Kapitel 4 Warten

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Kapitel 4   Warten


Lee steht vor Dans Praxistür und wartet. Seine Armbanduhr zeigte ihm eben noch die Uhrzeit. Und ein weiterer Blick darauf lässt Lee leicht seufzen.

9.38 Uhr.

Noch 22 Minuten zur ersten Sitzung.

'Nochmal komme ich nicht zu früh', denkt er sich, während er erneut zu früh zu dem Termin mit Dan Rin erscheint.

Der Dan Rin, der durch seine gedanklichen Tiefgänge in seinen Publikationen Lee hat den Atem anhalten lassen.

Der Dan Rin, der Lee durch seine Schriften die Bedeutung von Träumen nahebrachte. Der Dan Rin, über den es keine biographischen Details in den Abhandlungen gibt.

Kein Foto. Kein beruflicher Werdegang.

Nur Dan Rin.

Ein Name eines Psychoanalytikers, der während der Weiterbildung zahlreiche Abhandlungen über tiefenpsychologische Phänomene in Therapiesitzungen schrieb.

Lees Professor Österreich behandelte Dans Abhandlungen in den Vorlesungen. Er sprach Lee vor 6 Monaten nach der Vorlesung an und berichtete ihm von dem geplanten Forschungsvorhaben von Dans Doktorarbeit. Noch gab es keine öffentliche Ausschreibung für die Bewerbung von Probanden. Professor Österreich hatte die Informationen von seinem Kollegen und guten Freund Professor Dieckmann. Dieser hatte ihm begeistert von dem Projekt erzählt.

Und Professor Österreich wusste, dass der introvertierte, überaus kluge Japaner, der in seinen Vorlesungen schweigend im Hintergrund saß, aber durch seine schriftlichen Leistungen und Tiefgänge einen beeindruckenden Eindruck bei ihm hinterlassen hatte, ein perfekter Proband wäre.

Professor Österreich kannte Dan Rin von den schwärmenden Erzählungen seines Freundes Dieckmann.

Natürlich wusste er um sein Alter. Seine Wurzeln. Seine biographischen Hürden, die er gemeistert hatte.

Und genau aus diesen Gründen sprach er Lee vor sechs Monaten an und empfahl ihm, sich als Proband für Dans Forschung zu bewerben.

Still hoffend, dass Lee durch Dan aus sich heraus kommt und der akademischen Welt seine in die Wiege gelegte Fähigkeit, Situationen und Menschen zu analysieren und in einem harmonischen Einklang zu bringen, offenbart.

Still hoffend, dass Lee eine Reise in sein Unbewusstes wagt und die Fesseln seiner ihn in den Schatten verdonnerten Erfahrungen sprengt.

Und Lee begann sich mit Dan Rins Gedanken vertraut zu machen.

In seiner kleinen Wohnung in der Kameruner Str. 14 in Berlin Wedding verbrachte er die gesamten Semesterferien mit den Werken Dan Rins.

Seitdem er mit 18 Jahren nach Berlin ausgewandert war, lebt er in dieser 1-Zimmer Wohnung in dem von Studenten beliebten Bezirk Wedding. Die Wohnungen sind günstig. Zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten. Bunte Menschen aus allen Ländern der Welt auf den Straßen.

Und wer anonym bleiben will, bleibt es.

Seine Wohnung im Hinterhaus wurde zu seinem Versteck.

Selbst im kleinen Hinterhof blühen zahlreiche Pflanzen und Bäume. Berlin ist wahrhaftig die grünste Stadt Europas. Nirgends versäumt man die großen und kleinen Laub- und Nadelbäume.

So auch in dem kleinen Hinterhof von Lees Wohnung. Er verbrachte Stunden am Fenster. In seiner kleinen Oase fühlte er sich geborgen.

Versteckt.

Die Psychologie der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt