|Chapter 12|

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Manipulation ist ein großes Wort. Vielmehr könnte man sagen, dass es sich die Engel zunutze gemacht haben, dass sie als die Retter und Heiligen angesehen werden. Und auch das kann man wieder auf verschiedene Art und Weise aufnehmen. Man sieht also, dass alles davon abhängt, wie man selber dazu steht. Denn oft ist es nicht wichtig, was andere sagen, denken oder tun. Es kommt ganz alleine auf dich an. Deine Worte, deine Gedanken und deine Taten können entscheidend sein. (Die Manipulation der Engel, Kapitel 1)

Ich schloss den Collegeblock und hakte den Kugelschreiber an der Metallfeder ein. Das bereits geschlossene Buch legte ich darauf und stand dann von meinem Bett auf, um die Sachen auf den Tisch zu legen. Dabei glitt mein Blick aus dem Fenster über dem Schreibtisch nach draußen.

Eine Woche war vergangen. Meine Erzeuger sind vor drei Tagen wieder abgereist- und legten ein Geschenk vor meiner Zimmertür. Ein etwa buchgroßes Paket, verziert mit kleinen Schleifen. Es war ein Handy. Das neueste vom Neuen. ,,Sie werden es nie verstehen" hatte ich mit gesenktem Kopf in den leeren Raum gesagt und alles in meine Nachttischschublade gelegt.

Ich wollte nicht Geschenke vorfinden, wenn ich nachmittags von der Schule kam. Es musste auch kein Essen auf dem Tisch stehen. Aber ein Elternteil, der mich fragt, wie die Schule war. Ein Elternteil, der mich aufmuntert, wenn es mir schlecht geht. Oder einfach für mich da wäre.

Die Schule zog wie Nebel an mir vorbei. Tag für Tag das gleiche Spiel, mit einem Unterschied. Raphael war wie vom Erdboden verschwunden. Und niemand sprach davon. Kein Lehrer fragte und kein Schüler vermutete etwas. Es war fast so, als hätte er niemals existiert. Und eigentlich hatte es mich auch nicht interessiert. Ich hatte genug damit zu tun, meine Arme zu verbergen, mir meine Erschöpfung aufgrund des Schlafmangels nicht anmerken zu lassen und weiterzumachen. Zu laufen, zu atmen, zu sehen. Alles erschöpfte mich und ich machte weiter. Nicht aufgeben und immer weiter machen.

Für ein paar Minuten beobachtete ich stumm die Schneeflocken, die gegen die Scheibe flogen und zu kleinen Wassertropfen schmolzen, die dann die Scheibe herunterrannen und legte mich danach mit schweren Lidern in mein Bett. Ich verkroch mich in der Decke und machte das Licht aus.

Tief in mir keimte Zorn auf. Sich einen Weg bahnen durch die Fasern meines Körpers und ihn mit diesem Zorn zu stärken- nein. Um ihn zu infizieren mit dem Willen, alles um mich herum zu zerstören. Aber das war nicht mein Körper, der von dieser Wut infiziert wurde. Wieder befand ich mich in der Sicht einer anderen Person.

Und diese Person saß an einem Tisch. Ich konnte mich nicht rühren, als wäre nur ein Teil von mir da, der mir einen Einblick gewährt. Der Zorn brannte in dem Körper, er schmeckte nach Rauch und fühlte sich wie heiße Flammen an. Die Person griff nach einem Zettel und Stift, so als wäre sie in Eile. An der Stelle, die die Person mit den Fingern berührte, verkohlte das Blatt und färbte sich schwarz.

Das Bild verschwamm und ich spürte, wie mich etwas zurückreißen wollte. Das Bild verschwamm und ich versuchte dagegen anzukommen. Was wollte die Person so eilig aufschreiben? Kurz bevor alles verschwamm wurde das Bild vor meinen Augen für einen kurzen Moment klar.

Die Person hatte in filigraner Schrift auf das Blatt geschrieben. Schnell und etwas krakelig bildeten die Buchstaben einen Satz, den ich mir versuchte einzuprägen. Nun stärker zerrte es mich zurück. Ich wollte schreien, es sollte aufhören und als ich blinzelte, schreckte ich aus meinem Bett auf.

Die Decke rutschte herunter und entblößte meine rot glühenden Arme. Das Pumpen meines Blutes direkt unter meiner Haut zu beobachten war aber nicht das schlimmste daran. Die Hitze die von jeder einzelnen Vene ausging, hatte sich ausgebreitet. Von meinen Fingerspitzen über meine Arme, über meine Schultern und bis zu meinem Nacken spürte ich die feingliedrige Hitze.

Stoff knisterte, dann sah ich ohne zu verstehen dabei zu, wie die Hitze sich in mein Shirt fraß und es schwärzte. Als würde es sich mit dieser Schwärze vollsaugen, so breitete sich der verbrannte Stoff in feinen Linien aus und hinterließ einen stechenden Geruch, bevor es verschwand.

Ich schlug mit keuchenden Atem die Decke zur Seite und eilte zum Schreibtisch. Mit hektischem Blick suchte ich ein Blatt und einen Stift, damit ich mir das aufschreiben konnte, was da geschehen war. Je mehr sich die roten Linien zurückzogen, desto schwammiger wurde das Bild in meinem Kopf, dennoch schaffte ich es.

, Vertraue ihm nicht.'

Wem sollte ich nicht vertrauen? Raphael? Spielte mir mein Unterbewusstsein einen Streich, oder war es wirklich eine Warnung? Ich hatte zu viele Fragen und nur eine Person konnte mir dabei irgendwie weiterhelfen.

Während ich auf meinem Handy Seraphinas Nummer wählte, sah ich, dass es Fünf Uhr morgens war. Es klingelte zweimal, bevor sie abnahm. ,,Ich muss mit dir reden, jetzt." Es folgte eine kurze Stille. ,,Wir müssen gleich zur Schule, Nyx.", grummelte sie mit rauer Stimme. ,,Und mein Wecker geht erst in einer Dreiviertelstunde."

,,Sera, ich meine es ernst. Ich hole dich in Fünfzehn Minuten ab und klingle auch Sturm, wenn es sein muss." Sie seufzte und ich klemmte mein Handy zwischen meine Schulter und meinem Ohr, während ich mir eine Jeans eilig anzog. ,,Okay. Aber wir halten auf dem Weg zur Schule beim Season's." Sie legte auf und ich steckte mein Handy in die Hosentasche.

Hastig streifte ich mir das verkohlte Shirt über und wechselte es durch einen Pullover und Jacke, nicht ohne einen prüfenden Blick auf meine Schultern, bei denen sich natürlich nichts geändert hat. Das würde ich ihr nicht erzählen. Nicht, solange ich noch nicht mehr darüber herausgefunden hatte.

Aber ich musste alles über ihre Meinung gegenüber dem verschwundenen Raphael herausfinden. Oder aber eine weitere Person ausfindig machen, die mit diesen seltsamen Träumen in Verbindung stehen kann.

Seraphina sah nicht wirklich glücklich aus, als sie einstieg und ich losfuhr. ,,Entweder liegt es am Schlaf- oder aber am Koffeinmangel, aber du siehst mindestens genauso scheiße aus wie ich." Sie gähnte laut und streckte sich geräuschvoll. Ich lächelte und wurde dann wieder ernst.

,,Was hast du gegen Raphael?" Seraphinas Augenbrauen schossen in die Höhe. ,,Wegen ihm schmeißt du mich so früh aus dem Bett?", fragte sie empört. ,,Sei keine Memme und spuck es einfach aus."

Ich hielt an einer roten Ampel und sah zu ihr. ,,Dieser Akzent, er hört sich so seltsam an. Du weißt, ich kenne viele Sprachen und niemals ist mir so ein Akzent untergekommen. Es ist beinahe unheimlich, wie schnell er bei dem großen Spiel war. Das ist nicht nur dir aufgefallen, Nyx." Seraphinas Blick war mehr als nur ernst. Ihre Augen wurden von dem rot der Ampel angeleuchtet, wie der Schnee auf dem Gehweg neben uns.

Das Licht wechselte zu grün und ich fuhr weiter. ,,Und seine Art mit anderen umzugehen- ich weiß nicht, irgendetwas stimmt da nicht." Ich biss mir auf die Lippe. Wir wussten wirklich ziemlich wenig über Raphael. ,,Hast du gehört, wieso er nicht mehr zur Schule auftaucht?", fragte ich sie. ,,Nein, nichts. Nicht einmal von Mary." Sie klimperte übertrieben mit ihren Wimpern und verschränkte ihre Hände ineinander wie zu einem Gebet.

Ich schmunzelte. Viel zu viele Fragen, eine Warnung und keine Antwort in Aussicht. Ich fühlte mich schlecht, dass ich ihr nicht erzählen konnte, was mich noch bedrückte. Aber ich wusste einfach zu wenig darüber. Zu wenig- über mich.

,,Dann lass uns erst einmal Kaffee besorgen."

Devilish SaintsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt