief in diesem Schlamassel."
Seraphina begann zu grollen und ihre Fäuste zu Fäusten zu ballen und wieder zu lösen. „Du hast keine Ahnung wie gerne ich Raphael jetzt eine Backpfeife verpassen will." Unbeeindruckt hob ich eine Augenbraue. „Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?" Sie sah mich verständnislos an.
„Das ist das Einzige, was ich dazu sagen werde, Nyx. Ich bin froh, dass du es mir gesagt hast und ich lasse dich das mit Sicherheit nicht alleine durchstehen." Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihr Gesicht und je länger wir uns ansahen, desto mehr schwand die Unsicherheit zwischen uns. „Du bist für mich wie eine Schwester."
Ich erinnerte mich an einen Satz aus unserer Kindheit. Immer wenn einer von uns Zuhause ärger hatte, sind wir zu dem jeweils anderen gegangen und haben Lilo & Stitch geguckt. „Ohana heißt Familie.", sagte ich. „Familie heißt, dass alle zusammenhalten und füreinander da sind.", beendete Seraphina das Zitat, welches uns immer daran erinnerte, dass Familie mehr ist als nur die Verbundenheit durch Blut. Familie ist Liebe.
Wieder war es für einige Momente still, in denen wir uns zurück auf mein Bett fallen ließen. „Also, wo sind deine Flügel?" Ich lächelte breit mit geschlossenen Augen. „Keine Ahnung." Die nächsten Stunden über lachten wir so viel, wie lange nicht mehr. Es war, als würde ein Stück Normalität wieder zurückkehren.
Keinen von uns Beiden interessierte es, dass es immer später wurde. Alles was zählte, waren diese Momente, in denen wir uns gegenseitig wie leere Batterien aufluden. Seraphina stellte Fragen, eine Menge Fragen über die Erzengel, Luzifer und bestimmte Geschehnisse und Ereignisse und ich antwortete ihr auf jede so ehrlich, wie ich konnte.
Ein paar Stunden später in der Schule schienen unsere Batterien jedoch durch Schlafmangel wieder leer zu sein. Wir waren zu spät dran gewesen, um uns noch einen Kaffee zu holen und waren gerade so pünktlich gewesen, nachdem es beinahe einer Verfolgungsjagd geglichen hatte, wie ich gefahren war.
Meine Hand stützte meinen Kopf und ich blinzelte angestrengt, um nicht während dem Matheunterricht einzuschlafen. Seraphina neben mir sah kein Stück besser aus. Aber dieser Abend war es mir wert gewesen. „Miss Cunningham, wie lautet die Antwort der Aufgabe?"
„Vierundzwanzig." Ich hatte nicht aufgepasst, in keiner Sekunde. „Das ist richtig." Der Mathelehrer schien genauso verwundert wie ich selbst und die halbe Klasse, dass ich die Antwort wusste. Der herausgeputzte Lehrer in Hemd und Krawatte räusperte sich. „Bitte holen sie sich gleich in der Pause etwas zu trinken, sodass sie und Miss Moore nicht aussehen, als könnten sie in einem Zombiefilm mitspielen."
„Kaffee, Wasser oder Alkohol?", fragte einer der Spaßvögel und der gut gemeinte Rat des Lehrers war wie vergessen. Die Klasse lachte. Der Lehrer wandte sich an den Jungen. Es war derjenige, der mir im Sportunterricht meine Wasserflasche zugeworfen hatte. „Für sie Nachsitzen." Buhende Rufe, doch der Lehrer ließ sich nicht beeindrucken und führte seinen Unterricht fort, bis es klingelte.
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Devilish Saints
FantasyNyx Cunningham ist seit ihrer Geburt in Gefahr. Doch sie ahnt es nicht, bis die Gefahr nach 17 Jahren gleich in zweifacher Form vor ihr steht. All Rights reserved to me ©