Kapitel 52 Januar
„Möchtest du noch ein Stück Bienenstich?", fragt Professor Dieckmann Lee mit freundlichen Augen.
Es ist Freitagabend, der 26.01.2022, 19.47 Uhr.
Lee sitzt Dieckmann gegenüber und hält seine Tasse Tee in der Hand. Eben noch durfte er Zeuge davon werden, wie Dans deutscher Vater mit schmackhaftem Genuss seine sogenannte Freitagssünde zelebrierte. Das zweite Stück nahm er sich im Namen seines Bruders, der heute Geburtstag feiert.
In Emden, an der deutschen Nordseeküste.
Und Dieckmann denkt nicht bloß an seinen Lieblingsbruder, sondern auch an den anderen Nächsten an der Nordsee.
Er denkt an Dan.
Und auch, wenn er und Lee nie seinen Namen aussprechen, als hätten sie einen geheimen Pakt geschlossen, schwebt Dan immer im Raum.
Jeder vermisst ihn auf seine eigene Weise.
Und bei Lee geht es weit aus über nur vermissen.
Jeden Tag sieht er ihn.
Überall.
Ja, er ist redseliger geworden.
Steht manchmal in kleinen Gruppen in der Universität.
Tauscht sich aus. Unterstützt die anderen beim Lernen.
Er konzentriert sich auf seinen Abschluss.
Besucht seine Therapie-Sitzungen und fühlt sich zunehmend erleichtert.
Aber an jedem Ort ist Dan und lächelt ihn an.
Während die anderen reden, sieht er Dan ihm aus einer kleinen Entfernung anlächeln.
Und wenn er zurücklächelt, weckt das in seine Mitmenschen einen Moment des Glücks.
Alle merken es.
Lee ist offener geworden.
Heller.
Und Dan begleitet ihn zu jedem Ort, den er abläuft, bis er endlich an dem erwünschten Ort gelangt ist.
An dem Ort, der auf ihn wartet.
Der Ort, der Dan für ihn verbirgt.
Er vermisst ihn.
Spürt, wie er in jeden Tag mehr liebt.
Wie täglich die Wurzeln seiner Liebe tiefer in ihn wachsen.
Er vermisst Dan.
Und jedes sehnsüchtige Gefühl wird in Lebensenergie umgewandelt.
In Lichtgeschwindigkeit rast er durch die Atmosphäre auf ihre gemeinsame Welt zu.
Er leuchtet.
Erleuchtet.
Er fühlt sich erleuchtet.
Und immer wenn die Ungeduld in ihm wütet und er Professor Dieckmann nach Dan fragen will, hält ihn etwas ab.
Er vertraut Dans Manfred.
Er guckt in seine Augen und weiß, dass er sich an ihren Pakt halten muss.
Er wird erfahren, wann es soweit ist.
Solange will er dem Licht die Leuchtkraft rauben.
Und wachsen.
„Nein, danke. Ich bin satt.
Warum ist heute Professor Österreich nicht gekommen? Er sprach mich heute in der Uni an und erzählte mir davon, dass dein Bruder heute Geburtstag hat. Und ob ich dich heute besuchen komme? Und wie es dir so gehe.
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Die Psychologie der Liebe
RomanceIst Liebe nur ein psychologisches Konstrukt unserer Wahrnehmung? Welche unbewussten Triebe leiten uns? Eine Geschichte, die uns an den psychischen und physischen Ausmaßen eines Liebespaares teilhaben lässt. Dan (Psychoanlaytiker) forscht mit Lee (Ps...