Kapitel 46 Wendepunkt
Lee beschließt um 13.25 Uhr schon einmal loszugehen. Er kann es keine Minute länger aushalten. Der Campus ist groß und er braucht etwa 10 Minuten, um Dans Büro zu erreichen. Und heute darf Dan ruhig merken, dass er vor Aufregung viel zu früh kommt.
Er erinnert den letzten Mittwoch, als er vor Dans Tür auf ihn wartete. Es kommt ihm so vor, als lägen Jahre dazwischen.
Mit schnellen Schritten schreitet er, schwebt er, eilt er.
Dans Gehirn demonstriert derweil die künstlerischen Fähigkeiten der Natur. Es sendet mannigfaltige Hormone in Dans Körper. Botenstoffe, die ihn sich spüren lassen.
Das Adrenalin stimuliert seine Nerven und löst ein Kribbeln in allen Zellen aus. Überwältigt spürt er sein Körper sich betäuben.
Das Serotonin spitzt seine Sinne an. Schärft sein Gedächtnis und seine Konzentration wie ein Skalpell.
Das Glück sprudelt in jeder Zelle und bringt sein Herz zum Schäumen.
Und als es um 13.37 Uhr an seiner Tür klopft, sieht er sich bereit für jede Wendung in seinem Leben.
Dan geht zur Tür und öffnet sie.
Ein freudestrahlendes Gesicht begrüßt ihn.
Nadines rote Wangen leuchten, als sie Dan endlich vor sich sieht.
„Hey, Dan, ich bin extra früher raus aus der Klausur. Ich wollte dich unbedingt nochmal sehen", sagt sie mit aufgeregter Stimme.
Dan schluckt. Der Stich seiner Enttäuschung schallt in seinem Körper. Er bemüht sich, professionell zu wirken.
Er zeigt mit der Hand auf den Flur und bittet Nadine mit dieser Geste, sich außerhalb seiner Praxis weiter zu unterhalten.
Und als Nadine noch immer keinen Schritt zur Seite macht, um Dan durchzulassen, beschließt Dan zu intervenieren.
„Hallo, Nadine. Lass uns bitte auf dem Flur sprechen.
Die nächste Sitzung beginnt gleich. Ich habe wenig Zeit", sagt er und deutet erneut an, sie möge ihm Platz machen. Dabei vermeidet er den Körperkontakt.
Sie lächelt und gewährt ihm den Austritt.
Lees Gehirn sendet derweil Testosteron frei.
Das Sexualhormon, das jegliche aufgestauten Triebwünsche entfacht.
Aggressionen verursacht, die sowohl bestrafendes als auch belohnendes Verhalten verstärken.
Vergeltung und Großzügigkeit initiieren.
Ein Hormon, das die Sinne Situationen bewerten lässt.
Und mit der ursprünglichsten Triebkraft richten und handeln lässt.
Lee ist berauscht von diesem Botenstoff.
Er eilt und will es Dan zeigen.
Dass er all seine Wonne ist.
Dass er ihn verehrt und begehrt.
Dass er für ihn alles ist.
Er eilt.
Und als er in den langen Flur zu Dans Praxis einbiegt, setzt sein Herz einen Schlag aus.
Er sieht in 20 Meter Entfernung Dan mit dem Rücken zu ihm gerichtet. Er unterhält sich mit einer Frau.
Lee stockt kurz und seine Füße übernehmen die Kontrolle.
Er muss näher ran. Er will die Situation beurteilen können.
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Die Psychologie der Liebe
RomanceIst Liebe nur ein psychologisches Konstrukt unserer Wahrnehmung? Welche unbewussten Triebe leiten uns? Eine Geschichte, die uns an den psychischen und physischen Ausmaßen eines Liebespaares teilhaben lässt. Dan (Psychoanlaytiker) forscht mit Lee (Ps...