Kapitel 29 Einkehren

172 19 0
                                    

Kapitel 29   Einkehren

Es ist 20.57 Uhr.

Seit verstrichenen 30 Minuten stehen Dan und Lee in der Mitte des Sony Centers und lassen ihre Augen über das Ensemble der beeindruckenden Architektur wandern. Und die vielen Einzelheiten, Ecken und Kanten zeigen immer mehr durchdachte Raffinessen.

Lees große Katzenaugen saugen alle Details in sich auf. Die verschiedenen Möglichkeiten des Verweilens, des Genießens, des Konsumierens im ewigen Licht zeigen sich Lee in großen und kleinen Schriftzügen in allen Formen und Farben der Verlockung.

Dan schielt zu Lee rüber und genießt den einzigen Anblick, der ihn eingenommen hat.

Er war schon unzählige Male hier. Eine beeindruckende Selbstverständlichkeit Berlins.

Und Lees verzauberter Blick lässt Dan eine Wonne des Glücks in sich vernehmen.

Er lebt in Berlin. Er liebt Berlin. Und er zeigt Berlin.

Lee.

Die Schildkröte, die seit acht Jahren in Berlin lebt, und nur ihr Häuschen kennt.

Dan grinst.

„Los, Schildkröte, lass uns irgendwo einkehren!", brummt Dan Lee zu.

Lee richtet seine strahlenden Augen zu der tiefen, sexy Stimme.

„Lass und irgendwo, was?", fragt Lee.

„Lass uns irgendwo einkehren!", wiederholt Dan.

„Was bedeutet einkehren?", fragt Lee neugierig.

Dan erinnert sich plötzlich an den Tag, als er das deutsche Wort einkehren das erste Mal hörte. Wie ihm die Erklärung nicht bloß gesagt, sondern die Bedeutung gezeigt wurde.

„Das muss ich dir erzählen", leuchten Dans Augen fasziniert und wecken die pure Neugier in Lee.

„Es ist jetzt Jahre her. Da spricht mich mein Professor, mein Freund Dieckmann an. Manfred sprach mich an. Er überredete mich ihn in den Sommer-Semsterferien nach Sylt zu begleiten. Seine Schwester lebt dort. Und er wollte mir unbedingt seine Nichte Janine vorstellen. Die ganz zufällig in meinem Alter sei. Und doch auch in Berlin lebe. Die Ferien immer auf Sylt verbringe. Eine angehende Lehrerin mit den Fächern Deutsch und Bildende Kunst sei. Wir würden uns sicher gut verstehen. Ich solle ihn doch bitte begleiten. Mir auch mal eine Auszeit gönnen. Ich wäre hin und weg von der Schönheit der Insel Sylt an der Nordseeküste Deutschlands", erzählt Dan und verstellt seine Stimme, während er seinen Manfred zitiert. Er hält kurz inne und beginnt, heimlich über die Offensichtlichkeit seines deutschen Vaters zu lachen. Er kennt Dans Leidenschaft für die Ästhetik der Sprache und der Kunst. Kennt Dans Neugier für neue Orte und atemberaubende Ausblicke. Dan gluckst vor sich hin.

Lee sieht Dan in sich hinein lachen. Das stört ihn. Er fühlt sich ausgeschlossen. Sein innerer Ausdruck zeigt sich außen offen.

Und Dan nimmt wahr. Während er an die Verkuppelungsversuche seines Dieckmanns denkt, sieht er Lees eindringlichen Blick.

Als suche er etwas. Wartend.

Er spiegelt Lees Gesichtsausdruck und beschließt, Lee nicht warten zu lassen.

„Naja, ich willigte ein, eine Woche auf Sylt zu verbringen. Wirklich eine wunderschöne Insel. Die warmen Lichter der Wolken und die kalt bedeckten Sonnenstrahlen bilden einen atemberaubenden Kontrast auf den rauen Dünen der in den Horizont laufenden Strände. Und die Reetdächer ließen mich kindlich in die Hände klatschen", schwärmt Dan erinnernd und löst in Lee eine das erste Mal in seinem Leben verspürte Ungeduld aus.

Die Psychologie der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt